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Arora Akanksha: Ist sie die neue UN-Generalsekretärin?

Kandidiert als Generalsekretärin der Vereinten Nationen: Arora Akanksha (Bild: James Mooney)
Kandidiert als Generalsekretärin der Vereinten Nationen: Arora Akanksha (Bild: James Mooney)

Die Wiederwahl von António Guterres als Chef der Weltorganisation scheint quasi gesichert. Doch eine Frau fordert ihn heraus: Arora Akanksha, 34, ist Rechnungsprüferin bei den UN. Im Exklusiv-Interview mit Yahoo Nachrichten erklärt sie, warum sie antritt.

Frau Akanksha, Sie kandidieren aus einer aussichtslosen Position für das Amt des Generalsekretärs. Warum tun Sie das?

Weil ich an die UNO glaube. Ich weiß, dass die UNO in der Lage ist, große Dinge in der Welt zu tun - aber die UNO wird heute ihrer Größe nicht gerecht. Zwei Beispiele: Wir haben die höchste Anzahl von Flüchtlingen seit dem Zweiten Weltkrieg, die kein Zuhause haben und keine Hoffnung, bald eines zu finden - die meisten von ihnen sind seit zehn Jahren auf der Flucht, und die Hälfte von ihnen sind Kinder. Und die UNO hat die Ressourcen, um mit diesem Problem umzugehen. Aber für jeden Dollar, den die UNO ausgibt, gehen nur 30 Cent in die Sache, und wir setzen die Not der Menschen nicht an die erste Stelle. Daher brauchen wir eine neue UNO, und zwar jetzt.

Sie glauben, dass die UNO ihre Arbeit nicht erledigt?

In den letzten 75 Jahren haben wir die Führung der UNO einem bestimmten Typus von Personen überlassen: Alles Männer, alle vom selben Beruf (Diplomatie oder Politik), und was sind die Ergebnisse? Was ich biete: Ich bringe mein Wissen als Mitarbeiterin der UNO ein - ich weiß genau, was es braucht, um den Job zu erledigen.

Wie das?

Ich als Millennial biete frisches Denken und eine neue Perspektive. Meine Generation hat in vielem einen großen Beitrag geleistet: Wir haben jeden Beruf aufgewertet und durch Technologie und Innovation besser gemacht. Wenn es indes um die Politik geht, bekommen wir "Besuchsrechte", aber keine Mitwirkungsrechte. Wir werden diese Institution erben – der Tod ist schließlich ein Schicksal, das wir alle teilen! Wir wollen jetzt die Verantwortung übernehmen. Schauen Sie sich den Klimawandel an: Von jedem Dollar, den die UNO ausgibt, fließen nur 15 Cent in naturbasierte Lösungen; alles andere ist das Schreiben von Berichten, das Abhalten von Konferenzen und Reden. Aber was gibt es zu reden? Wir sind uns alle einig, dass der Klimawandel eine Bedrohung ist, die angegangen werden muss - und meine Generation darf nicht einmal mitreden. Die UNO ist eine Burg auf dem Hügel. Meine Kandidatur öffnet Türen, um sie inklusiv zu machen. Denn die Welt nach Covid muss alle Hände an Deck haben.

Welche Rückmeldungen haben Sie bisher erhalten?

Endlich haben wir eine Debatte über die UNO. Davor wirkte sie wie ein geschlossener Laden. Viele Leute wissen nicht, was die UNO tatsächlich tun kann. Die UNO könnte viel mächtiger sein! Meine Generation ist bereit, Verantwortung zu übernehmen. Und das hat Auswirkungen auf die Frauen: Wir hatten nie eine weibliche Generalsekretärin, und das ist so demoralisierend. Bei der letzten Wahl, 2016, kandidierten sieben qualifizierte Frauen erfolglos. Das zeigte einen Mangel an Respekt vor der Gleichberechtigung. Ich bin die erste Person in der Geschichte der UNO, die einen Generalsekretär herausfordert, der eine zweite Amtszeit anstrebt; traditionell wurden Wahlen in der UNO hinter verschlossenen Türen abgehalten, in inneren Zirkeln. Das ist nicht transparent und nicht demokratisch. Daher gibt es viel Begeisterung um mich herum: Die UN-Mitarbeiter sind begeistert, ich erhalte viele Mails von ihnen.

Was würden Sie an Ihrem ersten Tag im Amt tun?

Ich würde mit allen Mitarbeitern der UNO sprechen, um sie zu heilen. Sie werden nicht gleichbehandelt, es gibt ein Niveau von verschiedenen Klassen. Ich werde aber die Unterstützung aller Mitarbeiter brauchen, und sie müssen gestärkt werden. Ich werde ihnen sagen, dass die UNO jetzt ein offenes Umfeld ist und dass sie ihre Ideen für eine gute Führung einbringen können.

Was macht der derzeitige Amtsinhaber António Guterres nicht gut?

Wir haben die höchste Zahl an Flüchtlingen, die es je auf der Welt gab - wir haben ihnen aber keine Priorität eingeräumt! Ich gebe Ihnen einige Beispiele: Die Webseite des UN-Flüchtlingskommissariats (UNHCR) schreibt, dass es eine Finanzierungslücke von vier Milliarden Dollar hat, so dass die Bedürfnisse der Flüchtlinge nicht erfüllt werden können. Das Reisebudget der UNO aber beträgt jährlich fast 2,5 Milliarden Dollar - das schließt Business- und First-Class-Flüge ein. Wenn wir von den Steuerzahlern finanziert werden, warum können wir dann bewusst so viel Geld dafür ausgeben? Natürlich müssen wir reisen, die UNO ist ein globales Gebilde. Aber können wir bitte etwas Zurückhaltung zeigen und unsere Mittel vorrangig denen zukommen lassen, die sie brauchen? Hier ein zweites Beispiel: Ich habe an der Columbia-Universität in den USA jemanden getroffen, der mir erzählte, dass er vor Jahren eine App entwickelt hat, die ohne Internet übersetzen kann, und zwar mit einem kleinen Gerät, das nicht allzu viel kosten würde. Er schrieb eine Email an das UNHCR - und niemand hat ihm je geantwortet. Diese App könnte all die Kosten einsparen, die wir für Übersetzer haben.

Sie selbst haben bei der UNO angefangen, an Finanzreformen zu arbeiten. Worauf sind Sie gestoßen?

Von jedem Dollar, den die UNO ausgibt, gehen nur 30 Cent in die Sache. Das ist eine beklagenswerte Zahl. Wir müssen Bürokratie abbauen, wo immer wir können. Und ich werde Holokratie installieren - wo es mehr Autonomie auf verschiedenen Ebenen gibt, um mehr zu tun. Die UNO ist die Organisation auf der ganzen Welt mit der meisten Autokratie! Auf 360 Mitarbeiter kommt eine Führungskraft. Also stimmt jeder nur dem anderen zu, sie dienen nur sich selbst und nicht den Menschen. Ich war Rechnungsprüferin für Regierungen, private Unternehmen, öffentliche Unternehmen und Banken - und ich habe gesehen, dass sie nur einen Nordpol haben: zu tun, was sie tun sollen. Aber in der UNO stört sich die Führung sich selbst. Das habe ich gesehen: Man präsentiert ihnen die Lösungen, aber sie wollen nichts ändern, weil sie nicht an die Menschen denken. Sie denken stattdessen darüber nach, wie sie befördert werden können.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Einmal war ich auf einer UN-Dienstreise und sah ein Kind, das Schlamm aß. Das war so schmerzhaft für mich, denn ich wohnte in einem tollen Hotel, konnte mir alles leisten, was ich essen wollte - und niemand kümmerte sich um dieses einsame Mädchen an einer Tankstelle, das Schlamm aß. Keiner hielt an. Alles, was ich tun konnte, war, ihr Essen und Geld zu geben. Als ich nach New York zurückkehrte, fragte ich meinen Vorgesetzten, warum wir nicht in der Lage sind, etwas für dieses Kind zu tun, und er antwortete: 'Schlamm ist gut für Kinder. Er hat Eisen.' Sie sagen mir also, solche Führung wird den Menschen Priorität einräumen? Ich bringe eine moralische Führung an den Tisch.

Wer unterstützt Sie? Woher kommt die Finanzierung?

Es gibt eine Spendenfunktion auf unserer Website, unsere Finanzierung stammt nur aus privaten und kleinen Beträgen. 200 Leute haben sich freiwillig gemeldet, um für mich Wahlkampf zu machen.

Wo würden Sie sich politisch einordnen?

Ich denke, das ist nicht so interessant, weil Politik unterschiedlich wahrgenommen ist. Was in Deutschland links ist, wird in einem anderen Land etwas anderes sein. Ich glaube an die Rolle des Staates. Er sollte eine Grundversorgung für alle seine Bürger bereitstellen. Und ich glaube an die Kraft der Privatwirtschaft, dass der Kapitalismus die Umwelt retten und den Klimawandel bekämpfen kann. Aber es muss getan werden.

Warum fehlt uns die Kreativität, um die dringenden Lösungen für die Menschheit anzugehen?

Das sollten wir uns fragen. Mit einem Beispiel: Wir haben großartige Kameras. Die Kamera, die 2003 mit dem iPhone herauskam, ist ein himmelweiter Unterschied zur Kamera des iPhone von 2020 – weil die Menschen gegenseitig aufeinander und auf ihre technischen Möglichkeiten reagiert haben. Wenn es aber darum geht, den Menschen zu dienen, gibt es keine Interaktion. Wir werden durch Bevollmächtigte vertreten: Die Steuerzahler geben ihr Geld an die Regierungen, die es an die UNO weiterleiten, welche von Botschaftern vertreten wird, die Proxys sind. Für die Bedürftige dagegen sprechen verschiedene NGOs und UN-Einrichtungen, aber es gibt keine direkte Interaktion. Wenn Sie der Geschichte eines Flüchtlings direkt zuhören würden, würden Sie unbedingt auf seine Not reagieren. Und die einzigen Menschen, die diese kreative Leistung erbringen können, sind diejenigen, die direkt mit ihnen arbeiten. Wir brauchen die Millennials, um die Aufgaben zu bewältigen.

Sagen Sie das, weil Sie jung sind?

Wissen Sie, wie hoch das Durchschnittsalter der Führungskräfte bei der UNO ist? Es liegt bei 62 Jahren. Vielleicht ist das ein Hinweis darauf, warum die Dinge in der Organisation nicht so laufen, wie sie sollten.

Arora Akanksha, 34, ist Prüfungskoordinatorin im Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen. Sie ist Kanadierin indischer Abstammung: Ihre Eltern flüchteten 1947 von Pakistan nach Indien. Akanksha studierte in Toronto Verwaltungswissenschaften und arbeitete dann als Auditing Manager bei PricewaterhouseCoopers in Kanada, bis sie 2016 zur UNO wechselte. Im Falle ihrer Wahl zur UN-Generalsekretärin wäre sie bisher nicht nur die erste Frau, sondern die jüngste Person in diesem Amt.