Armutszeugnis für die Gesellschaft - Studie enthüllt traurige Ursachen, warum arme Kinder übergewichtiger sind
Die Fettleibigkeit bei Kindern in einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen ist ein drängendes Problem. Ernährungswissenschaftler Uwe Knop beleuchtet, warum bisherige Maßnahmen scheitern und was wirklich helfen könnte.
Eine aktuelle Publikation in einer der globalen Top-Medizinfachzeitschriften British Medical Journal (BMJ) hat erneut bestätigt: Fettleibigkeit bei Kindern ist in den ärmsten Gegenden Englands doppelt so hoch wie in den wohlhabenden Gegenden.
Die Analyse ergab konkret: Fast ein Drittel der Kinder, die in den ärmsten Gegenden Englands leben, leiden bis zum Abschluss der Grundschule an Fettleibigkeit – doppelt so viele wie in den am wenigsten ärmsten Gegenden. Diese Erkenntnis wurde bereits mehrfach zuvor bestätigt - auch hierzulande.
Welche Daten belegen dieses „arme Kinder sind dicker“-Phänomen in Deutschland?
In der Vergangenheit hat beispielsweise das Robert Koch-Institut mit der KiGGS-Studie bestätigt: In Familien mit einem Nettoeinkommen unter 60 Prozent des Durchschnitts sind 10,1 Prozent der Kinder und Jugendlichen fettleibig. Liegt das Nettoeinkommen bei +150 Prozent sind nur 3,2 Prozent des Nachwuchses adipös.
Auch die DAK-Krankenkasse konnte in ihrem Kinder- und Jugendreport zeigen: Kinder von Eltern mit akademischer Ausbildung sind zu 1,5 Prozent adipös - der nicht-akademische Nachwuchs hingegen mit 5,3 Prozent mehr als dreimal so oft.
Eine aktuelle deutsche Studie der Uni Ulm hat dieses Wissen jüngst erneut bestätigt: Kinder sind häufiger übergewichtig, wenn sie in einer Familie mit geringem Haushaltseinkommen oder Migrationshintergrund aufwachsen oder ein Elternteil selbst Übergewicht hat.
Wesentlich relevanter scheint jedoch der Bildungsstatus der Eltern zu sein, denn: Gesundheitsbezogene Risiken treten besonders in Familien mit niedrigem Bildungsniveau auf und das schon bei Kindern im Alter von drei bis fünf Jahren.
Was sind die genauen Gründe, die zu mehr Fettleibigkeit bei ärmeren Kindern führen?
Auch wenn oft reflexartig die Gründe ungesunde Ernährung, wenig Sport und zu viel Handy genannt werden, sind das nur Hypothesen. Die genauen Ursachen sind komplex, vielschichtig - und unbekannt.
Können Werbeverbote für ungesunde Kinderlebensmittel oder eine Limo-Zucker-Steuer helfen, dass dicke Kinder dünner werden?
Wahrscheinlich nicht, derzeit spricht kein Datensatz dafür - ganz im Gegenteil. Besser als sinnlose Werbeverbote und Zuckerzwangssteuern wäre kostenloses Schulessen für Kinder.
Welche Fragestellungen sind im Kontext von Kinderernährung und Fettleibigkeit von Relevanz?
Davon gibt es eine ganze Reihe - das wichtigste halbe Dutzend lautet:
Haben wir ein Problem mit fettleibigen Kindern? Nein. Fast 96 Prozent der deutschen Kinder und Jugendlichen sind nicht fettleibig - und es ist auch kein Anstieg zu sehen, auch nicht während Corona. Leider fehlen richtig starke Verlaufsstudien, die gibt es derzeit hierzulande nicht.
Sind diese wenigen adipösen Kinder und Jugendlichen gleichmäßig in der Gesellschaft verteilt? Nein. Kinder sind häufiger übergewichtig, wenn sie in einer Familie mit geringem Haushaltseinkommen oder Migrationshintergrund aufwachsen oder ein Elternteil selbst Übergewicht hat. Wesentlich relevanter scheint jedoch der Bildungsstatus der Eltern zu sein, denn: Gesundheitsbezogene Risiken treten besonders in Familien mit niedrigem Bildungsniveau auf. Das ist lange bekannt - und wurde jüngst bestätigt von der Universitäi Ulm.
Weiß man sicher, warum Kinder und Jugendliche adipös werden? Nein. Welche Ursachen genau zu juveniler Adipositas führen, das ist unbekannt. Es weiß auch niemand, welchen konkreten Einfluss welches Essverhalten auf die wenigen Prozent fettleibiger Kinder in Deutschland hat.
Gibt es wirksame Maßnahmen gegen Adipositas im Kinder- und Jugendalter? Anknüpfend an vorgenannte Frage gilt: Umgekehrt weiß daher auch niemand, wie man die wenigen fettleibigen Kinder wieder dünn bekommt. Hier gibt es keinerlei erfolgreiche Maßnahmen, weder klinisch noch stationär und schon gar keine evidenzbasierten Empfehlungen für den elterlichen Hausgebrauch.
Wie könnte eine Softdrinksteuer dazu beitragen, das Problem der Fettleibigkeit bei Kindern und Jugendlichen zu bekämpfen? Wahrscheinlich überhaupt nicht. Denn die wissenschaftliche Datenlage ist so dünn wie eine Seifenblasenwand, die Studien dazu sind voller Limitierungen, die von den Autoren auch klar benannt werden.
Trinken Kinder überhaupt viel Softdrinks? Nein, zwei Drittel der Kinder und Jugendlichen konsumieren weniger als dreimal pro Woche zuckerhaltige Erfrischungsgetränke - also maximal zwei Gläser Limo pro Woche, es können auch weniger sein. Diese aktuellen KIDA-Daten des Robert Koch-Instituts lassen die Relevanz der Lebensmittelgruppe Softdrinks bei der Entwicklung von Fettleibigkeit ins Minimale absacken.
Welche Maßnahmen können ergriffen werden, um das Problem der Fettleibigkeit in einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen zu bekämpfen?
Das weiß derzeit keiner - und das ist ein echter gesundheitspolitischer Offenbarungseid. Denn die „Stoßrichtung“ ist klar: Grundsätzlich müssen es Maßnahmen sein, die exakt die Zielgruppe der Kinder aus schwachen sozialen Schichten adressieren und fokussiert die potenziellen Ursachen angehen.
Genau diese Frage aber muss die Bundesregierung und besonders das „anti-adipös stets bemühte“ Bundesministerium für Ernährung beantworten - und dann entsprechend liefern.