"Wir sind beide Außenseiter": Barack Obama spricht in TV-Doku über Angela Merkel

Noch macht Putin freundliche Miene: Angela Merkel beim G8-Gipfel in Heiligendamm 2007 zwischen Putin und George W. Bush.  (Bild: ARTE / Getty Images)
Noch macht Putin freundliche Miene: Angela Merkel beim G8-Gipfel in Heiligendamm 2007 zwischen Putin und George W. Bush. (Bild: ARTE / Getty Images)

 

Das 90-Minuten-Porträt von Torsten Körner lässt über Angela Merkel nicht gerade "rote Rosen" regnen wie es im Knef-Lied heißt. Dennoch ist das vielschichtige ARTE-Porträt eine Eloge zum Abschied der Kanzlerin - ein denkwürdiges Szenario aus Interviews, Statements und wichtigen politischen Szenen.

Zum Ende der Ära Merkel als Bundeskanzlerin hat es bekanntlich viele Rückblicke auf ihre Regierungszeit gegeben. Der Film "Angela Merkel - Im Lauf der Zeit" von Torsten Körner setzt da durchaus früher an. Der Beitrag blickt unter anderem auch auf die Jugendzeit der späteren Kanzlerin in der DDR zurück. Templin in der Uckermark hat sie geprägt, aber auch die gesamte Zeit in der DDR bis zum Fall der Mauer. Körner ("Schwarze Adler", 2021) setzt vielfache Bausteine aneinander: eigene und Archiv-Interviews, vor allem auch Statements politischer Wegbegleiter von Barack Obama, Christine Lagarde, Theresa May oder Emmanuel Macron. Zeit übergreifend wird dabei eine offensichtliche Vollblut-Politikerin beleuchtet, für die Freiheit und die Verteidigung der Wahrheit die oberste Maxime ihres Handelns war.

Daraus bezog Angela Merkel, wie man aus dem kaleidoskopartig zusammengesetzten Porträt erlesen kann, ihre Stärke als politischer Mensch. Dass das Amt an ihren Kräften gezehrt hat, ist ihren Gesichtszügen abzulesen. Gleich zu Beginn ist vor dem für den Film geführten "letzten Interview" gar eine gewisse Ungeduld kurz vor dem Ablegen der Fesseln abzulesen. Was das Private betrifft, da stößt der Autor glücklicherweise auf verlässliche Zeugen. Sie sei viel humorvoller und selbstironischer gewesen als im öffentlichen Polit-Leben, weiß der Schauspieler Ulrich Matthes, offenbar ein guter Bekannter der Kanzlerin. Als er mal Liebeskummer hatte, wusste sie ihn im Gespräch gar eine Stunde lang vor ihrer Haustüre zu trösten.

Beim G7-Gipfel 2018 blickte Angela Merkel auf Donald Trump herab. Ein Bild, das die Merkel-Porträtistin Herline Koelbl besonders feut. (Bild: ARTE / Picture Allience)
Beim G7-Gipfel 2018 blickte Angela Merkel auf Donald Trump herab. Ein Bild, das die Merkel-Porträtistin Herline Koelbl besonders feut. (Bild: ARTE / Picture Allience)

 

Viel Lob von internationaler Seite

Einer ganz anderen Umarmung begegnete sie selbst mit Geduld und Spucke: Horst Seehofers Schmach auf dem Parteitag der CSU, wo er sie nach der Flüchtlingskrise von 2015 wie ein Schulmädchen neben sich stehen ließ und sie später dann doch noch väterlich in die Arme nahm. Merkel war da so etwas wohl schon gewohnt. Als "gnädige Frau" habe sie der CDU-Minister Manfred Kanther immer tituliert. "Nicht sexistisch, aber paternalistisch" sei das gewesen. Anderes wies sie bereits in ihren frühen Jahren selbstbewusst und spitzzüngig ab, etwa die ironische Küppersbusch-Frage, was sie denn mehr störe am Prädikat "graue Maus" - das "grau" oder die "Maus".

Was die vielen Krisen während ihrer Amtszeit betrifft - Asylanten, Umweltkrise, Pandemie: Sie sind ja allesamt noch nicht wirklich ausgestanden, da hat sie Olaf Scholz das Staffelholz übergeben. So kann das Porträt nicht viel Neues bieten. Doch es gibt viel Lob zum Abschied, vor allem von internationaler Seite. Allen voran geht Ex-US-Präsident Barack Obama. Als äußerst zuverlässig erklärt er ihr Wesen und zieht erstaunliche Parallelen zwischen sich und ihr. Beide hätten Probleme stets sehr genau analysiert und exakt gearbeitet, um schließlich zu einer Lösung zu kommen: er als erster afroamerikanischer Präsident, sie als erste Frau an der Spitze der Bundesrepublik. "Wir sind beide Außenseiter", sagt er mit seinem stets gewinnenden Lächeln. Diese Außenseiterrolle hat die vormals wichtigste Frau in Europa gut gespielt.

Spätestens beim
Spätestens beim

 

Und wo bleibt die Kritik?

Kritik gibt es, soweit erinnerlich, vor allem von der Ex-Kanzlerin selbst. Zwar sei die spontane Bewältigung der Flüchtlingskrise richtig gewesen, sie stehe dazu und sei ja auch nicht allein gewesen, erklärt Angela Merkel. Allerdings, so sagt sie rückblickend eben auch, habe sie sich zu sehr auf europäische Vereinbarungen wie das Dublin-Abkommen über die Flüchtlingsverteilung verlassen. Gerne würde sie da die Zeit noch einmal zurückdrehen können.

Andere üben an der Nichtbewältigung der Klimakatastrophe viel Kritik. Es ist die Stunde der jüngeren, nachfolgenden Generationen. Dann wird das Gesicht der erregten Greta Thunberg zur Ikone, und eloquente "Fridays for Future"-Macher wie Luisa Neubauer bemängeln, Klimaschutz habe sich bei Merkel in starken Bekenntnissen erschöpft. Ihre Einladung ins Kanzleramt habe sie dahingehend enttäuscht.

Geschmäcklerisch ist die Erinnerungsdoku in einzelne Themen und Kapitel aufgeteilt, im Film hängen dazwischen an den Fronten von Berliner Kinos Mitarbeiter Programmtafeln auf. Apropos Film: Da bleibt vor allem das Kapitel "Templin" in Erinnerung, weil da Merkel sehr persönlich erzählt. Es wird da noch einmal deutlich, wie sehr sie im Osten verwurzelt ist und dass sie offensichtlich aus dem inneren Widerstand ihre spätere Stärke bezogen hat.

Am Ende machen alle Merkel-Experten noch einmal die Raute und interpretieren sie - als Zeichen der "Stärke" oder des "Nichts". Je nachdem. Die Antwort auf die laut Ankündigung zuvor gestellte Frage, ob Angela Merkel "Stagnation oder Stabilitätsgarantie" bedeutet habe, bleibt dem Zuschauer überlassen. Nach gerade eimal hundert vergangenen Tagen ist dafür ja auch noch viel Zeit.

Die EZB-Präsidentin Christine Lagarde arbeitete gerne mit Angela Merkel zusammen und hat für sie und ihre Europa-Politik viel Lob. (Bild: ARTE / Broadview TV)
Die EZB-Präsidentin Christine Lagarde arbeitete gerne mit Angela Merkel zusammen und hat für sie und ihre Europa-Politik viel Lob. (Bild: ARTE / Broadview TV)

"Angela Merkel - Im Lauf der Zeit" ist zuerst am Dienstag, 22. Februar, 20.15 Uhr, bei ARTE zu sehen. Direkt im Anschluss zeigt ARTE innerhalb des Themenabends "Quo vadis, Europa?" um 21.45 Uhr das Porträt "Wer ist Boris Johnson?" (eine Wiederholung vom 29.01.2022). In der ARTE-Mediathek steht das Merkel-Porträt bereits ab 20. Februar bereit. Das Erste sendet den Film am Sonntag, 27. Februar, um 21.45 Uhr.

VIDEO: Auch Obama ist mit dabei: Diese TV-Doku blickt auf Angela Merkels Amtszeit zurück