Arye Sharuz Shalicar: "Antisemitismus darf in Deutschland keinen Platz mehr haben"

Es sind erschreckend schonungslose Einblicke, die Autor Arye Sharuz Shalicar dem Leser in seinem neuen Buch “Der neu-deutsche Antisemit” (Hentrich & Hentrich, 164 Seiten, 16,90 €) eröffnet. Einst selbst im Berliner Problemviertel Wedding aufgewachsen, berichtet der Israeli darin über seine ganz persönlichen Erfahrungen zum Thema Antisemitismus.

In seinem neuen Buch warnt Arye Sharuz Shalicar vor der erneuten Ausbreitung des Antisemitismus in Deutschland (Bild: Hentrich & Hentrich)
In seinem neuen Buch warnt Arye Sharuz Shalicar vor der erneuten Ausbreitung des Antisemitismus in Deutschland (Bild: Hentrich & Hentrich)

Vor allem sind es arabische Jugendliche, die ihren schier grenzenlosen Hass auf Juden ausleben und denen von der Gesellschaft kaum Einhalt geboten wird; denn die meisten Schulen wollen sich mit dem Problem am liebsten gar nicht befassen, und nicht selten wird die Schuld an antisemitischen Zwischenfällen von deutscher Seite gerne auf “den Juden” geschoben. Shalicar ist selbst Jude, aber in seiner Berliner Kindheit unter mehrheitlich türkischen und arabischen Gleichaltrigen hat er diese Tatsache die meiste Zeit verheimlicht – aus gutem Grund: Sein Bruder wurde einst von Deutsch-Arabern fast ermordet. Heute blickt er mit großer Sorge auf den alarmierend zunehmenden Judenhass in Deutschland; ein Hass, der alle sozialen Schichten durchzieht und der, wie es scheint, nicht aufzuhalten ist.

Shalicars Fazit: Es ist höchste Zeit, dass die Politik endlich aufwacht und den Mut zu grundlegenden Veränderungen aufbringt, zu einem ehrlichen und ethisch dringend gebotenen Handeln. Leider ist das Gegenteil der Fall: In Berlin lässt man es zu, dass der “Al-Quds-Tag” als Fest zur erhofften Vollendung des Holocaust gefeiert wird, und auf islamistischen Demos wird lauthals “Juden ins Gas” skandiert. Hierzu schweigt ein großer Teil der deutschen Zivilgesellschaft, Staat und Politik ducken sich weg.

Shalicar beleuchtet alle Facetten des aktuellen Judenhasses, ob dieser nun von palästinensischen Jugendbanden, von islamistischen Hasspredigern, von arabischen Familienclans, von umstrittenen “Nahostexperten” wie Jürgen Todenhöfer oder von Verschwörungstheoretikern wie Martin Lejeune (Shalicar nennt ihn einen “Psychopathen”) ausgeht. Das Buch sollte Pflichtlektüre für jeden Bundestags- oder Landtagsabgeordneten, für jeden Kommunalpolitiker, für jedes Regierungsmitglied, für jeden Lehrer und für jeden Journalisten sein; im Prinzip für uns alle. Denn es hält der deutschen Gesellschaft den Spiegel vor, die unter dem Feigenblatt einer angeblich “objektiven” Israelkritik und vor lauter Sorge, andernfalls womöglich als “islamophob” wahrgenommen zu werden, einen neu aufkeimenden Antisemitismus in ihrer Mitte duldet, der mehr und mehr salonfähig zu werden droht.

Shalicar hat Yahoo Nachrichten einige Fragen zu seinem Buch beantwortet.

Ihr Buch muss für die deutsche Politik ein Schock sein. Welche Reaktion erwarten oder erhoffen Sie sich vom deutschen Politikbetrieb?

Arye Sharuz Shalicar: Ich habe dieses Buch nicht für mich geschrieben, auch nicht für die Juden oder für Israel. Sondern ich habe es für Deutschland geschrieben. Deutschland hat sich in den letzten Jahren verändert und befindet sich weiterhin in einer Phase der “Neudefinierung”: Rechtsextreme, Linksautonome und Islamisten ziehen an ein und demselben Strick, antisemitische Übergriffe sind keine Seltenheit mehr. Man fragt sich allerdings oft, wie es wieder so weit kommen konnte, und was man denn dagegen tun kann und soll… Ich versuche in meiner persönlichen Analyse vor allem einen zentralen Punkt deutlich zu machen: Deutsche jeglicher Couleur können den verbreiteten Antisemitismus nicht länger unter dem Alibi “Israelkritik” verstecken. Im Gegenteil: Gerade ein eindeutiges Bekenntnis zum Staat der Juden wäre ein effizienter Weg, um gegen den Judenhass auf deutschen Straßen vorzugehen. Hier sehe ich das Kernproblem: Die Deutschen sollten sich nicht nur mit den ermordeten und toten Juden, sondern vor allem mit den heute lebenden Juden und deren Staat solidarisieren! Eine solche Grundhaltung müsste top-down, also von der Politik in die Gesellschaft hinein vermittelt werden. Sie ginge einher mit sehr viel positiver Aufklärungsarbeit, insbesondere bei der Jugend und bei Familien mit arabischem Migrationshintergrund. Unter diesem Aspekt würde ich mir wünschen, dass mein Buch zu einer Art parteiübergreifenden Pflichtlektüre wird. Ich würde es begrüßen, wenn es sogar im Schulunterricht behandelt wird.

Was wären denn Maßnahmen, die die Politik als erste umsetzen müsste, um das Ruder herumzureißen?

Shalicar: Weg von einer Politik der Signale und Absichtserklärungen und hin zu konkreter Aufklärung – das wäre ein Anfang. Die Ernennung von “Antisemitismusbeauftragten” bringt, wenn überhaupt, allenfalls minimale Ergebnisse. Wichtiger wäre, das Problem anzuerkennen, dass sich auf deutschen Straßen, Schulhöfen und vor allem in den sozialen Medien jede Menge Deutsche tummeln – mit und ohne Migrationshintergrund -, die aus ihrem Hass auf Israel und “die Juden” absolut keinen Hehl mehr machen. Gegen diese beängstigende Entwicklung muss viel schärfer vorgegangen werden; es muss von den gesellschaftlichen Eliten bis in die letzten Problembezirke hinab das Bewusstsein dafür geschärft werden, dass in Deutschland Antisemitismus in all seinen Erscheinungsformen keinen Platz mehr haben darf. Politiker, Lehrer, Wissenschaftler, Medienvertreter und viele andere einflussreiche Vertreter der Öffentlichkeit sind täglich gefragt, aktiv dazu beizutragen, dass Deutschland nie wieder ein Volk der Täter sein wird, und dass das Credo der Nachkriegszeit, “Nie wieder!”, weiterhin Gültigkeit hat.

Was wird passieren, wenn die von Ihnen offen angesprochenen Probleme, vor allem der schier unbegreifliche Judenhass unter den arabischen Migranten, weiterhin ignoriert wird?

Shalicar: Es sollte mittlerweile jedem klar sein, dass etliche arabische Migranten – sowohl jene der zweiten Generation in Deutschland wie auch die erst vor kurzem nach Deutschland gekommenen – extreme Ansichten haben, die mit einem toleranten Rechtsstaat unvereinbar sind. Ihre Weltanschauung diskriminiert Juden, Frauen, Schwule und andere Minderheiten gleichermaßen und richtet sich unverhohlen gegen Gleichberechtigung und Demokratie. Deutschland muss weitaus mehr tun als bisher, um vor allem den arabischen Muslimen, die solche Vorurteile haben, klipp und klar zu verdeutlichen, dass ihr mittelalterliches Weltbild hier nichts verloren hat. Die deutsche Politik müsste sich klarer positionieren und diesen Menschen sagen: Ihr seid jetzt hier in Deutschland, hier herrschen unsere Gesetze. Wir stehen für eine freiheitlich-demokratische Grundordnung, und wer diese ablehnt oder gar bekämpft, der kann in diesem Land keine Zukunft haben! Nur durch solch eine drastische und kompromisslose Haltung kann es gelingen, eine aggressive muslimische Kerngruppe zu brechen, die nicht nur den hier lebenden Juden Angst macht, sondern die ebenso auch vielen weltoffenen Deutschen ohne Migrationshintergrund und nicht zuletzt vielen gut integrierten und westlich orientierten Muslimen große Sorgen bereitet. Sollten diese friedfertigen, gemäßigten Bevölkerungsgruppen nicht endlich vor der wachsenden Zahl intoleranter Extremisten geschützt werden und Deutschland seinen bisherigen Kuschelkurs fortsetzen, braucht sich niemand zu wundern, wenn es künftig noch viel mehr antisemitische Übergriffe in Deutschland geben wird.

Wird denn offenes jüdisches Leben überhaupt noch möglich sein in Deutschland, wenn die Politik nicht endlich reagiert?

Shalicar: Einerseits hat Deutschland den Juden aus der ehemaligen Sowjetunion in den letzten 30 Jahren die Tore geöffnet, woraufhin die jüdische Gemeinde Deutschlands von weniger als 30.000 Mitgliedern auf inzwischen über 100.000 Mitglieder angewachsen ist; somit stellt sie die drittgrößte jüdische Gemeinde Europas dar. Man könnte also den Eindruck gewinnen, dass die Juden in Deutschland wieder uneingeschränkt angekommen und zuhause sind, dass die Greueltaten endgültig der Vergangenheit angehören und man sich heute in einem völlig anderen Land befindet. Andererseits ist es leider eine traurige Tatsache, dass sich Juden und Israelis heute in manchen Vierteln und Bezirken mehrerer Dutzend deutscher Großstädte nicht länger als solche zu erkennen geben können, ohne Gefahr zu laufen, bedroht, beleidigt oder gar angegriffen zu werden. Diese Entwicklung wird sich weiter verschärfen, wenn nicht endlich gegengesteuert wird.