Balkan als salafistischer Brückenkopf - IS instrumentalisiert jugendliche Migranten: Österreich findet Lösungen, Deutschland noch nicht
Die österreichische Polizei, der Staatsschutz sowie ausländische Geheimdienste konnten seit 2020 zahlreiche islamistische Anschlagspläne ähnlich dem in Solingen verübten durchkreuzen. Die Drahtzieher des Islamischen Staats (IS) nutzen laut Shams Ul-Haq die fehlende Integration muslimischer Jugendlicher aus dem Westbalkan.
Der islamistisch motivierte Amokläufer Kujtim F., der 2020 in Wien durch die Polizei erschossen wurde, war gebürtiger Österreicher mit albanischen Wurzeln. Er besaß sowohl die nordmazedonische wie die österreichische Staatsbürgerschaft. Nach einem Versuch, die türkisch-syrische Grenze zu überschreiten, um sich dem Islamischen Staat als Kämpfer anzuschließen, wurde er zu einer Haftstrafe verurteilt.
In der Zeit zwischen Entlassung und Amoklauf lernte ihn zufällig ein 13-Jähriger kennen, nahm ihn sich zu seinem Vorbild und plante nur drei Jahre später, im September 2023, einen Anschlag auf den Wiener Hauptbahnhof. Bei der jüngsten Anschlagsplanung auf ein Taylor Swift Konzert wurde der 19-jährige Beran A. festgenommen. Allen drei Fällen gemeinsam: das jugendliche Alter und die Wurzeln im Balkan.
Salafistischer Brückenkopf in der EU
Dabei ist nicht der Balkan als Region das Problem, hier lebten seit Jahrhunderten verschiedene Religionen und Auslegungen in friedlicher Koexistenz. Der Balkan-Islam ist ein toleranter Sunnismus. Doch mit dem Balkankrieg der 1990er-Jahre gelangten zahlreiche radikalisierte Söldner aus Saudi-Arabien, Afghanistan und Nordafrika in die Balkanregion, allen voran nach Bosnien und Herzegowina.
Die Schätzungen variieren stark, aber bis zu 6000 Mudschahedin hielten sich damals in der Region auf. Wie journalistische Recherchen ergaben, wurde in dieser Zeit mit den Waffenlieferungen aus den USA eine bosnisch-muslimische Armee aufgebaut. So bildete etwa die private US-Firma Military Professional Resources Inc. (MPRI) Mudschahedin in Albanien aus, um sie von dort gezielt nach Mazedonien oder in den Kosovo zu senden.
Bosnien wurde mit den gut ausgebildeten Kämpfern zugleich zum Vorposten des radikalen Islamismus. Pro-Kopf der Bevölkerung gesehen, hielten sich die meisten IS-Kämpfer dieser Zeit in Bosnien auf. Viele dieser Söldner, so auch der Attentatsplaner Osama Bin Laden, erhielten damals einen bosnischen Pass. Das anschließende Friedensabkommen von Dayton ging nicht auf diese Probleme ein.
Bis zu 1500 dieser IS-Veteranen siedelten sich nach dem Krieg in dieser Region an und versuchten, dort ihren „Gottesstaat“ zu verwirklichen. Wie Karsten Dümmel von der Konrad Adenauer Stiftung (KAS) schrieb: „In Bosnien und Herzegowina gibt es etwa 65 salafistischen Gemeinschaften und drei rurale Enklaven, die als Quelle, beziehungsweise als Refugium für Sympathisanten des „IS“ gelten.“ Der spätere Syrienkrieg und die Anschläge des 9/11 verfestigten das radikale Ideengut.
In Orten wie Gornja Maoca, Osve oder Dubica wehte bis Mitte der 2010er Jahre noch die IS-Flagge und es galt die Scharia. Immer wieder wurden von dort Jugendliche als Kämpfer rekrutiert. Das salafistische Gedankengut verbreitete sich über die Moscheen, aber vor allem über die Parallel-Dzemate, nicht offizielle Gebetshäuser, die sich jeder Kontrolle entzogen. Die vordringlich humanistischen Organisationen aus Saudi-Arabien und den Emiraten verbreiteten und unterstützten diese radikale Strömungen.
Die betroffenen Länder und Regionen sind gerade in den letzten Jahren mit den angestrebten EU-Beitritten hart dagegen vorgegangen und haben nachweisliche Erfolge erzielt. Auch die Ausreise in Terrorcamps in Syrien oder Pakistan wurde unterbunden. Vom Balkan selbst geht nach offizieller Einschätzung keine akute Anschlagsgefahr aus.
Doch während des Krieges, und insbesondere vor der herrschenden Armut im Nachgang, flüchteten zahlreiche Zivilisten nach Österreich. Rund ein Drittel des westlichen Balkans ist muslimisch, in Bosnien und Herzegowina, Albanien und im Kosovo stellen sie sogar die religiöse Mehrheit. Ihre Kinder wurden in Österreich geboren, aber ihre Integration in die ihnen fremde, nicht-muslimische Gesellschaft gelang nicht in jedem Fall.
Die zuhause tradierten Werte kollidieren mit dem Wertekanon des Westens, wie beispielsweise den Frauenrechten. Spätestens mit der Pubertät, der Zeit der Infragestellung von Autoritäten und der Ausbildung der eigenen Persönlichkeit, sind diese Jugendlichen heute anfällig für das salafistische Ideengut. Der IS vermittelt ihnen klare Vorgaben und fügt die Diaspora in einer virtuellen Community zusammen.
Österreichs salafistischer Balkan-Import
In Österreich stellt der Dachverband bosniakisch-islamischer Vereine (IZBA) mit 40 Moscheengemeinden den größten nichttürkischen Verband dar. In allen Landesteilen sind Gemeinden vertreten, die einen Bezug zum Balkan aufweisen. Der „Islamisten-Jäger“ Irfan Peci, der sich in der Jugend selbst dem radikalen salafistischen Gedankengut verschrieben hatte, macht mit zahlreichen Aktionen auf die Probleme aufmerksam, die in einer mangelnden Kontrolle der in den Moscheen vermittelten Inhalte auftreten.
Er veröffentlicht Zitate, wie diejenigen von Adnan Mrkonjic, der in Graz predigte, oder weist auf das salafistische Gedankengut von Sefik Kurdic hin, der als Professor an mehreren Universitäten in Bosnien tätig ist und ebenfalls in Österreich auftritt. Aber es gibt auch weniger prominente örtlich begrenzte Salafisten, wie Muhammad P.
Er predigte in der Wiener Al Tewhid-Moschee und trug zur Radikalisierung sowohl des Attentäters von 2020, als auch jenes Teenagers bei, der 2023 einen Anschlag auf den Hauptbahnhof plante. Muhammad P. unterhielt Kontakte zur radikalislamistischen Szene in Bosnien, verbreitete antisemitisches Gedankengut und wird mit Gerüchten um eine dort stattfindende IS-Ausbildung in Verbindung gebracht. Denn junge österreichische Muslime können mühelos an islampolitischen Veranstaltungen in Bosnien teilnehmen. Nachdem die Moschee 2020 vorübergehend geschlossen wurde, sollte Muhammad P. offiziell ausgetauscht werden. Allerdings unterrichtete er dort noch nachweislich bis 2024 Arabisch.
Auch der Freund des gerade festgenommenen Anschlagsplaners, Luka K. verkehrte zuletzt in der Al Tewhid-Moschee. Er war dem Verfassungsschutz aufgefallen, weil er sich in der Nähe von brutalen Zusammenstößen zwischen Syrern und Tschetschenen/Türken aufhielt, bereits mit einer Bewährungsstrafe wegen einer Körperverletzung aufgefallen war und sich Zutritt auf das Gelände des Taylor Swift Konzerts verschafft hatte.
Eine neue Welle von IS-Anschlägen in Europa
Die Jugendlichen geraten zumeist bereits ab einem Alter von 12 Jahren in den Strudel aus Kleinkriminalität und Radikalisierung. Dazu trägt der IS bewusst mit dem vermittelten einseitigen Weltbild bei. Wie der Balkanexperte Robert Pichler ausführt, sind „für die glaubenshungrigen jungen Menschen mystische Sufi-Sekten, strenggläubige Salafisten und charismatische Prediger attraktiver als ‚lauwarme‘ Botschaften“.
Der IS hat eine neue Qualität des Seelenfangs aufgelegt. Verschiedene Apps und Plattformen der Messenger-Dienste vernetzten bewusst die Diaspora-Szene des Westens, ob vom Balkan, dem Kaukasus oder Zentralasien. Nach den neuesten Beobachtungen des Soufan Center, einer Organisation, die von einem ehemaligen FBI-Agenten und Extremismusexperten gegründet wurde, versucht der in Europa derzeit besonders aktive IS-K seine Unterstützer gezielt dazu zu animieren, sich ‚soft targets‘ zu suchen.
Gemeint sind Konzertereignisse, Freizeitparks und Gotteshäuser. Also dort, wo man bereits mit einem einzigen Messer bewaffnet größten Schaden anrichten kann.
Eine Tendenz, die in ganz Europa zu beobachten ist. Der französische Kriminologe Alain Bauer weist darauf hin, dass seit dem Beginn des derzeitigen Nahost-Konflikts, im Oktober 2023, rund zwei Drittel der terrorverdächtig Festgenommenen Teenager sind. Die Bilder aus Gaza fungieren als Brandbeschleuniger in radikalisierten Kreisen. Eine differenzierte Darstellung wird vermieden, stattdessen bietet die IS-Rhetorik eine einfache Orientierung in falsch und richtig, gut und böse. Und sie können eine Täter-Opfer-Umkehr bewirken.
Zugleich werden ein Strategiewandel des IS deutlich und die Schwachstelle einer in westeuropäischen Ländern verfehlten Integrationspolitik. Es ist für Anschläge innerhalb der EU weitaus schwieriger, Erwachsene aus dem muslimischen Balkan zu rekrutieren, als ohnehin über salafistische Wegbereiter radikalisierte Jugendliche in den Großstädten wie Wien, Paris oder Berlin. Das mag im einzelnen Ergebnis nicht den Horror hervorrufen, wie der IS-Anschlag auf die Konzerthalle in Moskau mit fast 150 Toten, aber es führt zu einer flächendeckenden Verunsicherung.
Jugendliche und junge Erwachsene standen nicht unbedingt im Fokus der Polizei und wurden seltener als islamistische Gefährder eingestuft. In einer Art Franchise-Verfahren bekennen sie sich erst kurz vor den Anschlägen öffentlich zu den Zielen des IS. Die Zeitspanne für einen erfolgreichen Zugriff der Sicherheitsorgane wird damit extrem verkürzt. Das macht sie besonders gefährlich.
Der „Österreich Plan“ als Blaupause für Deutschland?
In Reaktion auf den Anschlag in Wien von 2020 wurde von dem österreichischen Bundeskanzler Karl Nehammer, in Zusammenarbeit mit der Verteidigungsministerin und dem Innenminister ein „Österreich Plan“ vorgestellt. Dieser sieht unter anderem vor, die heimischen Nachrichtendienste zu stärken, die im Gegensatz zu ihren amerikanischen Kollegen, nicht befugt sind, in verschlüsselten Kanälen der Messenger-Dienste einzudringen. Der Tipp zur Anschlagsplanung auf das Taylor Swift Konzert kam aus den USA.
Die Bekämpfung des Extremismus und Terrorismus wird in Österreich durch eine ganze Palette von Maßnahmen vorangetrieben. So wird das Strafalter auf 12 Jahre herabgesetzt und eine U-Haft auch für jugendliche Gefährder ermöglicht. Das mag in Deutschland zunächst Befremden hervorrufen, doch als Ziel beschrieb Nehammer: „Der Kampf gegen den politischen Islam als religiös motivierten Extremismus muss mit aller Härte und Entschlossenheit geführt werden. Er stellt eine Bedrohung für unsere Freiheit und unsere Demokratie dar.“ Nach den zahlreichen Anschlägen und Anschlagsversuchen sowie den fortwährenden Terrorwarnungen eine weitverbreitete Auffassung.
Zugleich werden Projekte zur Integration mit einem erheblichen finanziellen Aufwand gefördert, aber auch der Druck auf die Jugendlichen erhöht. Vor Erhalt der Staatsbürgerschaft sollen sowohl ein Sprach-, als auch ein Integrationstest stehen. Damit soll sichergestellt werden, dass Gefährder in ihre Heimatländer auch tatsächlich abgeschoben werden können. Neu eingerichtet wird außerdem eine Dokumentationsstelle „Politischer Islam“, die als Informationsknotenpunkt fungiert.
Erkennbar wird, dass entwurzelte Jugendliche in Deutschland im gleichen Maß wie in Österreich gefährdet sind. Sowohl die Salafistenprediger als auch der Zugang zu den in den Messenger-Diensten verfügbaren Inhalte sind die gleichen. Beran A. war sowohl von dem deutschen Tiktok-Salafisten Abul Baraa als auch von Marcel Krass begeistert, der zuletzt wegen des Hamburger Islamisten-Treffens im März in den Schlagzeilen war. Es besteht der dringende Bedarf, auch in Deutschland mit sinnvollen Maßnahmen gegenzusteuern.