Axel Petermann im Interview - Kriminologe ordnet Messer-Anschlag ein - und erklärt, wie er den Täter einschätzt
Die Attacke von Solingen, bei der ein Täter drei Menschen tötete und neun weitere zu Teil schwer verletzte, erschüttert ganz Deutschland. Die Suche nach dem Menschen, der zu dieser Tat fähig war, dauert weiter an. Im Interview mit FOCUS online ordnet der Kriminologe und Fallanalytiker Axel Petermann das Geschehen ein.
Am Freitagabend kam es auf der 650-Jahr-Feier in Solingen zu einer schlimmen Attacke, an deren Ende drei Menschen getötet und neun weitere verletzt wurden. Der Täter ist weiterhin auf der Flucht. Erst 12 Stunden später gibt es eine erste Täterbeschreibung, die auf einen 20 bis 30 Jahre alten Mann hinweist.
Axel Petermann ist ein deutscher Kriminalist und Fallanalytiker. Im Gespräch mit FOCUS online ordnet der 71-Jährige die Geschehnisse von Solingen ein, erklärt die nächsten Fahndungsschritte und erläutert, wieso er von keiner Profi-Tat ausgeht.
FOCUS online: Ein Mensch tötet drei Menschen und verletzt neun weitere - dennoch dauert es lange, bis es überhaupt eine erste Täterbeschreibung gibt. Wie ordnen Sie den Fall ein?
Axel Petermann: Das ist ungewöhnlich, weil wir es mit einer Veranstaltung zu tun haben, auf der viele Menschen und Augenzeugen waren. Vielleicht rückte der Angriff mit dem Messer in den Vordergrund und keiner konzentrierte sich auf den Täter. Die Bestürzung und der Schrecken bei den Zeugen ist dabei ein großer Faktor.
Es gibt keine Hinweise zur Statur oder Kleidung des Täters. Die Lichtverhältnisse um die Uhrzeit erschweren die Beschreibung zusätzlich. Die Überwachungskameras im öffentlichen Raum werden sicherlich genaustens geprüft, um auf diese Weise zu einer Beschreibung des Täters zu kommen.
Sie haben Faktoren angesprochen, die es erschweren, ein schnelles Täterprofil zu erstellen. Spricht dies für eine Tat eines Profis?
Petermann: Das glaube ich nicht, der Täter kann nicht einschätzen, wie die Zeugen reagieren. Dass der Täter bei der Tat beobachtet wird, ist klar. Der Ort wurde bewusst ausgesucht. Wenn es dem Täter nur darum ginge, Menschen zu töten oder zu verletzen, hätte der Täter einen abgeschiedenen Ort gewählt. Dass der Täter nicht beschrieben werden kann, ist ihm nicht zuzurechnen.
Es liegt vielmehr daran, dass es auf so einem Fest viele andere Einflüsse für die Zeugen gibt. Es kann auch sein, dass Stunden später noch eine sehr detaillierte Beschreibung des Täters abgegeben wird.
Wie läuft eine solche Fahndung nach einem flüchtigen Täter ab?
Petermann: Es werden Kontrollstellen und Fahndungsringe eingerichtet. Anderseits ist davon auszugehen, dass unmittelbar nach der Tat das komplette Chaos herrschte. Es gibt Verletzte, Tote und viel Geschreie. In dem Zustand, wo niemand genau weiß, was passiert ist, hat der Täter natürlich Zeit um zu fliehen. Innerhalb kürzester Zeit kann dieser eine Strecke hinter sich bringen.
Auch weitere Hinweise der Person bei der Flucht werden geprüft. Alle Informationen, die der Tatort bietet, werden nun miteinander verknüpft. Das Netz wird auch auf Bekennerschreiben geprüft.
Petermann zur Tatwaffe: „Wichtiges Glied in der Beweisführung“
Welche Rolle spielt die Tatwaffe bei den Ermittlungen?
Petermann: Es ist immer wichtig, die Tatwaffe zu kennen. Es ist eine bewusste Entscheidung des Täters, mit welcher Waffe der Angriff ausgeführt wird. Ein Messer ist klein und der Täter ist womöglich im Umgang damit geübt, weil er es immer bei sich führt. Dazu würde ich zum jetzigen Zeitpunkt plädieren, dass der Täter eine Waffe wählt, mit der er sich wohlfühlt. Der Täter hätte auch eine Pistole wählen können, aber da wäre eine begrenzte Anzahl an Munition im Magazin gewesen. Dies hätte er nachladen müssen.
Ein Messer ist hingegen immer einsatzfähig und auch gut zu verstecken. Es wäre wichtig, die Tatwaffe zu finden, um Spuren des Täters - seine DNA - oder das Blut der Opfer daran zu finden und abzugleichen. Es ist ein wichtiges Glied in der Beweisführung.
Könnte es auch sein, dass die Polizei aus ermittlungstaktischen Gründen nicht zu viele Hinweise auf den Täter an die Öffentlichkeit weitergibt?
Petermann: Man muss davon ausgehen, dass der Mensch, der bereits getötet hat, sehr gefährlich ist. Gewisse Informationen über den Täter würde man sicherlich nicht direkt weitergeben, um die Person nicht aufzuscheuchen. Sollte dies negativ verlaufen, könnte immer noch der Schritt unternommen werden, öffentlich nach der Person zu fahnden. Das ist sicherlich eine Abwägungssache. Es geht dabei auch um den Schutz der Öffentlichkeit.
Herr Petermann, vielen Dank für das Gespräch!