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Barnier: Nur noch «einige Stunden» für Brexit-Handelspakt

Eine britische und eine europäische Flagge im Hauptsitz der Europäischen Kommission in Brüssel.
Eine britische und eine europäische Flagge im Hauptsitz der Europäischen Kommission in Brüssel.

Dreizehn Tage bis zum Stichtag, und immer noch kein Brexit-Deal: Das Europaparlament ist am Ende seiner Geduld. Am Sonntag sei «Schicht im Schacht», sagt ein Abgeordneter. Aber was heißt das?

Brüssel/London (dpa) - In einem «letzten Versuch» haben die Europäische Union und Großbritannien am Freitag versucht, doch noch einen Brexit-Handelspakt zustande zu bekommen. So formulierte es EU-Unterhändler Michel Barnier. «Wir sind am Moment der Wahrheit», sagte er im Europaparlament.

Es blieben nur noch «einige Stunden» für Gespräche, solle ein Vertrag noch rechtzeitig zum 1. Januar in Kraft treten. Die Chance gebe es, aber der Pfad dorthin sei sehr schmal.

Nach «einigen Stunden» weiterer Verhandlungen hieß es allerdings am frühen Freitagabend, vor dem Wochenende sei wohl kein neuer Zwischenstand zu erwarten. Die Gespräche beim Streitthema Fischerei liefen schlecht, sagten mehrere EU-Diplomaten.

Es war nicht das erste Mal in der schier unendlichen Saga um den britischen EU-Austritt, dass Barnier Zeitnot und Dringlichkeit beschwor, er tut das seit Monaten. Nur spricht inzwischen der Kalender dafür, dass es wirklich ernst wird.

Am Freitag waren es noch 13 Tage bis zum Ende der Brexit-Übergangsphase, also bis zum wirtschaftlichen Bruch Großbritanniens mit der EU. Das gewünschte Abkommen soll Zölle vermeiden und die Folgen für Wirtschaft, Behörden und Bürger abfedern. Allein: Barnier konnte immer noch nicht sagen, ob es jemals zustande kommt.

Für den Fall des Scheiterns billigte das EU-Parlament am Freitagnachmittag einige Notfallmaßnahmen, um zumindest ein Mindestmaß an Flug-, Fracht- und Busverkehr sowie Fischfang aufrecht zu erhalten. Die Anwendung hängt allerdings von Gegenseitigkeit ab: Großbritannien müsste ähnliche Maßnahmen verhängen.

In dem Gezerre um den großen Handelsdeal ist der Geduldsfaden inzwischen extrem dünn, das machten die EU-Abgeordneten in der Debatte deutlich. «Sonntag ist endgültig Schicht im Schacht», sagte der SPD-Brexit-Experte Bernd Lange. Entweder liege bis dahin ein Vertrag vor, oder er kann nicht mehr rechtzeitig ratifiziert werden. Dann komme Plan B, sagte Lange.

Für diesen Plan B gibt es verschiedene Varianten: Man verhandelt weiter und setzt im Falle eines Durchbruchs vor Jahresende ein Abkommen vorläufig, also zunächst ohne Ratifizierung in Kraft. Oder man vereinbart eine Frist von einigen Wochen, in der der Status quo auch nach dem 1. Januar weiter gilt, das schlug Grünen-Fraktionschef Philippe Lamberts vor. Oder es kommt eben doch zu einem harten Bruch ohne Vertrag.

Einen Vorgeschmack auf den No-Deal geben inzwischen die kilometerlangen Lastwagen-Staus am britischen Eingang des Eurotunnels unter dem Ärmelkanal. Gründe für das erhöhte Frachtaufkommen seien das Weihnachtsgeschäft und der Bedarf an medizinischen Gütern in der Coronavirus-Pandemie, aber eben auch die Aufstockung vieler Lager vor Ende der Brexit-Übergangsphase, erklärte der Eurotunnel-Betreiber Getlink auf dpa-Anfrage. Auch britische Häfen sind bereits seit Wochen überlastet. Es sieht so aus, als nutzten viele noch ihre Chance - wer weiß, was in zwei Wochen ist.

Der britische Premierminister Boris Johnson präsentiert sich in dieser Lage mit einer Mischung aus gewohnter Chuzpe und Pessimismus. Nach einem Telefonat mit EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen am Donnerstagabend ließ er erklären, ein Scheitern sei «sehr wahrscheinlich», sollte die EU ihre Position nicht wesentlich ändern. Am Freitag legte er bei einem Besuch in Manchester nach: «Unsere Tür ist offen, wir setzen die Gespräche fort, aber ich muss sagen, dass es schwierig aussieht.» Nun sei Brüssel am Zug. «Wir hoffen, dass unsere EU-Freunde zur Vernunft kommen werden und von sich aus etwas auf den Verhandlungstisch legen werden», sagte der Premier.

Aus Londoner Sicht hat Großbritannien bei den beiden schwierigsten Feldern bereits Zugeständnisse gemacht: beim Thema fairer Wettbewerb und bei den Fangrechten für EU-Fischer in britischen Gewässern. Barnier sagte am Freitag aber deutlich, woran es jetzt noch hängt.

Großbritannien wolle nach einer bestimmten Zeit das Recht haben, den Zugang für EU-Fischer zu begrenzen, sagte der Unterhändler. In dem Fall müsse aber auch die EU die Möglichkeit haben zu reagieren, etwa durch die Begrenzung des Zugangs zum EU-Binnenmarkt für britische Produkte und vor allem für Fisch. Es wäre nicht gerecht für EU-Fischer, nur übergangsweise Rechte zu haben, während andere Punkte auf Dauer geregelt würden.

Es sei nicht klar, ob man hier zueinander kommen könne, sagte Barnier. Nach Informationen des irischen Senders RTÉ testete er am Freitag mehrfach bei den EU-Staaten, wie weit er im Fischereistreit gehen könne. Günstig stünden die Dinge nicht, sagten EU-Diplomaten am frühen Abend. Ein Durchbruch sei kurzfristig nicht zu erwarten.