Belästigungen, Upskirting, Vergewaltigungen - Besucherin berichtet von Oktoberfest-Schattenseite - dann zählt sie Schutz-Maßnahmen auf
Die meisten Wiesnbesucher wollen auf dem Oktoberfest ausgelassen feiern. Gerade in den Abendstunden erleben Frauen jedoch immer wieder unangenehme bis übergriffige Situationen mit betrunkenen Männern.
Vicky ziert sich nicht, aufdringlichen Männern eine Ansage zu machen. Auf dem Münchner Oktoberfest kam sie am Mittwochabend nach einer Zigarette zurück an den Tisch, da baten ihre Freundinnen sie um Hilfe: Ein aufdringlicher Gast bereitete ihnen Unbehagen. „Er hat sie angestarrt, mit der Zunge gespielt und Kussgesten gemacht“, erzählt die 20-Jährige im Gespräch mit FOCUS online.
Mit ihrer freundlichen, aber bestimmten Bitte an den Mann, sich wegzudrehen, hatte sie zunächst keinen Erfolg. „Er hat dieselbe Scheiße weiter durchgezogen“, sagt Vicky noch immer sichtlich verärgert. Also suchte sie Hilfe bei einer Kellnerin, die sofort reagierte: „Sie hat ihn zusammengeschissen: Wenn er das noch einmal macht, dann wirft die Security ihn raus.“ Daraufhin konnte die rund zehnköpfige Gruppe ihren Wiesn-Besuch ungestört fortsetzen und ausgelassen feiern.
Sexuelle Übergriffe sind auf dem Oktoberfest immer wieder Thema
Sexuelle Übergriffe sind auf dem Oktoberfest immer wieder Thema. Und nicht immer können sich Frauen der Belästigung erfolgreich entziehen. Erst am Montag berichtete die Polizei von einem Upskirting-Fall, bei dem ein Wiesn-Besucher einer Frau unter den Rock fotografierte. Er muss sich nun wegen „Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches durch Bildaufnahmen“ verantworten. Ebenfalls am Montag soll ein Sicherheitsmitarbeiter eines Schaustellerbetriebs auf der Wiesn eine 22-Jährige vergewaltigt haben.
Im Vorjahr zählte die Polizei insgesamt 73 Fälle von Sexualdelikten, 2022 waren es noch 58 gewesen. Die Zahl der Vergewaltigungen verdoppelte sich auf sechs .
„Sie haben die Security geholt, aber die Typen haben schnell die Handys getauscht“
Auch eine Freundin von Vicky wurde im Vorjahr Opfer von Upskirting. „Sie haben die Security geholt, aber die Typen haben schnell die Handys getauscht, damit sie nichts finden“, schildert sie.
Seitdem trage die gesamte Gruppe beim Wiesn-Besuch Radlerhosen oder Boxershorts unter dem Dirndl, damit solche Aufnahmen nicht den Intimbereich zeigen können. Bevor sie mit ihrer zehnköpfigen Gruppe das erste Festzelt betrat, gab die 20-Jährige zudem klare Anweisungen:
Jede braucht einen vollen Handy-Akku,
nicht alleine aufs Klo gehen,
einen Treffpunkt vereinbaren, falls man sich verliert,
am Tisch hat immer jemand ein Auge auf die Getränke, damit keine K.o.-Tropfen verabreicht werden.
Vieles davon gelte zwar allgemein beim Ausgehen. Zumal Wiesn-Bedienungen und Sicherheitspersonal auf dem Oktoberfest zunehmend für das Thema sensibilisiert sind. Nur angesichts der Menschenmassen gelte hier eben erhöhte Aufmerksamkeit.
„Zu ängstlich darf man nicht sein, sonst passiert was“
Doch nicht alle Frauen beschäftigen sich so intensiv mit der Prävention wie Vicky und ihre Freundinnen. „Wir sind sehr gutgläubig“, sagt eine andere Oktoberfest-Besucherin und schmunzelt.
Nur manche in ihrer Gruppe trügen vorsichtshalber Radlerhosen. Eine Gruppe von drei Freundinnen hat sich darum bisher wenig Gedanken gemacht. „Nein, überhaupt nicht“, sagt eine auf die Frage nach möglichen Vorbereitungen für eine sichere Feier.
Bei einer anderen Gruppe zählen die Radlerhosen „sowieso“ zur Oktoberfest-Bekleidung. „Auf den Krug sollte man aufpassen“, merkt eine der Frauen an und wirbt für ein selbstbewusstes Auftreten. „Zu ängstlich darf man nicht sein, sonst passiert was.“
Für Frauen und Mädchen hat der Safe Space im Service Zentrum hinter dem Schottenhamelzelt (Eingang „Erste Hilfe“) täglich von 18 bis 1 Uhr geöffnet, freitags und samstags bereits ab 15 Uhr. Bei Fragen und Problemen können sich Wiesn-Besucherinnen vertraulich an das geschulte Team wenden und Hilfe erhalten.
Auf der Internetseite der Aktion „ Sichere Wiesn “ finden sich zudem weitere Tipps für den Oktoberfest-Besuch. Die Initiative rät etwa neben einem voll aufgeladenen Handy-Akku dazu, auch eine Powerbank zum Laden mitzunehmen. Geld, Handy, Schlüssel und Hoteladresse sollten außerdem direkt am Körper getragen werden. Zudem sollte sich vorab ein sicherer Heimweg überlegt werden.
Das Team des Safe Space weist darüber hinaus darauf hin, dass Frauen und Mädchen keine Mitverantwortung bei Übergriffen treffe. Jede habe das Recht zu flirten, sich sexy anzuziehen, zu feiern oder alleine nach Hause zu gehen.
„Schuld ist immer der Täter“, wird Leiterin Lisa Löffler in einer Pressemitteilung zitiert: „Als Frau muss ich vielleicht mit einem dicken Kopf am nächsten Tag rechnen, aber mein alkoholisierter Zustand gibt absolut niemandem das Recht, mich zu belästigen.“