Werbung

Auch bei Anne Will: Nichts Neues vom Brexit

Anne Will und Greg Hands diskutieren über den Brexit. Laut dem “Leave”-Befürworter muss sich die EU weiter auf London zubewegen. Foto: Screenshot / ARD
Anne Will und Greg Hands diskutieren über den Brexit. Laut dem “Leave”-Befürworter muss sich die EU weiter auf London zubewegen. Foto: Screenshot / ARD

Chaos an den Grenzen, Exporteinbrüche, Jobverluste: Ein ungeregelter Brexit könnte gravierende Folgen für Deutschland und Europa haben. Grund genug, das Thema in einer weiteren Polittalksendung durchzukauen. Nur, so wenig, wie Theresa May bislang ihren “Plan B” vorgelegt hat oder die EU sich kompromissbereit zeigt, so wenig Neues bringt die Sendung bei Anne Will. Mit der Überschrift: “Streit um den Brexit – wer kann das Chaos noch verhindern?”

Die Diskutanten:

Jean Asselborn, Außenminister von Luxemburg. Seit 2013 ist Asselborn Minister für auswärtige und europäische Angelegenheiten sowie Minister für Immigration und Asyl. Als Außenminister vertritt er die Luxemburger Regierung im Rat der Europäischen Union

Greg Hands, Tory-Abgeordneter und ehem. Staatssekretär im britischen Außenhandelsministerium. Von 2015 bis 2016 amtiert er als Chefsekretär im britischen Finanzministerium, von 2016 bis 2018 ist er Staatssekretär im britischen Außenhandelsministerium. Hands ist Brexit-Befürworter, aus Respekt vor dem Referendum, hat am Dienstag jedoch gegen Theresa Mays Austrittsabkommen gestimmt

Sahra Wagenknecht, (Die Linke) Fraktionsvorsitzende im Bundestag. Seit 2015 ist sie neben Dietmar Bartsch Fraktionsvorsitzende im Bundestag

Norbert Röttgen, (CDU), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages

Kate Connolly, Berlin-Korrespondentin von “The Guardian” und “The Observer”. Seit 1996 ist Connolly als Journalistin tätig. In ihrem Buch “Exit Brexit” schreibt Connolly darüber, wie sie als Reaktion auf das Brexit-Referendum deutsche Staatsbürgerin wurde

Bestmöglicher Deal oder No-Deal – das ist hier die Frage

Vom “bestmöglichen Brexit-Deal” sprachen Theresa May und die EU. Nur schmetterte das britische Unterhaus den Deal mit 202 zu 432 Stimmen ab. Darunter stimmten auch 118 Abgeordnete von Mays eigener Partei gegen den Deal und damit gegen sie. Nur 24 Stunden später übersteht May aber wiederum ein Misstrauensvotum der Opposition, mit Hilfe ihrer eigenen Abgeordneten. Es gibt also keine Mehrheit für das ausgehandelte Abkommen, keine Mehrheit für Neuwahlen, es gibt kein zweites Referendum und niemand will ein Brexit ohne Abkommen. May sagte zuletzt, sie sei bereit, mit “jedem Mitglied” des Unterhauses zusammenzuarbeiten, um einen Brexit “zu liefern”. Wie könnte das noch aussehen?

Hintergrund: Premierministerin May präsentiert Vorstellungen zum Brexit

Den Aufschlag macht Hands, der im Jahr 2016 für “Remain” stimmte, mittlerweile aber die “Leave”-Bewegung unterstützt. Weil er Demokrat sei und es der “demokratische Willen” des britischen Volkes war, die EU zu verlassen: “Ich habe jetzt gegen das Abkommen gestimmt, weil es erstens zu nahe an Brüssel ist. Es war meiner Meinung nach unmöglich, durch das Unterhaus zu kommen. Es muss Bewegung in Brüssel geben, vor allem im Falle des ‘Backstops’, den ich für sehr problematisch halte.” Der Backstop ist die Notfallversicherung der EU, sie verhindert, dass es im Falle eines ungeordneten Brexits zu einer Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland kommt und damit der Konflikt zwischen den beiden Ländern wieder aufreißt. Aber damit keine Grenze gezogen wird, muss Großbritannien in der Zollunion verbleiben und kann somit keine Handelsverträge mit anderen Ländern schließen. Ohne Backstop, so Hands, habe May mehr Verhandlungsspielraum im Parlament für eine Mehrheit des ausgehandelten Deals. Nur ist der verhandelte Deal dann schon sehr aufgeweicht.

“May braucht zweitens die Unterstützung der Democratic Unionist Party of Northern Irland. Drittens müssen mehr Labour-Abgeordnete für das Abkommen sein. Bisher ist es aber zu nachteilig für Großbritannien. Mithilfe von Brüssel ist es schaffbar. Wir brauchen Änderungen auf beiden Seiten.” Hands schließt außerdem eine Zollunion mit der EU aus, in der Großbritannien keinen Sitz mehr in Brüssel hätte, weil: “Wenn man keinen Sitz am Tisch hat, ist man wahrscheinlich auf der Speisekarte.”

Theresa May – die Starrsinnige

Connolly gibt einfach die Zeit zu bedenken: “May hatte zweieinhalb Jahre Zeit. In der Zeit hat sie keinen Deal bekommen, der zufriedenstellend ist. Jetzt strebt sie nach überparteilicher Zusammenarbeit, das ist aber viel zu spät, May ist ‘running against the clock’. Sie wird zwar für diese Hartnäckigkeit bewundert…“

Anne Will: “Andere nennen es starrsinnig. Was denken Sie?”

“Starrsinnig, auf jeden Fall. Ich teile die Bewunderung für sie nicht. Aber ich denke, zu viele Menschen haben uns in die jetzige Situation gebracht, wie David Cameron, Nigel Farage und Boris Johnson. Die sind alle weg. Nur Theresa May ist eben noch übrig.”

Röttgen schrieb vor kurzem in einem offenen Brief an die britischen Bürger, dass es für sie nur noch zwei Möglichkeiten gebe: einen unkontrollierten Austritt, den No-Deal-Brexit und No-Brexit. Deshalb könnte sich Röttgen auch ein zweites Referendum vorstellen, das darauf basiert, welche Möglichkeiten überhaupt auf dem Tisch liegen. Denn er beklagt das machttaktische Kalkül der bestehenden Politik, die weiter unhaltbare Versprechen mache: “Ich glaube nicht, dass die Regierung eine Mehrheit im Parlament organisieren kann. Ich denke, das Parlament wird entgegen des Willens von Theresa May und Jeremy Corbyn die Führung an sich ziehen. Um weg zu kommen von der Parteienführung, die miteinander und innerlich total zerstritten ist. Eine Entscheidung über den Brexit-Deal soll also ohne Parteizwang erfolgen.”

Denn, das betont Röttgen nochmal, einen anderen Deal werde es nicht geben: “Das Referendum ist 30 Monate her, es wurde zwei Jahre verhandelt, wir haben einen Kompromiss gefunden, 600 Seiten Vertragsauflösung liegen auf dem Tisch. Ich kenne keinen, der sagt, es gibt eine bessere und faire Lösung. Klar, es gibt genug Menschen, die sagen, die andere Seite muss mehr nachgeben.“ Aber er sagt auch, dass nach über 45 Jahren in einer Staatengemeinschaft die Länder eben eng verbunden seien, man könne sozusagen aus einem Ei ein Rührei zu machen. Das aber zu entzweien, sei wie aus einem Rührei wieder ein Ei machen zu wollen.

Was kommt nach dem Brexit? Garantien für britische Auswanderer in Portugal

Die EU sät “Zwietracht” unter den Europäern

Wagenknecht nimmt eine andere Perspektive ein, nämlich die der EU-Kritikerin: “Ich glaube, der Brexit ist kein Votum gegen Europa, sondern gegen das, was die EU heute ist. Ich hätte mir daher eine Debatte gewünscht, wieso Europa überhaupt so viel Popularität verliert. Auch in Italien würde momentan die Mehrheit einem Austritt zustimmen. Ich möchte nicht, dass Europa auseinanderfliegt, dass Völker gegeneinandergesetzt werden. Aber so wie die EU agiert, sät sie Zwietracht. Weil Kapitalfreiheiten Vorrang vor sozialen Freiheiten haben in den EU-Verträgen, dass der EU-Kommissionspräsident als Bodyguard der Steuerhinterzieher gearbeitet hat und jetzt Staaten maßregelt, dass sie Schuldenkriterien einhalten. Oder dass das Beihilferecht der EU Städten verbietet, Nahverkehrsunternehmen mit subventionierten Tickets zu unterstützen. Aber als private Banken mit Milliarden gerettet wurden, hat die EU nichts unternommen.”

Sie gibt zudem zu bedenken, dass das Brexit-Abkommen Großbritannien massiv gespalten habe und ein neues Referendum nur zu mehr Wut führe: “Da denken die Bürger, dass solange entschieden werden soll, bis den Eliten das Ergebnis passt. Großbritannien ist Deutschlands viertgrößter Handelspartner und es gibt einen großen Handelsüberschuss, deshalb sollte man sich überlegen, vielleicht nur die eine Freiheit der Waren, die Großbritannien auch schon angeboten hat, anzunehmen.” Eine sehr interessante Ansicht der Linken-Politikerin, auf die Personenfreizügigkeit zu verzichten. Nach ihrer Tirade gegen die Wirtschaftszentrierung der EU.

Die Europäische Union hat mit dem Deal alles gegeben

Zuletzt Asselborn, der in der Runde Europa vertritt: “2016 wurde eine schwarz-weiße-Frage gestellt: ‘Remain or leave?’. Die Antwort hat aber viele Schattierungen. Jetzt will das Parlament keinen No-Deal, will aber auch nicht den angebotenen Deal. Die Briten wollen keinen Binnenmarkt, sie wollen keine harte Grenze zwischen Nordirland und Irland. Die Briten wollen nicht das institutionelle Gefüge der EU. Aber was wollen sie denn?“

Er sieht aber auch eine Möglichkeit für eine Lösung, zumindest eine kleine: “Ich glaube, in London müssen sie sich im Parlament auf die Zollunion konzentrieren und es möglich machen, im Freihandelsabkommen mit der EU zu bleiben. Weil, man ist unvorbereitet auf den 30. März, da entsteht sonst Chaos im Import und Export. Da werden dann Waren mit 25 Prozent taxiert, auch Autos. Ich denke, das wird eine Katastrophe. Die Europäische Union hat in den 17 Monaten alles gegeben, was möglich ist. Mit dem Backstop ist nichts zu machen. Ohne Abkommen sind wir wirtschaftlich und sozial auf einem sehr gefährlichen Weg.”

Das könnte Sie auch interessieren:

Im Video: Plan-B: Taktische Spiele in London