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Berichte: Boris Johnson will zurücktreten - Widerstand gegen Johnson als Übergangspremier

Bis zuletzt klammerte sich Johnson an der Macht fest. Doch nun ist der konservative Politiker offenbar am Ende seiner Amtszeit angelangt. Noch am Donnerstag wird mit dem Rücktritt gerechnet.

Boris Johnson. (Bild: Dan Kitwood/Getty Images)
Boris Johnson. (Bild: Dan Kitwood/Getty Images)

London (dpa) - Britischen Medienberichten zufolge ist es zunehmend unwahrscheinlich, dass Boris Johnson nach seinem erwarteten Rücktritt als Tory-Parteichef bis zur Wahl eines Nachfolgers als Premier im Amt bleibt. Britische Journalisten berichteten von zahlreichen konservativen Abgeordneten, die sich für eine unmittelbare Ablösung Johnsons an der Spitze der Regierung aussprechen.

Die Regierung hatte zuvor bestätigt, dass sich Johnson noch am Donnerstag mit einer wichtigen Mitteilung an die Nation wenden wolle. Berichten zufolge will der 58-Jährige dabei seinen Rücktritt als Vorsitzender der britischen Konservativen bekanntgeben. Üblicherweise bleibt der scheidende Premier solange im Amt, bis ein Nachfolger gewählt wird. Doch dagegen regt sich wohl Widerstand.

Als Übergangspremier käme Johnsons Stellvertreter Dominic Raab infrage. Der Justizminister hielt jedoch bis zuletzt treu zu Johnson. Mehrere Kabinettsmitglieder gelten als potenzielle Nachfolger. Außenministerin Liz Truss brach Berichten zufolge eine Reise nach Indonesien ab und begab sich auf die Rückreise nach London. Sie gilt als eine der aussichtsreichsten Kandidatinnen.

Kreise: Johnson will kurz vor Rücktritt neue Minister ernennen

Unmittelbar vor seinem erwarteten Rücktritt als Chef der Konservativen Partei will Johnson neue Kabinettsmitglieder ernennen. Das erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus Regierungskreisen in London. Kommentatoren werteten die Ankündigung als Zeichen, dass Johnson als Übergangspremier weitermachen wolle, obwohl ihn zahlreiche Parteifreunde zum sofortigen Rückzug aufforderten. Es wurde erwartet, dass der 58-Jährige spätestens am frühen Nachmittag seinen Rücktritt vom Parteiamt verkündet.

Derzeit gibt es kein funktionierendes Kabinett, nachdem bisher fünf Minister sowie Dutzende Staatssekretäre und andere konservative Mandatsträger aus Protest gegen Johnson zurückgetreten sind.

Oppositionschef begrüßt erwarteten Rücktritt Johnsons

Johnson war in den vergangenen Tagen massiv unter Druck geraten. Mehrere Kabinettsmitglieder und Dutzende parlamentarische Regierungsmitarbeiter traten von ihren Ämtern zurück. Zuletzt forderte ihn sogar der erst am Dienstag ins Amt berufene Finanzminister Nadhim Zahawi zum Rücktritt auf.

Oppositionschef Keir Starmer von der Labour-Partei begrüßte den erwarteten Rücktritt Johnsons. Das seien «gute Neuigkeiten», sagte Starmer der britischen Nachrichtenagentur PA zufolge. Er fügte hinzu: «Aber es hätte schon vor langer Zeit passieren sollen.»

Noch am Mittwochabend hatte ein enger Johnson-Vertrauter verkündet, der Premier werde nicht aufgeben. «Der Premierminister ist in einer optimistischen Stimmung und wird weiterkämpfen», sagte Johnsons parlamentarische Assistent James Duddridge dem Sender Sky News. Johnson habe bei der vergangenen Parlamentswahl das Mandat der Wähler bekommen und «so viel zu tun für das Land». Doch ein Festhalten an der Macht schient angesichts des massiven Gegenwinds kaum möglich. Am Donnerstag berichtete unter anderem die BBC unter Berufung auf Regierungskreise von Johnsons bevorstehender Rücktrittsankündigung.

Druck offenbar zu groß

Notfalls, so berichteten britische Medien, sollte Johnson per Misstrauensvotum aus dem Amt entfernt werden. Der Tory-Politiker hatte erst vor einem Monat eine Misstrauensabstimmung in seiner Fraktion knapp überstanden. Für eine weitere Misstrauensabstimmung wäre eine Änderung der parteiinternen Regeln notwendig gewesen. Erwartet wurde zunächst, dass es Johnson darauf ankommen lassen würde. Doch am Donnerstag wurde der Druck offenbar zu groß.

Ausgelöst wurde die jüngste Regierungskrise in Westminster durch eine Affäre um Johnsons Parteikollegen Chris Pincher, dem sexuelle Belästigung vorgeworfen wird. Zuvor war herausgekommen, dass Johnson von den Anschuldigungen gegen Pincher wusste, bevor er ihn in ein wichtiges Fraktionsamt hievte. Das hatte sein Sprecher zuvor jedoch mehrmals abgestritten.

Die Affäre erwies sich nun als Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Johnson steht schon seit Monaten massiv wegen illegaler Lockdown-Partys während der Pandemie im Regierungssitz Downing Street in der Kritik. Er hatte wegen Teilnahme an einer der illegalen Zusammenkünfte selbst einen Strafbefehl von der Polizei erhalten und ist damit der erste britische Regierungschef, der sich während seiner Amtszeit strafbar gemacht hat. Trotzdem stritt er lange jegliches Fehlverhalten ab.

Im Video: Regierungskrise in Großbritannien: Minister für Finanzen und Gesundheit treten zurück