Auftritt in Wolfsburg - Unter Applaus läutet Scholz den Wahlkampf ein – doch im Publikum wächst die Panik

Olaf Scholz (SPD), Bundeskanzler und Kanzlerkandidat seiner Partei, spricht bei einer Wahlkampf-Veranstaltung im CongressPark Wolfsburg.<span class="copyright">Michael Matthey/dpa</span>
Olaf Scholz (SPD), Bundeskanzler und Kanzlerkandidat seiner Partei, spricht bei einer Wahlkampf-Veranstaltung im CongressPark Wolfsburg.Michael Matthey/dpa

In Wolfsburg hat Kanzler Olaf Scholz mit allerlei Parteiprominenz die heiße Wahlkampfphase der SPD eingeläutet. Die Parteibasis hält zu ihm, zeigt sich aber zunehmend besorgt von den schlechten Umfragewerten.

Oft kommt es nicht vor, dass Bundeskanzler im kleinen Wolfsburg vorbeischauen. An diesem Freitagabend ist es aber wieder mal so weit. Im Vergleich zu allen vorherigen Kanzlervisiten jedoch war klar, dass dieser Besuch etwas Besonderes werden würde, bevor er überhaupt begonnen hatte.

Denn mit SPD-Kanzler Olaf Scholz hat in der Volkswagenstadt ein Mann die heiße Wahlkampfphase einer Partei eröffnet, die zwar gerne weiter den Kanzler stellen würde, 37 Tage vor dem Urnengang in Umfragen jedoch um die 15, 16 Prozent herumdümpelt, während die Union 30 Prozent und mehr erzielt - und dies seit Wochen. Abgeschlagen selbst hinter der AfD mit etwa 20 Prozent rutschte die Kanzlerpartei sogar mal auf Platz vier hinter den Grünen zurück.

„SPD-Umfragewerte sind schon besorgniserregend“

Für Melanie Meinecke, ihre Tochter Ann-Ellen sowie Stefanie Hufmann aus Barwedel bei Gifhorn ist das ziemlich starker Tobak. Denn alle waren vor vier Jahren in die SPD eingetreten, weil sie nach 16 langen Merkel-Jahren „beschlossen hatten, den Sozialdemokraten bei der Wahl 2021 zum Sieg zu verhelfen“, sagt Stefanie Hufmann. „Das haben wir damals geschafft! Und Melanie ist obendrein noch Ortsbürgermeisterin von Barwedel geworden“, sagt sie und zeigt stolz auf ihre Freundin.

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Die drei Frauen tragen alle rote Hoodies mit SPD-Logo, die Laune im Wolfsburger Congresspark  scheint gut. Neben Scholz haben sich auch die SPD-Parteichefs Lars Klingbeil und Saskia Esken und weitere Promi-Genossen angekündigt.

Traten 2021 extra in die SPD ein, um ihr zum Sieg zu verhelfen: Melanie Meinecke (r.), Tochter Ann-Ellen (m.) und Stefanie Hufmann (l.)<span class="copyright">Ulf Lüdeke / FOCUS online</span>
Traten 2021 extra in die SPD ein, um ihr zum Sieg zu verhelfen: Melanie Meinecke (r.), Tochter Ann-Ellen (m.) und Stefanie Hufmann (l.)Ulf Lüdeke / FOCUS online

 

Doch wie ist die Stimmung an der Parteibasis und im Straßenwahlkampf?

Was das Plakatekleben angehe, sagt Melanie Meinecke, laufe bislang alles glatt. „Bei uns auf dem Land gibt es nicht so viel Stress wie in Städten, keine Angriffe, keine Pöbeleien. Außerdem sind wir gut vorbereitet auf Hausbesuche und an den Wahlständen.“

Doch das, was ihnen immer mehr zu schaffen mache, seien die miesen Umfragewerte. „Das ist schon besorgniserregend, muss ich wirklich sagen.“ Und dies gelte nicht nur für die schlechten Prozentzahlen der SPD, sondern auch für den Aufstieg der AfD. „Wir sorgen uns immer mehr um die Demokratie.“

SPD-Promis stimmen Publikum auf Kanzler ein

Bevor der Kanzler ans Mikro darf, der nicht als begnadeter Redner gilt, geben sich mehrere niedersächsische SPD-Größen auf dem Podium die Klinke in die Hand. Neben Generalsekretär Matthias Miersch sind dies Co-Parteichef Lars Klingbeil, Bundesarbeitsminister Hubertus Heil sowie Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil.

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Sie alle bringen das Publikum in Stimmung, VW-Betriebsratschefin Daniela Cavallo und SPD-Co-Chefin Saskia Esken sind auch dabei. Die Genossen loben Cavallo über den grünen Klee für den erzielten Tarifabschluss bei VW. Sie betonen die Wichtigkeit der Autoindustrie, von preiswerter Energie, Investitionen, Arbeitsplatzsicherung und Mindestlohn. Die Sprüche kommen beim Publikum gut an, dem Applaus nach zu urteilen sind die meisten SPD-Sympathisanten. Viele von ihnen arbeiten bei VW, auch das ist am Applaus rauszuhören.

Kanzler punktet ohne flammende Rede

Als nach etwa einer dreiviertel Stunde dann der Kanzler das Podium betritt und mit einem zaghaft gesprochenen „Hallo Wolfsburg!“ das applaudierende Publikum begrüßt, wird schnell klar, dass die Zuhörer ihm hier folgen werden, auch wenn Scholz in seiner nüchternen Art einen Fachvortrag halten sollte statt einer flammenden Wahlkampfrede.

Ruhig umreißt er die Kernpunkte des SPD-Wahlprogramms für eine Stabilisierung der Wirtschaft. Erreichen will er dies vor allem mit einer 10-Prozent-Prämie für Unternehmen, die in Ausrüstung und Maschinen im Inland investieren sowie einer Deckelung der Strompreise.

Große Zustimmung schlägt ihm auch entgegen, was sein Bekenntnis zur weiteren Unterstützung der Ukraine durch Geld und Waffenlieferungen betrifft. Und Jubel bricht im Saal aus, als Scholz in Anspielung auf den neuen US-Präsidenten Donald Trump versichert, dass eine Friedenslösung „nicht über die Köpfe der Ukraine hinweg“ entschieden werden dürfte.

Selbst SPD-Fans zweifeln, ob sie Scholz wiederwählen sollen

Doch wer im Publikum nachfragt, hört kritische Töne selbst von jenen, die der SPD grundsätzlich wohl gesonnen sind. „Ich weiß nicht, ob ich bei der SPD das Kreuz machen soll“, sagt eine Physiotherapeutin, die nicht ihren Namen nennen will. „Ich habe zwar schon mal SPD gewählt. Aber die letzten drei Jahre unter Scholz als Kanzler haben mich an der SPD zweifeln lassen.“ Themen wie Arbeitsplatzabbau und Abwanderung von Unternehmen ins Ausland sei ein wichtiges Thema, das sähen auch andere in ihrem Bekanntenkreis so, sagt die Mittfünzigerin.

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Ein ehemaliger Unterabteilungsleiter in der Entwicklung von VW sagt, dass er zwar der SPD ganz sicher seine Stimme geben werde. Doch den Optimismus, den auf der Bühne im Wolfsburger Congresspark SPD-Größen trotz niederschmetternder Umfragen selbst in Sachen Wahlsieg immer wieder verbreiten, teilt der einstige VW-Angestellte nicht.

Ob Olaf Scholz noch mal Kanzler werde, sei für ihn „eine ganz andere Frage“, meint der 58-Jährige, auf die anhaltenden Umfragedebakel angesprochen. „Am Ende ist das aber für mich nicht so wichtig. Was zählt, ist, dass die demokratischen Parteien sich klar durchsetzen werden“, sagt er in Anspielung auf die AfD.

Wünscht sich eine neue rot-grüne Bundesregierung, glaubt aber selbst nicht an eine ausreichende Mehrheit: Wolfsburgs Ex-OB Klaus Mohrs.Ulf Lüdeke / FOCUS online

Ex-OB Mohrs: „SPD kann aufholen, muss aber loslegen jetzt“

Unter den Gästen im Congresspark ist auch Klaus Mohrs. Von 2011 bis 2021 war der SPD-Mann Wolfsburgs Oberbürgermeister, dann trat er nicht mehr an und schaut auf die Politik inzwischen mit einem gewissen „Abstand“, wie er zugibt.

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Doch die aktuelle Entwicklung geht auch an ihm nicht spurlos vorbei. „Ich bin sicher, dass es der SPD noch gelingen kann, etliche Prozent bis zur Bundestagswahl am 23. Februar aufzuholen. Aber sie muss jetzt damit loslegen“, so der 71-Jährige und zieht seine Augenbrauen hoch.

Mohrs betont, dass man aufpassen müsse, dass die AfD nicht noch mehr Potenzial gewönne. „Ich hätte mir nie vorstellen können, dass die Demokratie in Deutschland wirklich mal gefährdet sein könnte.“ Er selbst wünscht sich, dass Deutschland in Zukunft wieder von einer Rot-Grünen Koalition geführt werde.

Schräger Vergleich vom SPD-Parteichef

Lars Klingbeil, der in Hildesheim geboren wurde, erinnert an diesem Tag in Wolfsburg unter großem Applaus daran, wie grandios die SPD 2022 die Landtagswahl in Niedersachsen gewonnen habe, weil die Niedersachsen zu kämpfen wüssten. „Und so wie in Niedersachsen machen wir das jetzt auch im Bund“, erklärte der Parteichef.

Was er nicht sagt: In Niedersachsen, wo zuletzt am 9. Oktober 2022 gewählt wurde, lag die SPD in den Umfragen jenes Jahres bis auf ein paar winzige Ausnahmen vorher immer zwischen 30 und 35 Prozent. Und nicht bei 15.