Werbung

Auf die Demokratie gibt es tatsächlich einen Anschlag

Martin Schulz spricht auf dem SPD-Sonderparteitag (Bild: dpa)
Martin Schulz spricht auf dem SPD-Sonderparteitag (Bild: dpa)

SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz giftet gegen Kanzlerin Angela Merkel. Ihre Politik sei ein Anschlag auf die Demokratie. Das ist drastisch – und trifft einen wahren Kern.

Ein Kommentar von Jan Rübel

So wie ein Mann aus Würselen die Welt sieht, ist die Kanzlerin eine gefährliche Frau. In dieser Welt schnappt sich Angela Merkel eine Schrotflinte und zwei, drei Granaten, sie zieht los zur Demokratie, die wohnt irgendwo zwischen Brandenburger Tor und Reichstag in Berlin. Dort angekommen ballert Merkel los, denn sie verübt einen Anschlag auf die Demokratie, jeden Tag. Ob der Tiergarten bei all dem Pulverrauch noch zu sehen ist?

Martin Schulz heißt dieser Mann, er ist Spitzenkandidat der SPD für die Bundestagswahl im Herbst, und er war einmal sehr bekannt. Das war bei seiner Nominierung im Frühling, nur ist der für ihn und die SPD längst vorbei; in den Umfragen ging es seitdem bergab, während sich Merkel in jenen stabilisierte. Das wurmt und ruft nach heftigeren Attacken, im Sinne der Unterscheidbarkeit. Auf dem Bundesparteitag der SPD rief Schulz am Wochenende, CDU und CSU würden sich vor inhaltlichen Aussagen drücken und damit in Kauf nehmen, dass weniger Bürger zur Wahl gingen. „Ich nenne das einen Anschlag auf die Demokratie“, wütete Schulz.

Kommentar: Angela Merkel verrät uns, was deutsch ist

Zugegeben, bei „Anschlag“ dachte man bisher weniger an CDU und CSU und mehr an den IS. Und vor allem weniger an Merkel und ihre vor Aktivismus nicht gerade sprühenden Politik, da war der Anschlag der 95 Thesen durch Martin Luther im Jahr 1517 lauter. Hat Schulz also überdreht?

Bei weiterer Betrachtung kommt man nicht umhin anzuerkennen, dass der Mann einen richtigen Kern trifft, wenn auch womöglich unbeabsichtigt. Immerhin kritisiert er zwei Parteien und eine Kanzlerin, mit der seine SPD seit Jahren regiert. Und dass sich die inhaltliche Schnittmenge zwischen Union und SPD seit vielen Jahren vergrößert hat, kann anstatt eines Vorwurfs nur die Anerkennung zeitgeschichtlicher Entwicklungen sein: Es liegt halt in der Natur der Sache, dass sich Ideen der Liberalität und des gemeinschaftlichen Zusammenhalts im Rahmen des Erkenntnisfortschritts durchsetzen. Die Gesellschaft sozialdemokratisiert sich, und eben auch die Union, dahinter liegt zumindest nicht nur eine Taktik Merkels zum Stimmenklau. Wem diese Tendenz nicht passt, dieser Abbau von Ressentiments gegen andere Gruppen, der hat in der Demokratie die AfD als neue Heimat.

In der Ruhe liegt vermeintliche Kraft

Schulz aber legt den Finger in eine andere Wunde. Er legt dar, dass CDU und CSU unter Merkel nicht einmal Programmatisches suchen, Unterschiede zur SPD hin oder her. Merkel versucht die normative Kraft des Faktischen auszuspielen, dass sie im Kanzleramt sitzt. Dass sie Europa- und Weltpolitik betreiben muss, dass sich viele erwartungsvolle Blicke, nicht nur in Deutschland, auf sie richten.

Dies jedenfalls frustriert all jene, die ein negatives Bild von Merkel zeichnen. Es gibt in der öffentlichen Wahrnehmung eben nicht nur jenes der Retterin, der besonnenen Unideologischen und Vernünftigen, sondern auch ein Negativbild – Merkel wütet dort als Zertrümmerin althergebrachter Werte, als verkappte Spionin oder bestenfalls naiv.

Kommentar: Fußball ist Männersache

Wer so die Kanzlerin sieht, wird von CDU und CSU gerade nicht überzeugend inhaltlich angegangen, dieses Bild möglicherweise zu überdenken und ins Mitte-Rechts-Lager der Union zurückzukehren. Indem Merkel jeden Tag unausgesprochen sagt „Sie kennen mich“, heizt sie tatsächlich eine Verdrossenheit über die politischen Institutionen an. So aber gewinnt das Establishment, das in Wirklichkeit keines ist, Wähler kaum zurück. Dass die mit der AfD nur die Mogelpackung eines Anti-Establishments und einer Rebellenpartei erhalten, muss nicht auf den ersten Blick auffallen. Auf den zweiten schon, da reicht ein Blick nach Sachsen-Anhalt. Als die AfD dort in den Landtag zog, hatte man es eilig, sich noch im Wahlmonat März als Fraktion zu konstituieren. Die Rebellen von der AfD wollten weniger mit ihrem Anti-Establishment-Konzept beginnen, sondern eher Geld von jenem Establishment einstecken: Genau 138 104,50 Euro aus Steuergeldern stehen ihr laut Abgeordnetengesetz an Fraktionsmitteln monatlich zu. Als den Grünen fünf Jahre zuvor der Einzug in den Landtag gelang, verzichteten sie freiwillig auf diese Zahlung. Die AfD aber hat verstanden, was sie am Establishment hat.

CDU und CSU sollten sich also, im Sinne der Demokratie, beeilen. Her mit ihrer Programmatik, mit ihren Antworten auf die drängenden Fragen! Her mit vier, fünf Botschaften als Bojen zur Orientierung. Bis Union und Merkel nicht liefern, müssen sie sich den Vorwurf gefallen lassen, durch ihr Verhalten Wählerfrust und niedrige Wahlbeteiligung in Kauf zu nehmen.

Mehr über den SPD-Parteitag im Video: