Betreff: „Verpiss dich“ - Hasskommentare verraten mehr über den Absender als den Empfänger

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Der Hashtag «#Hass» ist auf einem Bildschirm zu sehen.picture alliance / Lukas Schulze/dpa/Illustration

Als Autorin erhalte ich viele Kommentare. Während einige erfreulich sind, sprengen andere jede Grenze des Anstands. Kürzlich erhielt ich einen Leserbrief mit dem Betreff: „Verpiss dich“. Wie man damit am besten verfährt, lesen Sie hier.

Die Scheinbare Macht der Hasskommentatoren

Jeder, der in der Öffentlichkeit steht oder sich in sozialen Netzwerken bewegt, kennt dieses Phänomen. Politiker oder Experten ziehen sich oft aus dem öffentlichen Leben zurück, entweder aus Angst um ihr Leben – was eine extreme Steigerung des „Verpiss dich“ darstellt, nämlich Morddrohungen – oder weil sie sich nicht mehr mit der „Meute“ auseinandersetzen möchten. Es ist psychisch zu anstrengend geworden mit den täglichen Angriffen umzugehen.

Was sagt die Psychologie dazu?

Wenn wir uns mit den Themen hinter diesen Kommentaren beschäftigen, erkennen wir schnell aggressive Menschen, die ihren persönlichen Frust bei anderen abladen möchten. Diese Individuen machen Autoren, Politiker oder den Staat für ihre eigene unzufriedene Lebenssituation verantwortlich. Manche Leser vertreten extreme und gegensätzliche Meinungen, andere wollen einfach nur Aufmerksamkeit erzeugen.

Gemeinsam ist diesen Menschen, dass sie sich oft hinter einer Anonymität verstecken. Ihre Wut richtet sich gegen den Autor, gegen Lebensbedingungen, Migranten, Rentenfragen, die Grünen oder andere Themen – ein Anlass lässt sich immer finden. Diese Wut kann teils berechtigt sein: Ein Mensch, der 40 Jahre hart gearbeitet hat und nun sieht, wie andere ohne eigenen Beitrag Sozialleistungen beziehen, hat allen Grund zur Verärgerung.

Es gibt jedoch auch eine Wut, die sich nicht auf das Thema bezieht, über das sich der Kommentator beschwert. Diese Wut wird durch den Autor, Politiker oder Experten ausgelöst, getriggert, nur weil diese es wagen, eine andere Meinung zu vertreten oder auch als Frau Kritik zu äußern. Diese Art von Wut hat oft tiefere Wurzeln, etwa aus einer gewalttätigen Kindheit, gescheiterten beruflichen Bildungswegen oder unerfüllten Lebenszielen.

Der Umgang mit „Verpiss dich“

Ein machtvoller Umgang mit solchen Kommentaren ist unerlässlich. Machtvoll, weil der Kommentator, bewusst oder unbewusst, sein Gegenüber klein machen und dominieren will. In einer Sekunde, in der man solche Kommentare liest, entscheidet man, ob man die eigene Macht abgibt, an der eigenen Expertise zweifelt, Ängste entwickelt oder sich als Projektionsfläche für die Frustrationen des Gegenübers zur Verfügung stellt.

Man muss sich bewusst machen, dass das Gegenüber in seinen Kommentaren oft mehr über sich selbst spricht als über das eigentliche Thema. „Verpiss dich“ kann eine Botschaft aus einer Kindheit mit Gewalterfahrungen sein oder Ausdruck einer mangelhaften Schuldbildung. Äußerungen wie „Verpiss dich“ zeigen oft ein Bedrohungsszenario des Kommentators auf, den Wunsch, Distanz zu schaffen, indem er das unangenehm erlebte Gegenüber zum „Teufel wünscht“. Psychologisch gesehen: Dem Kommentator ist man zu nahe gekommen, man hat eine Grenze überschritten, weil man möglicherweise in sein Innerstes, hinter seine Fassaden geblickt hat.

Social Media und die neue Kommunikationskultur

Durch soziale Medien sind die Grenzen des Anstands weiter gefallen. Der Ton ist rauer geworden, weil Menschen sich hinter der Anonymität der Plattformen verstecken können. Einzelne Hasskommentare fallen auf und werden reglementiert, doch in Gruppen fühlen sich die Menschen sicherer und ungestraft. Scham über kommunikative Entgleisungen ist kaum noch vorhanden.

Für Autoren, Experten und Politiker ist es wichtig, eine bewusste Entscheidung über den Umgang mit solchen Grenzüberschreitungen zu treffen: „Distanzieren Sie sich von solchen Kommentaren, lesen Sie sie nicht zu Ende oder ignorieren Sie sie gleich. Ab der ersten Zeile, wenn nicht schon im Betreff die Aggression hinter den Worten zu erkennen ist, sollten Sie solche Nachrichten löschen. Geben Sie Ihrem Gehirn die Botschaft: „Das ist das Thema des Kommentators, nicht mein Thema.“

Denn in Wahrheit sind vielfach nicht Sie persönlich gemeint. Sie sind lediglich die Projektionsfläche für die (gewalttätigen) Erfahrungen, die ihren Ursprung vielfach in der Kindheit haben und sich möglicherweise bis heute fortsetzen: in Konflikten im Job, in der Partnerschaft, mit den Kindern, in Geldsorgen, Suchtproblematiken oder Krankheiten. In seinen Aussagen widerspiegeln sich gefühlte Hilflosigkeit und Ohnmacht in Anbetracht der eigenen Lebenssituation.

Aufgewachsen in einer Kommunikationskultur, die nicht gewaltfrei ist, aber leider nie anders erlernt wurde. Aufgewachsen in eher gewaltvollen oder prekären Lebensverhältnissen. Oder das Gegenteil, mit dem Gefühl der Macht aufgrund einer (vermeintlich) herausragenden Topposition verbunden mit Statussymbolen und Image, die man glaubt zu haben, und die man gerne ausdehnen möchte. Dem anderen das Gefühl zu geben, dass der Experte oder Politiker, oder Autor eigentlich ein „nichtssagender Wurm“ ist. Und man selbst es viel besser könnte, wenn man nur dürfte.

Geben Sie den Hasskommentatoren keine Macht – denn sie haben keine!

Macht muss gewährt oder zugeschrieben werden, und das haben Sie als Experte, Autor oder Politiker selbst in der Hand. Den „Verpiss dich“-Kommentatoren kann ich nur empfehlen, darüber nachzudenken, welchen Einblick sie der Öffentlichkeit über ihre psychische Verfassung gewähren. Oder Gefahr laufen, sogar eine Diagnose über eine psychische Erkrankung zugeschrieben zu bekommen, die sich übrigens anhand der Aussagen leicht erstellen ließe.

Überlegen Sie als Kommentator, bevor Sie auf den Knopf drücken und Ihre Wut kommunizieren kurz, was der wahre Grund Ihrer Verärgerung ist. Kommentieren Sie konstruktiv und nutzen Sie den Austausch, der durch eine adäquate Kommunikation entstehen könnte, um sich weiterzuentwickeln. Vielleicht schreiben Sie mir und fragen detailliert nach meinen Argumenten? Vielleicht kann ich Ihnen helfen, manches in Ihrem Leben besser zu verstehen und Sie sich selbst besser zu verstehen.

Auch für Sie gilt: Geben Sie anderen nicht die Macht über Ihr Leben. Hasskommentare verbessern Ihre Situation mitnichten. Sie dienen lediglich der Druckentladung. Weder Politiker, noch Experten, noch Arbeitgeber oder Ihre Partner:innen sind schuld an Ihrer Misere. Auch wenn Sie davon überzeugt sind, dass das Ihre Lebensrealität ist. Letztendlich tragen Sie immer noch selbst Verantwortung für Ihr Leben. Konkret darüber, welche Sichtweise Sie im Leben wählen: Ist Ihr Bierglas halbvoll, oder immer halbleer?

Ich empfehle Ihnen in diesem Kontext ein großartiges Buch von Paul Watzlawick: Man kann nicht nicht kommunizieren.

Surftipp: Üble Kommentare im Netz - Was kann ich tun, wenn mich eine Hasswelle überrollt?