ARD-Doku: Vertreter der jüdischen Gemeinde zu Antisemitismus-Vorwürfen gegen Kollegah

Kollegah und Farid Bang während der Echo-Preisverleihung in Berlin. (Bild: AP Photo/Axel Schmidt/Pool Photo)
Kollegah und Farid Bang während der Echo-Preisverleihung in Berlin. (Bild: AP Photo/Axel Schmidt/Pool Photo)

Überspitzung und Tabubruch seien eine Sache, auch Kunst dürfe aber nicht soweit grenzüberschreitend sein, dass sie Minderheiten ins Visier nehme – so ein Statement in der ARD-Dokumentation „Die dunkle Seite des deutschen Rap“. Hier nimmt nicht nur der Landesverband der Jüdischen Gemeinden in Hessen zum Antisemitismus-Vorwurf gegen Deutschrap Stellung, sondern auch andere Musiker und Wissenschaftler.

Der populäre wie polarisierende Rapper Kollegah hat sich bereits in der Vergangenheit mit seinen Texten den Vorwurf des Antisemitismus eingeheimst. Seit an ihn und Farid Bang unlängst der Musikpreis Echo für das Album „Jung, Brutal, Gutaussehend 3“ verliehen wurde, werden diese Vorwürfe neu diskutiert. Sie wiegen mittlerweile so schwer, dass die Bertelsmann Music Group (BMG) gestern gegenüber der FAZ angekündigt hat, die Zusammenarbeit mit den beiden Künstlern vorerst beenden zu wollen.

In der ARD-Dokumentation „Die dunkle Seite des deutschen Rap“, die Ende März erstmals ausgestrahlt wurde, kommen auch Experten und Vertreter der jüdischen Gemeinde zu den Vorwürfen gegen die Deutschrap-Szene zu Wort.

In der Doku kommen Rapper und Außenstehende zu Wort, auch werden ältere Diskussionen und Reaktionen gezeigt. Textzeilen wie „Mein Körper definierter als von Auschwitzinsassen“, „Ich ticke Kokain an die Juden von der Börse“ oder „Ich leih’ dir Geld, doch nie ohne ’nen jüdischen Zinssatz mit Zündsatz“, die kürzlich beim Echo für Unverständnis sorgten, werden auch hier thematisiert. Auf den Vorwurf, dass in diesen Textzeilen Antisemitismus transportiert werde, reagierte Kollegah demnach zunächst mit Unverständnis. Zur letzten Zeile entgegnete der Rapper, der mit bürgerlichem Namen Felix Blume heißt, via Facebook, dass „Genrefremde leider auch im Jahre 2017 die Kunstform des Battleraps noch nicht verstanden haben“, was ein Ausdruck von Ignoranz „gegenüber der größten Jugendkultur unserer Zeit“ sei.

Der Direktor des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Hessen (LVJGH), Daniel Neumann, hatte sich vor einem Jahr in einem offenen Brief an Kollegah gewandt, nachdem dieser ein Konzert auf dem Hessentag in Rüsselsheim hätte geben sollen. Daraufhin rief ihn Kollegah an. Über dieses Gespräch sagt Neumann in der Doku: „Das homophobe, sexistische, das war jetzt weniger problematisch“, sagt er lachend. „Aber der Antisemitismus-Vorwurf lastetet schwer auf ihm, und den wollte er loswerden, während ich ihm damals versucht habe klarzumachen, dass es völlig irrelevant ist, ob er Antisemit ist oder nicht (…) weil es darauf ankommt, was er tut, und darauf ankommt was er singt und welche Textzeilen er verbreitet. Und wenn die judenfeindliche Inhalte haben, ist es mir völlig egal, was Kollegah als Person in seinem Kopf herumträgt.“ Überspitzung und Tabubruch seien eine Sache, auch Kunst dürfe aber nicht soweit grenzüberschreitend sein, dass sie „Minderheiten ins Visier nehme“, so Neumann. Der Auftritt von Kollegah wurde damals abgesagt.

Erfan Bolourchi, Ex-Manager von Kollegah, kann die Aufregung ebenfalls nicht verstehen. Er sagt, er kenne keine einzige antisemitische Person im deutschen Rap: „Künstler haben die Aufgabe, als Straßenreporter zu agieren. (…) Natürlich gibt es Übertreibung – das ist ganz normal.“

Die Heroes, eine Projektgruppe des Deutschen Roten Kreuzes, hört gerne deutschen Rap – und kommt ebenfalls in „Die dunkle Seite des deutschen Rap“ zu Wort. Über Referenzen auf Juden sagen sie: „Jude ist ein gängiges Schimpfwort. Das hab ich schon in der Grundschule so gehört. Wenn man geizig ist, wird man halt als Jude bezeichnet.“ Ein anderer stimmt ihm zu: „Es ist nicht richtig, aber in dem Moment ist es auch nicht böse gemeint, es gehört halt einfach dazu, genau wie es auch zur Musik einfach dazu gehört.“ Man mache das, um Ansagen zu machen, um zynisch zu wirken: Klischees wie der türkische Dönerverkäufer gehören da dazu. Bei Juden drehten sich diese Klischees nun mal oft um Geld. „Ich würds als Kompliment sehen!“, lacht einer der Heroes.

Die Antilopen Gang aus Aachen und Düsseldorf engagiert sich mit ihrer Musik auch gegen Nazis, Rechtspopulisten und Antisemiten. „Ich glaube, man kann davon ausgehen, dass richtig rechtsradikale Rapper niemals Fuß fassen könnten im (…) Deutschrap-Kosmos. Der gewöhnliche Deutschraphörer oder Deutschrapper ist gegen Nazis. Das schließt aber vielleicht nicht aus, dass er gleichzeitig ein Antisemit ist“, sagt Rapper Koljah. Platz für klassischen rechtsradikalen Antisemitismus sieht er im Deutschrap nicht. Rapper hätten immer nur etwas gegen „die israelische Regierung, Zionisten oder dagegen, dass Banken zuviel Macht haben“, so Koljah weiter. „Das sind die zeitgemäßen Formen des Antisemitismus.“

Experten und Expertinnen sehen das ähnlich

Jakob Bayer promovierte zum Thema Judenbild im Deutschrap und forscht in Berlin. Über das 13-minütige Video zu „Apokalypse“ von Kollegah sagt er in der ARD-Doku, es handle sich um eine „eindeutig antisemitische Darstellung“. In dem als Comicstrip dargestellten Video hat der Teufel einen Stellvertreter auf Erden, der kurz zu sehen ist und einen Ring mit Davidstern trägt. „Damit wird der Stellvertreter des Teufels, der Diener des Teufels, als jüdisch markiert“, erklärt Bayer.

Bedient Kollegah antisemitische Codes? „Das Pentagramm und Hexagramm sind magische Symbole, die weit über die Anfänge des Judentums zurückdatieren“, verteidigt der sich in einer Instagram-Story.

Marc Leopoldseder berichtet seit über 15 Jahren über Deutschrap. Er sagt: „Natürlich gibt’s Antisemitismus im Deutschrap.“ Es herrsche aber keine Einigkeit darüber, was Antisemitismus im Rap ausmache, sagt er. „Ich hab doch nichts gegen Juden! (…) Ich chill doch mit denen!“, sei häufig die Reaktion von Rappern auf Antisemitismus-Vorwürfe. Dass das aber nicht ausschließe, dass antisemitische Narrative bedient werden, sei das Problem.

Das sagt auch Monika Schwarz-Friesel, Professorin an der TU Berlin. Sie weist daraufhin, dass Juden seit Jahrhunderten für das „raffende Kapital“ verantwortlich gemacht werden. Dieser strukturelle Antisemitismus wird oft als Kapitalismuskritik verkleidet, dazu zählen Schlagworte wie „Finanzjudentum“, „der jüdische Zinssatz“, und andere antisemitische Schlagwörter. Diese tauchten ganz gezielt in Hasspropaganda und Verschwörungstheorien auf.

Der gebürtige Offenbacher Rapper Haftbefehl bestätigt das in einem Interview mit der Welt aus dem Jahr 2014: „Für einen 16-jährigen Offenbacher ist alles, was mächtig ist und reich aus seiner beschränkten Sicht jüdisch.“ Wenn eine Gruppe als überprivilegiert dargestellt wird wie in dieser Weltanschauung, wird gleichzeitig Ungerechtigkeit in den Mittelpunkt gestellt, gibt Marc Leopoldseder zu Bedenken. Dadurch werde wiederum Legitimation vermittelt, dieser privilegierten Gruppe „auf die Schnauze zu hauen“.