Autopilot dreht durch: Tesla-Fahrt wird zum Albtraum

Teslas Autopilot hat sich durch Phantombremsungen bereits einen zweifelhaften Ruf erworben. Ein Gutachter kommt nun zum Schluss: Der Autopilot sei ein "Sicherheitsrisiko".

Die Rechtsanwaltskanzlei Christoph Lindner hat sich inzwischen als "Tesla-Anwalt" etabliert und vertritt regelmäßig enttäuschte Käufer von E-Autos, darunter oft, aber nicht ausschließlich, Tesla-Kunden. Besonders interessante Fälle werden auf dem Kanzlei-Blog veröffentlicht. So auch kürzlich: Ein Fahrzeuggutachter musste laut Bericht eine Testfahrt mit einem Tesla abbrechen, da das Fahrassistenzsystem "Autopilot" unerwartete und teils riskante Eingriffe in den Verkehr vorgenommen habe.

Der Fall begann, als ein Tesla Model 3-Besitzer die Kanzlei kontaktierte, nachdem es nach seinen Aussagen wiederholt zu sogenannten Phantombremsungen gekommen war. Diese treten auf, wenn der "Autopilot" – ein fortschrittlicher adaptiver Tempomat – das Fahrzeug ohne erkennbaren Grund stark abbremst. Teslas Prozessvertreter bestreiten laut der Kanzlei, dass es beim Fahrzeug des Mandanten überhaupt zu solchen Phantombremsungen gekommen sei. Das Gericht beauftragte daraufhin einen unabhängigen Gutachter mit der Untersuchung. Das Gutachten zeigt laut dem "Tesla-Anwalt", dass Teslas Autopilot in seiner aktuellen Form "ein Sicherheitsrisiko" darstellt.

Sachverständiger meldet "Phantombremsungen" beim Tesla Model 3

Laut dem online einsehbaren anonymisierten Gutachten legte der Sachverständige während seiner Testfahrt im Tesla Model 3 rund 700 Kilometer zurück. Die Fahrt, bei der der Autopilot verwendet wurde, dokumentierte der Gutachter mithilfe selbst installierter Kameras.

Während der Fahrt kam es dem Gutachten und der Anwaltskanzlei zufolge zu fünf Vorfällen, in denen der Sachverständige das Verhalten des Assistenzsystems als "unplausibel" bewertete. Vier dieser Situationen verliefen glimpflich und konnten durch manuelles Eingreifen des Fahrers entschärft werden. So reduzierte das Fahrzeug zweimal in Baustellen bei verengten Fahrbahnen eigenständig die Geschwindigkeit, weil es den Abstand zu Fahrzeugen auf der benachbarten Spur als zu gering einstufte.

Es gab jedoch einen Vorfall, der weitaus ernster hätte enden können: Auf einem dreispurigen Autobahnabschnitt bremste das Model 3 laut Gutachten bei einer Geschwindigkeit von 140 km/h plötzlich und ohne erkennbaren Grund auf 93 km/h ab, obwohl keine Hindernisse vorhanden waren. Der Gutachter fuhr zu diesem Zeitpunkt auf der linken Spur. Der Grund für diese abrupte Bremsung um fast 50 Stundenkilometer bleibt ungeklärt. "Durch diese Situation kam es im nachfolgenden Verkehr zu erheblichen Gefahrensituationen. Dort konnten Ausweichmanöver und starke Bremsmanöver der nachfolgenden Fahrzeuge beobachtet werden[…]", heißt es im Gutachten.

Gutachter stoppt weitere Tests mit Teslas Autopilot

Der Sachverständige sah sich gezwungen, die Probefahrt mit aktiviertem Autopilot abzubrechen, um mögliche Gefährdungen zu vermeiden. Weitere Tests will er nun nicht mehr durchführen: "Eine weitere Erprobung des [streit]gegenständlichen Fahrzeuges im öffentlichen Verkehrsraum, ohne abgesperrte Autobahnabschnitte, war aus Sicht des Unterzeichners aus Sicherheitsgründen nicht mehr durchführbar."

Die Kanzlei Christoph Lindner bewertet das Ergebnis als "besonders bedeutsam", da erstmals ein unabhängiger, gerichtlich beauftragter Sachverständiger das Auftreten von Phantombremsungen bestätigt habe. Tesla sieht sich wegen solcher Phantombremsungen sowie weiterer Probleme mit den Assistenzsystemen Autopilot und "Full Self-Driving" regelmäßig Kritik ausgesetzt. In den USA wurden bereits mehrere Untersuchungen eingeleitet, nachdem es zu Unfällen gekommen war, bei denen mutmaßlich Teslas Assistenzsysteme eine Rolle spielten.

Im Herbst 2022 entschied sich Tesla, den sogenannten "Vision Only"-Ansatz zu verfolgen. Das bedeutet, dass die Fahrzeuge ausschließlich mit Kameras zur Erkennung der Umgebung arbeiten. Im Gegensatz dazu setzen die meisten anderen Autohersteller auf eine Kombination von Kameras und Radar- oder Lidar-Sensoren. Seit der Umstellung hat sich jedoch gezeigt, dass die kamerabasierte Erkennung häufiger zu Fehlern führt.

EFAHRER zieht Fazit: Zeit war längst reif

Teslafahrer dürften über diesen Gutachter-Bericht in zweierlei Hinsicht erstaunt sein: Phantombremsungen sind allgemein bekannt, und wer längere Zeit mit einem aktuellen Tesla unterwegs war, weiß, dass der Autopilot durch einfaches Gasgeben übersteuert werden kann. Dass es nun erst ein Gutachter offiziell bestätigt, dass diese Phänomene existieren, erscheint daher fast absurd.

Der zweite Grund für Verwunderung: Viele moderne Fahrzeuge mit Notbremsassistenten und adaptiven Tempomaten machen gelegentlich Fehler und bremsen in Situationen, die aus Fahrersicht nicht notwendig erscheinen. Im EFAHRER-Testalltag fiel dies bei mehreren Audis auf, die auf der A9 bei München Richtung Nürnberg auf eine nicht existierende Tempo-70-Beschilderung reagierten und plötzlich langsamer wurden.

Bei Tesla scheinen solche Fehler jedoch häufiger aufzutreten – und wiegen besonders schwer, wenn man die großspurigen Versprechungen von Elon Musk in Betracht zieht. Seit 2019 kündigt er regelmäßig das baldige Erscheinen eines vollständig autonomen Tesla an.

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