Baerbock dringt in UN-Rede auf Friedenslösung für die Ukraine
Kurz vor dem ersten Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine hat sich die UN-Vollversammlung mit einem Resolutionsentwurf befasst, in dem der vollständige Abzug der russischen Armee aus dem Nachbarland gefordert wird. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) appellierte am Donnerstag in einer Rede vor der Versammlung an die internationale Staatengemeinschaft, sich geschlossen für ein Ende des Krieges einzusetzen.
Der Weg zum Frieden sei "sehr klar", sagte Baerbock in New York. "Russland muss seine Soldaten aus der Ukraine abziehen. Russland muss die Bombardierungen beenden. Russland muss zur UN-Charta zurückkehren." Alle UN-Mitgliedstaaten könnten zu diesem "Friedensplan" beitragen, sagte die Außenministerin. Dem "Aggressor" müsse klar gemacht werden, dass er den Krieg stoppen müsse.
Die Sondersitzung der UN-Vollversammlung zur Ukraine hatte am Mittwoch begonnen. Über den Resolutionsentwurf sollte am Donnerstagabend MEZ abgestimmt werden. In dem von Deutschland unterstützten Text wird ein "umfassender, gerechter und dauerhafter Frieden in der Ukraine" und ein vollständiger Abzug der russischen Truppen aus der Ukraine gefordert.
Resolutionen der UN-Vollversammlung sind zwar nicht völkerrechtlich bindend. Die Unterstützer der Ukraine erhofften sich allerdings ein starkes politisches Signal an Moskau durch eine möglichst breite Zustimmung für die Resolution. Die bislang größte Mehrheit bei einer UN-Resolution zum Ukraine-Krieg hatte es im Oktober gegeben, als 143 Staaten die "illegalen Annexionen" der ukrainischen Regionen Luhansk, Donezk, Cherson und Saporischschja durch Russland verurteilt hatten.
Mit besonderer Spannung wurde das Abstimmungsverhalten von China, Indien und mehr als 30 weiteren Staaten erwartet, die sich bei vorherigen UN-Abstimmungen über den Ukraine-Krieg enthalten hatten. Der chinesische Botschafter bei der UNO, Dai Bing, nahm am Donnerstag eine dezidiert neutrale Position ein und appellierte sowohl an Kiew als auch an Moskau, die Kämpfe einzustellen und Friedensverhandlungen zu beginnen.
Zum Abstimmungsverhalten Chinas bei dem vorliegenden Resolutionsentwurf äußerte sich Dai nicht. Baerbock appellierte nach ihrer Rede vor der Vollversammlung an China, sich der Resolution anzuschließen. Es sei ein "echter Friedensplan absolut notwendig, den China mit unterstützt".
China hat eigene Vorschläge für eine "politische Lösung" im Ukraine-Konflikt angekündigt. Allerdings sind westliche Staaten angesichts der Nähe Chinas zu Russland skeptisch. Zuletzt wurden sogar Befürchtungen laut, China könnte Russland Waffen liefern.
Zu den Unterstützern des UN-Resolutionsentwurfs gehört Japan. Der japanische Außenminister Yoshimasa Hayashi äußerte die Hoffnung auf ein Ende des Kriegs binnen Jahresfrist. "Nächstes Jahr sollten wir uns nicht hier aus Anlass des zweiten Jahrestag dieses sinnlosen Angriffskriegs treffen", sagte er. Vielmehr solle es 2024 einen "Gipfel für den Frieden" geben.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sieht allerdings keine Perspektive für einen baldigen Frieden. Es sei eine seiner "größten Sorgen, dass das jetzt ein sehr langer, sich hinziehender Krieg wird mit unglaublichen Zerstörungen und Verlusten", sagte er in der ZDF-Sendung "Maybrit Illner". "Der Moment, der eine Friedensperspektive eröffnet, der muss erst noch entstehen", sagte Scholz. Eine Voraussetzung dafür sei die "Bereitschaft, die Ukraine so lange zu unterstützen, wie das notwendig ist."
Verhandlungen könne es nur geben, wenn Russland seine Truppen zurückziehe, bekräftigte der Kanzler. Er vermied es aber, eine Antwort auf die Frage zu geben, bis wohin dieser Rückzug gehen müsse. "Die Frage, was der Gegenstand einer solchen Verständigung sein wird, muss die Ukraine entscheiden", sagte Scholz. "Das werden wir nicht von außen festlegen."
Am Freitag, dem ersten Jahrestag der russischen Invasion, wird sich der UN-Sicherheitsrat mit dem Ukraine-Krieg befassen. Auch dort wird Baerbock sprechen. Das aus 15 Staaten bestehende Gremium hat zwar mehr Macht als die Vollversammlung. Doch kann Russland mit seinem Vetorecht im Sicherheitsrat alle völkerrechtlich bindenden Beschlüsse verhindern.
dja/ck