Auszug aus „Deutschland auf der schiefen Bahn“ - Sarrazin in neuem Buch: „Anteil ethnischer Deutscher wird immer kleiner werden“

Thilo Sarrazin: 2020 wurde er aus der SPD geschmissen.<span class="copyright">IMAGO/Emmanuele Contini</span>
Thilo Sarrazin: 2020 wurde er aus der SPD geschmissen.IMAGO/Emmanuele Contini

„Deutschland auf der schiefen Bahn: Wohin steuert unser Land?“. So heißt das neue Buch des streitbaren Thilo Sarrazin. Hier ein Auszug aus einem Kapitel über Migration, Integration und Bevölkerungsentwicklung.

Natürlich spielt es für die Akzeptanz von Einwanderung und für die Leichtigkeit von Integration eine immense Rolle, ob jemand aus einem ähnlichen Kulturkreis kommt. Wichtig ist auch, ob er aufgrund seiner ethnischen Herkunft bereits optisch in Deutschland und anderen europäischen Aufnahmeländern gut integriert ist.

Die Hoffnung, dass sich Integration im Lauf der Generationen quasi zwangsläufig einstellt, hat sich zumindest bei einem großen Teil der Migranten muslimischen Glaubens nicht erfüllt.

Der Lehrer Muhammed Mertek beobachtet an seiner Gesamtschule in Hamm bei den deutsch-türkischen Schülern der vierten Generation „eine Identitätsbildung, die nicht mit dem Deutschtum in Einklang gebracht werden kann und auf einer Antihaltung gegenüber der fremden deutschen Kultur basiert. […] Denn türkische Kinder leben meist in einer sozialen Blase, in der die Herkunftsidentität maximale Wertschätzung findet.“

Dazu passt die Beobachtung meiner Frau Ursula Sarrazin aus ihrer langjährigen Tätigkeit als Grundschullehrerin in fünf Städten und drei Bundesländern, dass seitens der muslimischen Eltern schon bei den Grundschulkindern die soziale Mischung mit Deutschen nicht erwünscht war. Private Kontakte der Kinder wurden entsprechend gelenkt.

„Anteil ethnischer Deutscher an der Bevölkerung wird immer kleiner werden“

Die in Kapitel 3 im Abschnitt „Die Entwicklung der Weltbevölkerung“ besprochene 15. koordinierte Bevölkerungsvorausschätzung des Statistischen Bundesamtes geht in ihren mittleren Varianten davon aus, dass die Bevölkerung in Deutschland 2070 mit 83 bis 90 Millionen etwa auf dem heutigen Niveau liegt, abhängig von der Höhe der Zuwanderung.

Die laufende demografische Erneuerung der Bevölkerung findet aus der Kombination beider Elemente – Geburten und Zuwanderung – statt. Der Anteil der ethnischen Deutschen daran wird laufend sinken, weil sie ja nicht zuwandern und weil die Zahl der Geburten ethnischer Deutscher bei unveränderter Geburtenziffer fortlaufend sinkt.

1965 gab es 1,3 Millionen Geburten ethnischer Deutscher, gegenwärtig sind es etwa 500.000, und um das Jahr 2070 werden auf die Bevölkerung mit ethnischer deutscher Herkunft noch ca. 200.000 Geburten entfallen.

80 Prozent der laufenden Erneuerung der Bevölkerung – sei es durch Zuwanderung, sei es durch Geburten – finden dann durch Zuwanderer und durch die Geburten der Bevölkerung mit Migrationshintergrund statt.

Auch in den nachfolgenden Jahrzehnten wird der Anteil ethnischer Deutscher an der Bevölkerung in Deutschland immer kleiner werden und irgendwann einen infinitesimalen Charakter haben. Das muss nicht unbedingt den Untergang Deutschlands als Staat und Gesellschaft bedeuten. Aber ein solchermaßen verwandeltes Land wird ethnisch, kulturell und vom Augenschein her nicht mehr viel mit dem früheren Deutschland zu tun haben.

„Zielländer des weißen Nordens werden ethnisch und kulturell heterogener“

Diese bei unveränderter Einwanderung für Deutschland absehbare Entwicklung ist Teil eines säkularen Trends, der seit einiger Zeit mehr oder weniger alle ehemals „weißen“ Länder in Europa, Nordamerika und Ozeanien erfasst. Der kanadische Politikwissenschaftler Eric Kaufmann hat dieser Entwicklung ein ganzes Buch gewidmet, das den bezeichnenden Titel Whiteshift trägt.

Die relative Geburtenarmut in den Ländern mit überwiegend weißer Bevölkerung und ihr Entwicklungsvorsprung, der sich im Wohlstandsgefälle zeigt, führen zu weltweiten Wanderungsbewegungen, die die Zielländer des weißen Nordens ethnisch und kulturell heterogener machen.

Dieser Prozess bringt vielfältige Spannungen mit sich und führt dazu, dass die europäisch-stämmigen „Weißen“ in ihren Heimatländern demografisch unter Druck geraten.

Die Konfrontation Europas mit einer stark wachsenden Minderheit muslimischen Glaubens aus Afrika und dem Nahen und Mittleren Osten, die irgendwann zur Mehrheit werden kann, ist eines dieser Spannungselemente.

„Die Tabuisierung steht im Widerspruch zur Bedeutung ethnischer Identität“

Das Thema der ethnischen Herkunft hat in den letzten Jahrzehnten eine besondere Tabuisierung erfahren. Diese Tabuisierung steht im Widerspruch dazu, dass vielen Menschen und ganzen Bevölkerungsgruppen ihre ethnische und damit verbunden ihre kulturelle Identität sehr wichtig ist:

  • Ein prominentes Beispiel sind die Juden, die sich – auch soweit sie in Europa lebten und leben – immer auch durch ihre biologische Herkunft definiert haben. Jude ist nach dieser Lesart, wer eine jüdische Mutter hat. Der Wunsch nach Bewahrung der jüdischen Identität führte in Europa zur Entstehung des Zionismus und zu den Bestrebungen, in Palästina einen jüdischen Staat zu gründen. Das sind die historischen Wurzeln des Staates Israel.

  • Auch Sinti und Roma, die in ganz Europa, vor allem aber in den Ländern des Balkans, als Minderheiten leben, definieren sich nicht nur kulturell, sondern auch ethnisch.

  • Unter den schwarzen Bürgern der USA gibt es starke Bestrebungen, sich nicht nur ethnisch, sondern auch kulturell in Abgrenzung von der weißen Mehrheitsgesellschaft zu definieren.

„Typische Unterschiede sollen nicht mehr benannt werden“

Seit einiger Zeit nehmen – insbesondere in den weißen Bevölkerungsteilen multiethnischer Gesellschaften – die Bestrebungen zu, die Existenz ethnischer Unterschiede und auch der mit ihnen verbundenen kulturellen Unterschiede möglichst zu tabuisieren.

Typische Unterschiede sollen nicht mehr benannt werden und nicht zum Thema gemacht werden – weder in politischen Äußerungen noch in kulturellen Darbietungen noch in Karikaturen und Witzen: Der Mexikaner darf nicht mehr mit Sombrero, der Chinese nicht mehr mit Zopf abgebildet werden, und die zeichnerische Darstellung typischer Stereotype wie einer ausgeprägten Nase bei Juden oder wulstiger Lippen bei Schwarzen ist sowieso tabu.

Richtig ist daran, dass man generell immer erst das menschliche Individuum sehen muss. Richtig ist aber auch, dass mit dem Individuum stets auch seine ethnische und kulturelle Herkunft untrennbar verbunden ist und dass man auch dem Individuum nicht gerecht werden kann, wenn man diese tabuisiert oder künstlich ignoriert.

Rassismusvorwurf wird „immer hemmungsloser und ausufernder“ eingesetzt

Solche Tabuisierungen haben sich gesellschaftlich und politisch immer mehr verbreitet. Mittlerweile gilt es in manchen Kreisen schon als Fauxpas, wenn man jemanden mit signifikant außereuropäischem Aussehen nach seiner Herkunft oder der Herkunft seiner Vorfahren fragt.

So werden menschliches Interesse und natürliche Neugierde mit ideologisch bestimmten falschen Zuschreibungen versehen und auf diese Weise tabuisiert. Immer hemmungsloser und ausufernder wird der Rassismusvorwurf eingesetzt.

Als ich für die migrantische Bevölkerung in Europa den Zusammenhang zwischen islamischer Religion, schlechter Bildungsleistung und mangelhafter Integration analysierte, wurde mir “kultureller Rassismus“ vorgeworfen.

Die türkischstämmige Journalistin Güner Balci, heute Integrationsbeauftragte im Berliner Bezirk Neukölln, wird von radikalen Antifa-Gruppen als „Erfolgsrassistin“ geschmäht und steht unter Polizeischutz.

Als besonders schwerwiegendes Fehlverhalten gilt in diesen Kreisen, dass sie mich im Jahr 2011 nach dem Erscheinen von Deutschland schafft sich ab einige Male interviewte.

Auch der sozialdemokratische Bezirksbürgermeister von Neukölln, Martin Hikel, der sie berief, wird als Rassist beschimpft und bedroht.

„Ideologen leugnen gruppenbezogene Unterschiede“

Bei solchen Verirrungen treffen sich jene Ideologen, die alle gruppenbezogenen Unterschiede zwischen Menschen prinzipiell leugnen, mit den marxistisch geprägten Feinden einer marktwirtschaftlichen, auf Privateigentum und individueller Leistung gegründeten Gesellschaftsordnung.

An dieser Stelle verliert sich die Rassismusdebatte ins Fantastische und Unseriöse.