Arbeitspflicht für Bürgergeld-Bezieher - Linnemann fordert "Systemwechsel"
Nach spätestens sechs Monaten sollen arbeitsfähige Bürgergeld-Beziehende einen Job annehmen müssen: Mit diesem Vorstoß hat CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann am Dienstag eine Debatte losgetreten. Der Sozialstaat müsse "für die wirklich Bedürftigen da sein, die nicht arbeiten können", sagte Linnemann der "Süddeutschen Zeitung". Deswegen brauche es einen "Systemwechsel" mit "mehr Anreizen für die Jobaufnahme". SPD, Grüne und Linke kritisierten dies scharf, das Institut der deutschen Wirtschaft äußerte sich ebenfalls skeptisch.
Linnemann will, dass arbeitsfähige Bürgergeld-Beziehende spätestens nach einem halben Jahr einen Job annehmen oder gemeinnützig arbeiten. Der Christdemokrat betonte: "Wer nicht arbeiten will, muss das nicht tun - er kann dann aber auch nicht erwarten, dass die Allgemeinheit für seinen Lebensunterhalt aufkommt."
Das sei der Staat "all denen schuldig, die jeden Tag arbeiten gehen und damit die Sozialleistungen des Staates für andere erst möglich machen", sagte Linnemann weiter. Er warf der Ampel-Koalition vor, Anreize zur Arbeitsaufnahme "weitgehend abgeschafft" zu haben. Die CDU will die Forderungen demnach in ihrem neuen Grundsatzprogramm verankern.
Die Union habe immer wieder betont, dass sie die bestehende Konzeption des Bürgergelds für falsch halte, sagte CDU-Chef Friedrich Merz am Nachmittag. Dieses habe sich zur "Arbeitsbremse" entwickelt, ergänzte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Das Grundprinzip des Forderns und Förderns sei außer Kraft gesetzt worden. Dies müsse korrigiert werden.
Scharfe Kritik kommt von der SPD. Deren stellvertretende Fraktionsvorsitzende Dagmar Schmidt sagte der Nachrichtenagentur AFP: "Das Bürgergeld fängt Menschen in schwierigen Lebenslagen auf." Dies sei "ein grundgesetzliches Gebot und ein Gebot der Menschlichkeit".
Die SPD-Politikerin nannte es "schade, dass die Union sich jetzt von der AfD getrieben dazu herablässt, Arbeitslose gegen Geringverdienende auszuspielen". Sie sprach weiter von "unanständigen Unterstellungen" an arbeitslose Menschen. Die stellvertretende Linken-Fraktionschefin Susanne Ferschl warf der CDU vor, mit ihrer Forderung "ganz unverblümt" die AfD zu kopieren.
Dies erklärte auch die AfD selbst: "Die CDU übernimmt einmal mehr die Forderungen und Inhalte der AfD-Fraktion." Die Fraktion habe bereits vor einem Jahr einen Antrag auf eine Pflicht zur Bürgerarbeit im Bundestag eingebracht, die Union dies jedoch abgelehnt, hieß es in einer AfD-Erklärung.
FDP-Fraktionschef Christian Dürr wies Linnemanns Vorwurf zurück, die "Ampel" habe Anreize zur Arbeitsaufnahme gesenkt. Die Koalition habe im Gegenteil neue geschaffen - etwa bei der Möglichkeit zur Teilzeitbeschäftigung oder zur beruflichen Qualifizierung. "Wir wollen nicht zurück zum alten Hartz-IV-System", sagte der Liberale. "Da würden wir Arbeitslosigkeit alimentieren, dass kann nicht die richtige Antwort sein."
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) warnte derweil Arbeitnehmer ausdrücklich davor, ihren Job für den Bezug von Bürgergeld zu kündigen. Jemand, der "so bescheuert" sei, bekomme statt der Leistung erstmal eine Sperre beim Arbeitslosengeld, sagte er in der ARD. Das Bürgergeld sei kein bedingungsloses Grundeinkommen.
Das Bürgergeld gibt es seit dem 1. Januar. Es löste das Arbeitslosengeld II - umgangssprachlich Hartz IV - ab. Nach längeren Verhandlungen hatten dem Gesetz im Bundesrat auch unionsregierte Länder zugestimmt.
Daran erinnerte die Grünen-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann. Sie sei "nach wie vor überzeugt, dass diese Bürgergeldreform eine gute und richtige war". Haßelmann betonte: "Wir haben das im letzten Jahr im Vermittlungsausschuss zusammen mit der Union getan."
CDU-Chef Merz nannte dies "einen Kompromiss", den die Union mitgemacht habe, damit es überhaupt zu einem Ergebnis gekommen sei.
Skepsis in Bezug auf Linnemanns Forderungen äußerte derweil auch der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther: Eine Jobpflicht für Bürgergeld-Beziehende sei "in der Theorie richtig". Er verwies in "Bild" allerdings auf zahlreiche Probleme bei der Umsetzung. So würden reguläre Jobs durch gemeinnützige Arbeit verdrängt.
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