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Ein toter Cousin und ein verlorener Lkw: Spediteur zürnt über Berlin

Menschen stehen vor dem LKW, mit dem ein Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin verübt worden war (Archivbild). Foto: Michael Kappeler
Menschen stehen vor dem LKW, mit dem ein Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin verübt worden war (Archivbild). Foto: Michael Kappeler

Sein Cousin war das erste Terroropfer, sein entführter Lkw die Tatwaffe auf dem Berliner Weihnachtsmarkt: Für den polnischen Spediteur Ariel Zurawski wurde das Attentat 2016 zur emotionalen und finanziellen Tragödie. Deutsche Behörden kümmere das nicht, klagt er.

Zwei Jahre nach dem Terroranschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz ringt der polnische Speditionsbesitzer Ariel Zurawski noch immer mit seinen Gefühlen. Als der Attentäter Anis Amri am 19. Dezember 2016 einen Lkw seiner Firma zur Waffe machte, wurde Zurawski gleich doppelt getroffen. Da ist die Trauer um seinen getöteten Cousin, der als Fahrer der Spedition zum ersten Opfer des bisher schwersten islamistisch motivierten Terroranschlags in Deutschland wurde. Und da ist Verbitterung ob des Verlusts eines fast nagelneuen Lastwagens - gepaart mit dem Gefühl, als Unternehmer von den deutschen Behörden praktisch alleingelassen worden zu sein.

Mit Zurawskis Lastwagen raste Amri damals in die Menge am Breitscheidplatz, tötete elf Menschen und verletzte mehr als 70 weitere. Zuvor hatte er den Lkw-Fahrer Lukasz U. erschossen. Der Verlust des nahen Angehörigen ist für den Speditionsbesitzer aus Sobiemysl bei Stettin (Szczecin) nicht mit Geld abzugelten.

Neben der Trauer auch Existenzängste

Sehr präzise ist dagegen der finanzielle Schaden zu beziffern, der durch die Instrumentalisierung des Lkw als Terrorwaffe entstand: Das schwer demolierte Fahrzeug musste nach dem Anschlag verschrottet werden, laut Zurawski entstand ein Schaden von etwa 90.000 Euro. "Das ist für mich ein Haufen Geld", klagt der Unternehmer, den damals neben der Trauer um seinen Cousin auch Existenzängste quälten.

Lukasz U. wurde nur 37 Jahre alt und hinterließ Frau und Sohn. Die Familie funktioniere zwei Jahre nach der Tragödie wieder irgendwie, erklärt Zurawski im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. "Man kann die Zeit nun mal nicht zurückdrehen", sagt der Pole, dessen Stimme leiser wird. Doch wenn es um den Umgang deutscher Behörden mit den Opfern geht, wird er wieder laut. Dann mischen sich in Zurawskis Trauer auch Frust und Wut.

Inzwischen habe seine Speditionsfirma den Verlust des Lkw einigermaßen verwunden und sei finanziell über den Berg. Dennoch kann Zurawski nicht verstehen, warum Deutschland den ihm entstandenen Schaden nicht ersetzt. «Ich will mich doch nicht bereichern», betont er. Für ein reiches Land wie Deutschland müsste die Entschädigung der Opfer eigentlich Ehrensache sein, meint er. Bekommen habe er aber lediglich 10 000 Euro Schmerzensgeld.

"Sehr unfein" habe sich Berlin ihm gegenüber verhalten. Und das sei noch milde ausgedrückt. "Ich trage doch keine Schuld an dem Anschlag", klagt Zurawski. Er werde vom Nachbarland ungerecht behandelt, und das "nur, weil ich Pole bin". Der Speditionsbesitzer ist überzeugt, dass ein deutscher Unternehmer mehr Unterstützung erhalten hätte.

Immerhin habe sich Polens Regierung hilfsbereit gezeigt, sagt Zurawski. Warschau übernahm die Kosten für die Überführung des toten Cousins und dessen Beerdigung. Bei dem Begräbnis war sogar Staatspräsident Andrzej Duda zu Gast, während von deutscher Seite kein Landesvertreter kam. Die Familie des Fahrers bekam von Polens Regierung eine Spezialrente bewilligt.

Kritik an Opferbeauftragten


An den deutschen Opferbeauftragten übt Zurawski dagegen reichlich Kritik: Unter Edgar Franke habe sich in seinem Fall gar nichts getan, dessen Vorgänger Kurt Beck - ebenfalls von der SPD - habe sich sogar fremde Erfolge auf die Fahne geschrieben. Dass der Lkw-Hersteller Scania auf noch fällige Leasing-Raten verzichtete und der Industriekonzern Thyssen-Krupp auf Schadenersatz für die verrostete Stahl-Ladung, sei entgegen Becks Behauptungen nicht dessen Verdienst gewesen, meint Zurawski. Die Firmen hätten sich vielmehr dem Druck der Medien gebeugt.

Den eigenen Kampf für eine Entschädigung hat der Pole vorerst aufgegeben. Es sei aussichtslos, das habe ihm selbst sein Anwalt gesagt. "Solange in Deutschland die Ermittlungen nicht abgeschlossen sind, habe ich keine Chance, etwas zu erreichen", meint Zurawski und fügt resigniert hinzu: "Das ist ein Kampf wie David gegen Goliath."

Amri war als Gefährder bekannt

Ein deutscher Untersuchungsausschuss klärt derzeit, warum Amri, der nach dem Anschlag auf der Flucht in Italien erschossen wurde, von deutschen Sicherheitsbehörden nicht rechtzeitig aus dem Verkehr gezogen worden war. Er war ihnen als islamistischer Gefährder bekannt gewesen. Nach dem Anschlag nahmen auch polnische Behörden Ermittlungen auf. Berichten zufolge prüft die Stettiner Staatsanwaltschaft, ob Amri einen Komplizen hatte. Dies will die Behörde der dpa aus ermittlungstaktischen Gründen jedoch nicht bestätigen.

Zurawskis Groll kann auch das Denkmal für die Terroropfer in Berlin nicht besänftigen. "Die Menschen laufen darauf rum", sagt er über den vergoldeten Riss im Boden, und auch die Namen der Toten an den Treppenstufen der Gedächtniskirche lindern seinen Unmut nicht. Bei der Gedenkfeier für die Terroropfer im vergangenen Jahr habe er einen Zigarettenstummel darauf liegen sehen. In diesem Jahr will Zurawski seines verstorbenen Cousins und Mitarbeiters gemeinsam mit den Speditionskollegen in Polen gedenken. "Wir werden mit den Lkws vor den Friedhof fahren und ihm zu Ehren hupen."

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