Wie beim Hahnenkampf! Ferrari vor Zerreißprobe

"Mein Gott, muss das sein? So ein Bockmist aber auch!", funkte Sebastian Vettel nach der Kollision mit Teamkollege Charles Leclerc beim Brasilien-GP auf Deutsch.

Der Ferrari-Pilot war so aufgebracht, dass ihm offenbar die englischen Wörter nicht mehr eingefallen waren - oder er wollte einfach nur sicherstellen, dass seine Ferrari-Crew nicht versteht, was er flucht.

Kurze Zeit später sah man Vettel einsam und mit verschränkten Armen am Streckenrand stehen. Dachte der viermalige Weltmeister womöglich gerade darüber nach, wie das mit Leclerc und ihm weitergehen soll?

Ferrari lässt beide Fahrer antanzen

Anders als bei einigen Strategie-Entscheidungen in dieser Saison, reagierte zumindest Ferrari geistesgegenwärtig und holte beide Fahrer erst einmal zu einem Briefing ab, bevor die Piloten vor die Kameras treten durften.

Dementsprechend vorsichtig drückte sich Vettel aus: "Es ist blöd, wenn beide Autos nicht die Zielflagge sehen. Charles hat versucht, zu überholen, ich habe mich auf die nächste Gerade konzentriert und dachte schon, ich wäre vorbei. Dann sind wir zusammengekommen."

Vettel sieht keine Probleme für die Zukunft

Auch auf die unzähligen weiteren Fragen der Medienvertreter zu diesem Vorfall ließ sich Vettel nichts mehr entlocken. Er betonte nur, dass er zu irgendeinem Zeitpunkt mit Leclerc darüber sprechen werde und er keine Probleme für die Zukunft sehe.

Lediglich eines wollte er klarstellen: "Ich fuhr geradeaus" - gemeint ist die Gerade, auf der es zur Kollision mit Leclerc kam.

Die Fernsehbilder widersprechen dieser Behauptung allerdings und legen eher nahe, dass Vettel sich unmittelbar nach dem Überholmanöver durch Leclerc von seinen Emotionen (nach innen) treiben ließ.

Leclerc sieht Schuld bei Vettel

Leclerc hatte sehr wahrscheinlich das gleiche Briefing vom Team erhalten. Doch der Monegasse konnte es sich trotzdem nicht verkneifen, anzudeuten, dass er Vettel für den Hauptschuldigen am Crash hält.

"Ich habe in Kurve 1 überholt, vor Kurve 3 hat Sebastian versucht, außen vorbeizukommen. Es gab wenig Raum, ich habe ihm den Raum gelassen. Dann hat er mich ein wenig nach innen abgedrängt. Es war sehr eng, es ging sehr schnell", sagte Leclerc.

Die Stewards sahen das nur zum Teil so. Demnach hätten sowohl Vettel als auch Leclerc den Unfall verhindern können, weshalb beide Piloten straffrei ausgingen. Eine Auffassung, die man durchaus teilen kann.

Wie geht Ferrari damit um?

Doch kann das in Zukunft noch funktionieren mit den beiden? Wie Vettel wies auch sein jüngerer Teamkollege daraufhin, dass Vettel und er "reif genug sind, um das hinter uns zu lassen."

Entscheidend wird wohl sein, wie Ferrari damit umgeht. Als Vettel 2010 in Istanbul einen sehr ähnlichen Crash mit seinem damaligen Red-Bull-Teamkollegen Mark Webber hatte, wollte Red Bull augenscheinlich seinen Weltmeister-Piloten und Mann der Zukunft schützen.

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Daher gaben die Red-Bull-Chefs Christian Horner und Dr. Helmut Marko dem Australier die Schuld - obwohl sowohl aktive Fahrer wie Lewis Hamilton, Nico Rosberg als auch zahlreiche Ex-Rennfahrer wie Martin Brundle und David Coulthard die Schuld eher bei Vettel sahen.

Binotto verhält sich diplomatisch

Auf so viel Rückendeckung darf Vettel diesmal nicht hoffen, da nun eher Leclerc in der Rolle des Teamlieblings und Fahrer der Zukunft ist. Teamchef Mattia Binotto verhielt sich dennoch diplomatisch: "Ich möchte jetzt nicht darüber sprechen. Wir brauchen die Zeit, um die Videos zu analysieren."

Der Italiener stellte bei Sky aber auch klar, dass "der Fehler beider Fahrer uns teuer zu stehen kommt" und wurde sogar noch deutlicher: "Beide Fahrer müssen verstehen, dass sie dem Rennen von Ferrari geschadet haben."

Zudem kündigte Binotto an, das obligatorische Debriefing (Analyse des Renn-Wochenendes mit Fahrern und Chefs, Anm. d. Red.) abzusagen, "um eine Message an die beiden Fahrer zu schicken".

Heidfeld: "Brauchen klare Anweisungen"

Vermutlich will er damit auch verhindern, dass die beiden im kleineren Kreis doch noch eine Aussage tätigen, die eine weitere Zusammenarbeit erschweren könnte. Diese wirkt ohnehin instabiler denn je. Kaum vorstellbar, dass ein Fahrer für den anderen im WM-Kampf Drecksarbeit verrichten würde.

Für Nick Heidfeld steht bereits fest, dass Ferrari eingreifen muss, damit so etwas in Zukunft nicht mehr passt. "Die brauchen klare Anweisungen. Man kann die nicht so einfach rumfahren lassen", sagte der Ex-Pilot bei Sky.

So weit ging Binotto nicht. Der Ferrari-Boss wollte sich die Szene in den nächsten Tagen in Ruhe ansehen, ehe er irgendwelche Schlüsse daraus zieht. Für Vettel sind solche Team-Anweisungen sowieso überflüssig. "Nein, das sollte nicht kommen", antwortete er bestimmt.

Eine Aussprache zwischen beiden Fahrern soll es laut Vettel "irgendwann" aber geben. Beim Saisonfinale in Abu Dhabi werden so oder so noch mehr Augen als sonst auf Vettel und Leclerc gerichtet sein.