In Österreich zeichnen sich nach FPÖ-Sieg zähe Koalitionsverhandlungen ab
In Österreich zeichnet sich nach dem historischen Sieg der rechtspopulistischen FPÖ bei der Parlamentswahl eine komplizierte Suche nach einer Regierungsmehrheit ab. Wie die Nachrichtenagentur APA am Montag meldete, hat FPÖ-Chef Herbert Kickl bereits ein Verhandlungsteam für mögliche Koalitionsgespräche zusammengestellt, deren Grundlage nach dem Willen der Partei ihr Wahlprogramm "Festung Europa" sein soll. Bei den anderen Parteien war jedoch weiter keine Bereitschaft zu einer Koalition mit der FPÖ zu erkennen.
Bei der Wahl am Sonntag war die FPÖ laut vorläufigem amtlichen Endergebnis mit rund 29 Prozent der Stimmen, ihrem höchsten Stimmenanteil der Geschichte, erstmals stärkste Kraft im Nationalrat geworden. Die konservative ÖVP von Kanzler Karl Nehammer erlitt starke Einbußen und kam auf knapp 27 Prozent vor der sozialdemokratischen SPÖ mit 21 Prozent.
Dahinter schafften auch die liberalen Neos mit einem starken Ergebnis von knapp neun Prozent den Einzug ins Parlament, ebenso wie die bisher mitregierenden Grünen mit nach deutlichen Verlusten nur noch gut acht Prozent.
Die FPÖ legte laut einer APA-Analyse in fast allen 2115 Gemeinden Österreichs zu, einschließlich sämtlicher 23 Gemeindebezirke der als sozialdemokratischen Hochburg geltenden Hauptstadt Wien. Die ÖVP verlor hingegen in allen Gemeinden, während die SPÖ in 1200 Gemeinden an Stimmen verlor - und in 800 zulegte.
Am Tag nach der Wahl traf sich lediglich das SPÖ-Parteipräsidium zu einer Sitzung, alle anderen größeren Parteien planten ihre Gremiensitzungen erst für Dienstag. Wie APA berichtete, waren führende SPÖ-Mitglieder im Vorfeld der Sitzung um Einigkeit bemüht - trotz des bislang schlechtesten Wahlergebnisses seit Ende des Zweiten Weltkriegs.
Angesichts des Wahlergebnisses könnte sich die Regierungsbildung in Wien zäh gestalten: Zwar hat die ÖVP seit der Jahrtausendwende bereits zweimal auf Bundesebene mit der FPÖ koaliert, am Wahlabend sowie im Wahlkampf schloss Kanzler und ÖVP-Chef Nehammer jedoch eine Zusammenarbeit mit FPÖ-Chef Kickl aus.
Eine weitere Hürde für eine Regierung unter FPÖ-Führung könnte Bundespräsident Alexander Van der Bellen setzen. Wegen Kickls umstrittener Äußerungen und Positionen könnte sich das aus den Reihen der Grünen stammende Staatsoberhaupt weigern, den FPÖ-Chef mit der Regierungsbildung zu beauftragen - und stattdessen Amtsinhaber Nehammer zum Zuge kommen lassen.
Vergleichsweise langwierige Koalitionsverhandlungen sind in Österreich indes keine Seltenheit: Durchschnittlich dauerte es laut APA-Berechnungen von der Wahl eines bis zur Vereidigung einer neuen Regierung 62 Tage.
Nach der Nationalratswahl 1999 - bei der die FPÖ mit knapp 27 Prozent ihr bis Sonntag stärkstes Ergebnis der Geschichte gelandet hatte - zogen sich die Gespräche sogar 124 Tage lang hin. Der Ausgang damals: Die erste Koalitionsregierung aus ÖVP und FPÖ, auf die anderen EU-Staaten mit heftigem Protest und einer Einschränkung der diplomatischen Beziehungen durch die damals nur 14 weiteren Unionsmitglieder zu Österreich reagierten.
Nach dem neuerlichen Wahltriumph am Sonntag hatte FPÖ-Chef Kickl bereits am Wahlabend den Regierungsanspruch seiner Partei bekräftigt. Die anderen Parteien müssten nun die Frage beantworten, "wie sie es mit der Demokratie haben", sagte er mit Blick auf Nehammers Absage an ein Regierungsbündnis unter seiner Führung. Zudem äußerte er Zweifel, ob die ÖVP bei ihrer Ablehnung einer Zusammenarbeit bleibe.
Bei einer Wahlparty der FPÖ am Sonntagabend äußerte der langjährige Chef des Wiener Landesverbands der Rechtspopulisten, Hilmar Kabas, im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AFP die Hoffnung, dass Parteichef Kickl zumindest den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten werde. "Ob er dann scheitert oder nicht, das liegt ja auch an den anderen", sagte Kabas und fügte an: "Ich prognostiziere, egal wer oder welche die Regierung machen, wir haben sicherlich vor Weihnachten keine Regierung."
Der frühere Innenminister Kickl hatte die FPÖ-Führung im Jahr 2021 übernommen - zwei Jahre nach dem "Ibizagate"-Korruptionsskandal seiner Partei und dem darauf folgenden Debakel bei der Nationalratswahl 2019. Mit Verschwörungserzählungen über die Corona-Schutzmaßnahmen, feindlichen Parolen gegen Migranten und scharfer Kritik an der Unterstützung der Ukraine angesichts des russischen Angriffskriegs brachte er der FPÖ Zulauf.
Im Wahlprogramm "Festung Österreich", auf dem die FPÖ mögliche Koalitionsverhandlungen aufbauen will, fordert die Partei unter anderem unter dem Stichwort "Remigration" eine deutliche Verschärfung der Asyl- und Migrationspolitik unter anderem durch Zurückweisungen an Österreichs Grenzen. Auch eine umfassende Reform der Rundfunkanstalt ORF und eine Abschaffung der Haushaltsabgabe zu deren Finanzierung sowie ein Nein zur Europäischen Friedensfazilität, mit der die EU insbesondere die Ukraine bei der Verteidigung gegen den russischen Angriffskrieg unterstützt, sieht das Programm vor.
Die Bundesregierung in Berlin äußerte sich diplomatisch zurückhaltend zum Wahlergebnis im Nachbarland. Österreich stehe wie Deutschland "in der gemeinsamen Verantwortung, die Europäische Union zu gestalten", dies gelte "unabhängig von der Frage, welche Partei in Regierungsverantwortung ist und wie das ausgehen wird", sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amts am Montag.
Scharfe Worte der Abgrenzung zum österreichischen Wahlsieger wählte dagegen Anton Hofreiter (Grüne), Vorsitzender des Europaausschusses im Bundestag. "Man sollte sich nie daran gewöhnen, dass Rechtsextreme und Rechtspopulisten in Europa Wahlen gewinnen", sagte Hofreiter dem Sender phoenix und fügte an: "Die FPÖ ist eine rechtsextreme Partei und Herr Kickl ist ein Rechtsextremist."
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