Aus Angst um seinen Job: Motiv für Germanwings-Absturz gefunden?

Nach dem Absturz der Germanwings-Maschine in den französischen Alpen stellt sich die unvermeidliche Frage nach dem "warum" nicht nur den Angehörigen der Opfer. Viel wurde in den vergangenen Tagen aus dem Leben des Copiloten Andreas Lubitz berichtet, der den Airbus-Crash absichtlich herbeigeführt haben soll. Wie "Bild" aus den Kreisen der Ermittler erfahren haben will, gibt es nun eine heiße Spur, die die Tat des Piloten erklären soll.

"Ein Hauptmotiv für uns ist derzeit, dass Lubitz offenbar Angst hatte, wegen seiner medizinischen Probleme die Flugtauglichkeit zu verlieren", heißt es in dem Bericht von einem der zuständigen Beamten. Demnach sei der 27-Jährige in der Vergangenheit mehrfach in medizinischer Behandlung gewesen. Den Informationen des Boulevardblatts zufolge soll Andreas Lubitz mit den Gedanken gespielt haben, eine Auszeit vom Fliegen einzulegen – allerdings habe er eine Krankschreibung, die seine Fluglizenz in Gefahr hätte bringen können, nicht einreichen wollen.

Lufthansa wusste nichts, von den gesundheitlichen Problemen

Der Lufthansa-Konzern betonte in den vergangenen Tagen mehrfach, von den gesundheitlichen Probleme des Germanwings-Copiloten nichts gewusst zu haben. Auch das familiäre Umfeld des passionierten Segelfliegers sei nicht eingeweiht gewesen. "Es ist schwer für die Familie, damit umzugehen. Ich wusste nichts von psychischen Problemen. Wenn wir Familienfeste feierten, war er fröhlich", sagte die Tante von Andreas Lubitz laut "Bild".

Seitdem bekannt ist, dass das Unglück offenbar wissentlich herbeigeführt wurde, sind Stimmen laut geworden, die eine Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht fordern. Für den Cockpit-Sprecher Ilja Schulz sei dies jedoch keine Option, weil Piloten dann um ihren Job fürchten müssten und sich zurückziehen würden. Er sagte der "Rheinischen Post": "Wenn mein Arzt von der Schweigepflicht entbunden ist, werde ich ihm gegenüber kein Problem ansprechen, weil immer die Angst vorm Fluglizenzentzug mitschwingt."

Luftfahrt-Psychologe: Psychische Probleme bei Piloten selten

Psychische Erkrankungen bei Piloten sind nach Einschätzung des langjährigen Lufthansa-Psychologen Reiner Kemmler deutlich seltener als im Bevölkerungsdurchschnitt. "Man kann sagen, bei diesem hoch ausgelesenen Personal liegt die Quote der psychischen Erkrankungen maximal halb so hoch", sagte Kemmler dem Magazin "stern". "Wenn also - wie geschätzt wird - etwa zehn Prozent der Deutschen irgendwann einmal unter einer Angsterkrankung leiden, sind es unter den Piloten maximal fünf Prozent."  

Kemmler, der den Angaben zufolge als Psychologe im Krisenstab der Lufthansa saß, hält den Menschen für "das größte Risiko in der Luftfahrt". 15 Prozent aller sicherheitsrelevanten Ereignisse seien vom Menschen ausgelöst, an weiteren 69 Prozent sei er beteiligt. Gleichzeitig sei der Mensch aber auch der wichtigste Faktor an Bord. "Nur er kann unvorhergesehene Probleme bewältigen."  

Kemmler arbeitete von 1989 bis 2005 als Psychologe für die Lufthansa und trainierte und therapierte dort unter anderem Flugschüler und Linienpiloten. Seit 2005 ist er selbstständig.

Untersuchungsbehörde BEA konzentriert sich auf Cockpit-Tür

Bei der Analyse des Germanwings-Absturzes konzentriert sich die französische Untersuchungsbehörde BEA derweil auch auf die Funktionsweise der Cockpit-Tür. Sie sei "von besonderem Interesse", teilte die Einrichtung für die Sicherheit der zivilen Luftfahrt am Dienstag in Paris mit. Die "Logik der Verriegelungssysteme" solle analysiert werden. Auch die Verfahren beim Betreten und Verlassen des Cockpits würden untersucht, um Schwachstellen zu erkennen, die zu der Katastrophe geführt haben könnten. Außerdem gehe es um "Kriterien und Verfahren für das Erkennen von psychologischen Besonderheiten".  

Die Ermittler gehen derzeit davon aus, dass der Pilot des Airbus mit 150 Menschen an Bord zum Zeitpunkt der Katastrophe aus dem Cockpit ausgesperrt war. Der Copilot wird verdächtigt, die Maschine mit Absicht zum Absturz gebracht zu haben.  

Die BEA bemüht sich nach eigenen Angaben um "eine genaue technische Beschreibung des Flugverlaufes". Dazu stützt sie sich auf eine detaillierte Analyse der Aufnahmen des bereits gefundenen Stimmenrekorders und andere bisher bekannte Flugdaten. Nach der zweiten Blackbox, dem Flugdatenschreiber, wird noch gesucht.

Bundeswehr unterstützt Bergungseinsatz in Frankreich

Die Bundeswehr wird den Bergungseinsatz nach dem Absturz der Germanwings-Maschine in den französischen Alpen mit zwei Hubschraubern unterstützen. Frankreich habe um die Hilfe gebeten, erklärte das Verteidigungsministerium am Dienstag. Die leichten Mehrzweckhubschrauber vom Typ Bell UH-1D sollen in den nächsten Tagen nach Frankreich starten. In den Bergen bei Seyne-les-Alpes suchen Retter im unwegsamen Gelände nach den Opfern der Flugzeug-Katastrophe und dem Flugdatenschreiber.

Lufthansa sagt wegen Germanwings-Absturz Feier zu 60. Jubiläum ab

Unterdessen sagt die Lufthansa die geplante Feier zu ihrem 60. Jubiläum ab. Die für den 15. April vorgesehenen Feierlichkeiten fänden "aus Respekt vor den Opfern des Absturzes von Flug 4U9525" nicht statt, teilte der Germanwings-Mutterkonzern am Dienstag in Frankfurt mit. "An Stelle der geplanten Jubiläumsveranstaltung wird Lufthansa den Staatsakt aus dem Kölner Dom, bei dem Angehörige und Freunde am 17. April 2015 der Opfer gedenken werden, für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter übertragen."  

Die heutige Lufthansa nahm 1955 - zehn Jahre nach Kriegsende und der Liquidierung der 1926 gegründeten alten Lufthansa - ihren Dienst auf: Am 1. April 1955 startete die neue Lufthansa ihren regelmäßigen Flugbetrieb innerhalb Deutschlands.  

Konzernchef Carsten Spohr hatte den Absturz in Südfrankreich am Dienstag vor einer Woche als "schwärzesten Tag in der 60-jährigen Geschichte unseres Unternehmens" bezeichnet.

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