Bahn-Mitarbeiter legen nach - DB-Führungskraft: „Viele von uns bleiben nur aus Bequemlichkeit oder feiern krank“

Mitarbeiter der Deutschen Bahn berichten von erschreckenden Zuständen. Ein Zugchef spricht von kuriosen Veränderungen seiner Aufgabenbereiche. Eine Führungskraft für Bistromitarbeiter erzählt von Diebstahl und offenbart: „Viele feiern nur noch krank.“

Die Deutsche Bahn scheint im Innern marode. Diesen Anschein erwecken schockierende Aussagen von Angestellten des Staatskonzerns. Lokführer, Fahrdienstleiter, Zugchefs oder Führungskräfte – sie alle berichten von Zuständen, die aufhorchen lassen.

Die jüngsten Berichte aus dem Bahninneren offenbarten Mitarbeitende FOCUS online bei einer Zugreise quer durchs Land . Sie berichteten unter anderem von ihrem Frust gegenüber der Geschäftsführung, die „Hauptverursacher“ der Probleme seien und mit „gefüllten Taschen dasitzen“, oder von einem Schichtsystem, mit nur kurzen Ruhepausen und spontanen Dienstplanänderungen, teils ohne Rücksprache: „Das hält man auf Dauer nicht aus“, sagte etwa ein Lokführer.

Auf die FOCUS-online-Recherche haben zahlreiche Bahn-Mitarbeitende reagiert. Einige berichten von ähnlichen Erlebnissen und bestätigen die geschilderten Zustände. Andere gewähren ganz neue, verstörende Einblicke.

DB-Zugchef: „Bei medizinischem oder anderem Vorfall müssen uns die Fahrgäste suchen“

So etwa ein Zugchef. Name und Einsatzbereich sind FOCUS online bekannt. Er berichtet von zu geringer Besetzung in Zügen mit 13 Waggons: „zwei Gastronomen, ein Zugchef und ein Betreuer, für circa 1000 Fahrgäste“.

„Wir Zugbegleiter sollen Ordnungs-, Sicherheits- und Wohlfühlatmosphäre herstellen, für die Fahrgäste jederzeit Ansprechpartner sein“, sagt er. In der aktuellen Situation müssten die Fahrgäste das Personal aufsuchen, nicht etwa andersherum.

„Sollte es mal zu einem medizinischen oder anderen Vorfall kommen, müssen uns die Fahrgäste im Zug suchen, um uns zu verständigen“, so der Zugchef. Oder aber: „Sie müssen die Notbremse ziehen, dann liegt die Suche an uns.“

Statt Ticketkontrolle soll mehr Kaffee verkauft werden

Besonders aufhorchen lässt jedoch die Lage der Zugbegleiter, wenn es um ihre Aufgabenbereiche geht. Wie der Zugchef weiter berichtet, komme es vor, dass Zugbegleiter gastronomische Aufgaben übernehmen. Auch hier fehle es an Personal: „Die Gastronomen sollen den Service im Restaurant und Zugbistro sicherstellen. Früher waren sie zu dritt oder zu viert.“

Heute jedoch seien sie nur noch zu zweit und zudem für die 1. Klasse mitverantwortlich. „Zudem“, kritisiert der Zugchef weiter, „werden die Gastronomen zum Sicherheitskonzept hinzugezogen, wo sie sich nicht richtig auskennen und nicht richtig geschult wurden.“

Und andererseits sollen die Zugbetreuer, die eigentlich für die Fahrgäste im Zug zuständig sind, „keine Fahrscheinkontrolle mehr durchführen, sondern Kaffee, Snacks und Getränke verkaufen“. Das würden ihre Vorgesetzten aus dem Bahnvorstand so wollen, sagt der Zugchef.

„Das ist der DB-Spitze scheißegal, der Zug muss rollen!“

Der Hintergrund sei, dass jedes verkaufte Ticket, das nicht nur im Fernverkehr verbleibt, mit den einzelnen Verkehrsbetrieben geteilt werden müsse. Anders verhalte sich das beim Kaffee- und Snackverkauf: „Das verbleibt zu 100 Prozent im Fernverkehr.“

Die Vorgesetzten, so der Zugchef weiter, seien angehalten, das Personal daran zu erinnern, den sogenannten „Am Platz Service“ (APS) durchzuführen. „Ansonsten gibt es Gespräche.“

Das Fazit des Zugchefs: „Weniger Personal, mehr Arbeit in fremden Bereichen, weniger Bezahlung, Druck von oben, keine Motivation.“ Und weiter: „Wir werden ständig unter Druck gesetzt. Dass wir Züge nur mit einem Zugchef fahren oder dass der ganze Zug defekt ist, das ist der DB-Spitze scheißegal, der Zug muss rollen!“

„Hauptsache er oder sie kann drei Worte Deutsch

Eine Führungskraft der DB Fernverkehr AG, verantwortlich für rund 70 Mitarbeiter, die tagtäglich ihren Dienst beim Bordservice im Fernverkehr leisten, berichtet FOCUS online ähnlich. „Es ist inzwischen nur noch ein einziges Chaos in diesem Unternehmen“, sagt sie.

„Von den oberen Führungskräften“ würde sie instruiert werden, „einfach jeden“ einzustellen. „Hauptsache er oder sie kann drei Worte Deutsch. Auf Qualifikationen wird komplett verzichtet.“ Ebenso werde nicht mehr wie früher geprüft, ob der Bewerber einschlägig vorbestraft sei oder nicht, sagt sie. Die Bahnmitarbeiterin macht das fassungslos: „Den Mitarbeitern werden ja auch Werte und Firmengelder anvertraut.“

DB-Führungskraft: „Neue Mitarbeiter verschwinden mit ihrer Ausrüstung“

Hat man dann jemanden eingestellt, halte das oft nicht lange, berichtet die Frau weiter. Viele neue Mitarbeiter würden das Unternehmen Deutsche Bahn relativ schnell wieder verlassen, „weil sie erstens unterbezahlt und vom eigenen Unternehmen komplett überfordert werden“.

Zum Teil würden neue Mitarbeiter aber auch nach kurzer Zeit nicht mehr zum Dienst erscheinen und mitsamt ihrer Ausrüstung (Handy, Tablet, Uniform) verschwinden, berichtet die Führungskraft. „Auf Nimmerwiedersehen ... Es ist ein Fass ohne Boden inzwischen!“

„Viele von uns bleiben nur noch aus Bequemlichkeit oder feiern´krank´“

Auch die Ausbildung lasse stark zu wünschen übrig: „Nach der Einstellung werden die neuen Mitarbeiter dann kurz (vier Wochen) von total unfähigen Ausbildern geschult und anschließend auf den Fahrgast losgelassen.“ Dies führe unweigerlich zu großen Problemen mit den Fahrgästen und auch im Kollegium.

Die obere Führungsebene sei „komplett weltfremd und trifft (wenn überhaupt) Entscheidungen, die nur noch Kopfschütteln bei uns operativen Führungskräften auslösen“, kritisiert sie.

In ihrem Kollegenkreis sei nur noch Frust und Unverständnis da: „Viele von uns bleiben nur noch aus Bequemlichkeit oder feiern immer öfter krank.“

Die Vorwürfe der Bahnmitarbeiter, über die FOCUS online in den vergangenen Tagen berichtet hat, wiegen schwer. FOCUS online hat den Konzern damit konfrontiert. Lesen Sie hier, was die Bahn zu den Berichten ihrer Mitarbeiter sagt .