Beschleunigt den Klimawandel - Das Albedo-Problem: Der fatale Baum-Pflanz-Effekt in der Arktis
Baum-Pflanzungen in Alaska, Grönland und Island? Neue Erkenntnisse zeigen, dass diese vermeintlichen Klima-Heldentaten das Problem nur verschlimmern. Bäume senken die Albedo, also die Sonnen-Rückstrahlung, und setzen Boden-Kohlenstoff frei, was zu einem massiven Anstieg der Treibhausgase führt.
Die „Albedo“ hat für die Erderwärmung große Bedeutung. Es sagt aus, wie viel Sonnenstrahlung von der Erde zurück in den Weltraum reflektiert wird. Je weniger zurückstrahlt, desto mehr heizt sich die Erde auf. Eine wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang der Schnee vor allem in den nördlichen Breitengraden, wie etwa in der arktischen Tundra. Dort ist die Erde mehrere Monate lang von Schnee bedeckt. Dreiviertel der Sonnenenergie wird so reflektiert. Nördliche Gebiete wie Alaska, Grönland und Island haben somit eine hohe Albedo.
Bäume wachsen in diesen kalten Regionen kaum. Durch die Erderwärmung ändern sich die klimatischen Bedingungen jedoch. Regierungen und Unternehmen fördern daher aktuell große Baumpflanzungsprojekte in der Arktis , um die Folgen des Klimawandels abzuschwächen. Die Bäume sollen CO2 speichern und damit die Treibhausgase verringern. Die Bewohner etwa der Arktis haben hingegen wirtschaftlich-pragmatische Motive für die Begrünung der weißen Region: Sie möchten die Versorgung mit Holz sicherstellen und ihre Abhängigkeit von Importen verringern. Wissenschaftler warnen indes eindringlich vor den Baumplänen.
Wissenschaftler warnen vor Bäumen in der Arktis
Die Anpflanzung von Bäumen in hohen Breitengraden könnte die globale Erwärmung eher beschleunigen als verlangsamen, schrieb kürzlich eine internationale Gruppe von Wissenschaftlern in der Fachzeitschrift „Nature Geoscience“ . Würden Bäume an falschen Stellen gepflanzt, wie etwa in der baumlosen arktischen Tundra und in Mooren, verstärken sie die globale Erwärmung im schlechtesten Fall, schreiben die Forscherinnen und Forscher in der Studie.
Die Böden in der Arktis sind besonders reich an Kohlenstoff, den sie über die Jahrtausende gespeichert haben. Bäume würden das Gleichgewicht und das Speichersystem empfindlich stören, schreibt Carsten Müller, Professor für Bodenkunde an der TU Berlin und Mitautor der Studie: „Die Störung führt zu einem verstärkten mikrobiellen Abbau des Bodenkohlenstoffs und damit zur Emission von Treibhausgasen aus diesen kohlenstoffreichen Böden.“
Auch Jeppe Kristensen von der Universität Aarhus in Dänemark und Erstautor der Studie warnt vor den Bewaldungsplänen im hohen Norden: „Mehrere Beweislinien deuten darauf hin, dass die Baumpflanzung in hohen Breiten kontraproduktiv für den Klimaschutz ist“, schreibt Kristensen in der Zeitschrift Nature Geoscience . „Grüne und braune Bäume absorbieren deutlich mehr Wärme von der Sonne als weißer Schnee“, schreibt der Professor für Ökoinformatik und Biodiversität.
Doppeltes Minusgeschäft für das Klima
Die Folgen wären eine weitere Schädigung des Klimas statt Klimaschutz. Denn: „In den nördlichen borealen und arktischen Regionen führt die Baumpflanzung zu einer Nettoerwärmung aufgrund der erhöhten Oberflächendunkelheit.“ Die Umwelt mache dadurch gleich ein doppeltes Minusgeschäft: Zum einen werde die Albedo, der Rückstrahleffekt des Schnees, „verschlankt“. Dadurch wird ein mutmaßlicher Vorteil einer größeren Kohlenstoffspeicherung aufgehoben, zumal die Biomasse begrenzt und wenig widerstandsfähig sei.
Nicht zu unterschätzen sei auch die Waldbrandgefahr und die Dürre in den Regionen um den Nordpol in Nordamerika, Asien und Skandinavien, sagt Jepp Kristensen. Durch den Klimawandel träten diese „natürlichen Störungen“ häufiger auf. Zuletzt entdeckte ein US-Forscher eine „dramatische Veränderung“ in der Arktis: In den vergangenen 20 Jahren sind durch Brände in der Nordpolarregion durchschnittlich 207 Millionen Tonnen Kohlenstoff pro Jahr in die Luft gelangt
Für die Forscherinnen und Forscher seien die Baumpläne von Regierung und Bevölkerung daher ein Beispiel dafür, dass Klimaschutz nicht nach einem allgemeingültigen Schema funktioniert. Was an der einen Stelle richtig sei, könne je nach geologischen Bedingungen anderswo genau den gegenteiligen Effekt auslösen. Für die arktische Tundra gilt demnach den Wissenschaftlern zufolge das, was der Titel ihrer Studie aussagt: „Baumpflanzungen sind keine Lösung für das Klima in den nördlichen Breitengraden“.
Albedo-Effekt wichtiger als Kohlenstoffspeicherung
Kristensen betont demgegenüber die Bedeutung des Albedo-Effektes für den Klimaschutz: Besonders in hohen Breitengraden sei die Menge an Sonnenlicht, die ins All zurückgestrahlt wird, ohne in Wärme umgewandelt zu werden (das ist der Albedo-Effekt) für die gesamte Energiebilanz wichtiger als die Kohlenstoffspeicherung, so der Experte.
Professor Marc Macias-Fauria vom Scott Polar Research Institute der Universität Cambridge und Letztautor der Studie „Tree planting is no climate solution at northern high latitudes“ räumt zwar ein, dass die Selbstversorgung der Menschen in den nördlichen Hemisphären ein Faktor sei. Es dürfe in diesen Fällen aber kein Klimaschutz vorgegaukelt werden. Schon gar nicht dürften Boni für die Forstwirtschaft im hohen Norden für vermeintlichen Umweltschutz gezahlt werden: „Man kann nicht alles gleichzeitig haben, und man kann die Erde nicht täuschen. Wenn wir Aufforstung im Norden als Klimaschutzmaßnahme verkaufen, betrügen wir uns nur selbst“, schreibt Macias-Fauria .
Rentiere als Lösung für den Klimaschutz in der Arktis
Für einen wirksamen Umweltschutz schlagen die Forscher andere Wege vor, um dem Klimawandel in arktischen und subarktischen Regionen zu begegnen: In Zusammenarbeit mit lokalen Gemeinschaften sollten nachhaltige Populationen großer Pflanzenfresser wie Rentiere gefördert werden. Sie beeinflussten „die Pflanzengemeinschaften und die Schneeverhältnisse in einer Weise, die zu einer Nettokühlung führt“, so Macias-Fauria. „Dies geschieht sowohl direkt, indem Tundra-Landschaften offengehalten werden, als auch indirekt durch die Auswirkungen der winterlichen Futtersuche von Pflanzenfressern, wodurch sie den Schnee verändern und seine Isolierfähigkeit verringern, was die Bodentemperaturen und das Auftauen des Permafrosts reduziert.“
Für Bevölkerung und Umwelt ergäbe sich noch ein weiterer doppelter Vorteil durch die Vermehrung der Rentiere: Sie leisten einen Beitrag zur biologischen Vielfalt, und Rentierfleisch ist nicht nur eine Delikatesse, sondern durch seinen hohen Proteingehalt auch besonders gesund.