Beitrag von Ex-Minister - Zu Guttenberg prangert Merkel-Kritiker an: „Nicht eine Seite des Buches gelesen“

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) unterhalten sich 2011 im Bundestag.<span class="copyright">dpa</span>
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) unterhalten sich 2011 im Bundestag.dpa

Angela Merkels Memoiren haben viel Kritik ausgelöst. Nun äußert sich einer ihrer ehemaligen Minister. Karl-Theodor zu Guttenberg kann die Kritik an der Alt-Kanzlerin nicht nachvollziehen.

"Freiheit" hat Angela Merkel ihre Autobiographie genannt, die sie mit ihrer langjährigen Büroleiterin Beate Baumann geschrieben hat. Nun ist das umfangreiche Werk erschienen. Die Alt-Kanzlerin tingelte in den vergangenen Tagen durch die deutschen Medien. Aber nach fast jedem Interview oder TV-Talk, in fast jeder Rezension gibt es massive Kritik an Merkel. Der Hauptvorwurf: Sie übe keinerlei Selbstkritik. Nun äußerte sich  Karl-Theodor zu Guttenberg auf LinkedIn . Der ehemalige Wirtschafts- und Verteidigungsminister unter Merkel meint:

"Deutschland diskutiert eine Autobiographie und damit geflissentlich auch sich selbst. Dabei hat ein Großteil des nationalen Debattierclubs bislang nicht eine Seite des Buches gelesen. Ich auch nicht. Weswegen ich kein Urteil über die Inhalte oder literarische Qualität wagen will. Andere haben es längst gefällt. Wie so oft bei Memoiren bekannter Politiker. Besagtes Werk trifft der Vorwurf mangelnder Reflexion. Interessant ist zum einen, wie sehr der Diskurs von einer Filterblase diktiert wird, die Selbstkritik auch nicht zu ihren prägenden Wesensmerkmalen zählen dürfte.

"Im heimatlichen Staub liegt schon Habeck"

Wer erwartet hätte, dass sich die Verfasserin in den heimatlichen Staub werfen würde, hat entweder sechzehn Jahre im Tiefschlaf verbracht oder verkennt, dass dort bereits Robert Habeck liegt. Seine Autobiographie steht noch aus. Es bedarf keiner prophetischen Gabe, dass sein dort zu erwartendes (und wohltuendes) Eingeständnis eigener Schwächen ihm bei vielen Beobachtern ebenfalls nicht zur Ehre gereichen wird. Stattdessen freuen sich die Rezensenten an dem Umstand, ihr einmal entworfenes Charakterbild nicht revidieren oder sich dem Vorwurf allzu gnädiger Umgangsformen nicht aussetzen zu müssen.

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Ebenso bemerkenswert ist ein weiterer Reflex. Außerhalb des deutschen Sprachraums ist er kaum anzutreffen. Er richtet sich auf die mit dem Buch verbundenen Einnahmen. Wie könne es sein, dass eine ehemalige Politikerin plötzlich Millionen verdiene? Nach meiner Erinnerung hörte man dieses nicht vollends neidbefreite Klagelied weder anlässlich der fürstlichen Buchtantiemen von Barack Obama noch von Nelson Mandela oder Vaclav Havel (deren Werke allerdings auch literarisch ein Genuss sind).

"Unterhaltsamer wären ohnehin die Autobiographien ganz anderer Zeitzeugen"

Nun, keiner ist gezwungen, das Buch zu kaufen, geschweige denn zu drucken. Wenn man sich schon angesichts eines durchaus beachtlichen Vorschusses entgeistert zeigen will, wäre wohl der richtige Adressat der (missgünstigen?) Empörung der Verlag und nicht die Autorin. Das Absprechen literarischer Höhenflüge wird sie unterdessen kaum tangieren. Sei’s drum. Bei weitem unterhaltsamer wären ohnehin die Autobiographien ganz anderer Zeitzeugen. Etwa von Koni, dem Labrador Wladimir Putins. Was er wohl von dem Minsker Abkommen hielt? Loni hätte die Salamitaktik mancher Staatsgäste mit unbestrittener Fachkompetenz erläutern können.

Wo wir wieder bei der Kanzlerin wären. Oder Emmanuel Macrons Hund Nemo, der im Élysée-Palast ein wichtiges Treffen unterbrach, indem er an einen Kamin pinkelte. Brachialdiplomatie, gewiss. Aber von enormer Wirkkraft. Das Statement ging viraler als manches Kommuniqué seines Herrchens.

Und zuweilen bedarf es keiner 700 Seiten, um sich als Politiker zu beschreiben. Johannes Rau (SPD) brachte es in einem Satz auf den Punkt. Als er einmal gefragt wurde, warum er einen Hund habe, antwortete er: „Weil ich mir sicher sein will, dass mich wenigstens einer ehrlich liebt.“ Später setzte er ihm ein Denkmal: „Als Hund ist er eine Katastrophe, aber als Mensch unersetzlich.“