Betreff: "Warum meine Familie heute München verlässt"

image

Der “Münchner Merkur" hat einen offenen Brief veröffentlicht. “Anna” zieht aus München weg – wegen ihres “Problemstadtteils” und der “Migranten”. Hier eine Antwort.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Liebe Anna,

da haben Sie ja ganz schön Dampf abgelassen. Sie, 35, verheiratet mit zwei kleinen Jungs, ziehen aus München weg, genauer aus Milbertshofen-Am Hart. Auf den Punkt gebracht schreiben Sie: Dass Sie das Gefühl haben, dort nicht reinzupassen. Dass Sie dort nicht erwünscht seien.

Das ist starker Tobak. Und ein Wegzug ist sicherlich ein Einschnitt im Leben, besonders, wenn es mal nicht der Job ist, der einen wandern lässt.

Deshalb möchte ich Ihnen heute antworten. Ich weiß, das ist ein verwegenes Unterfangen. Ich lebe nämlich nicht in München, ich kenne auch Milbertshofen-Am Hart nicht bewusst. Ab und an bin ich in München und mag diese Stadt sehr, sehe sie aber mit den Augen eines Touristen und darf mir daher viel anmaßen, aber keine Meinung. Dennoch wirft Ihr Brief bei mir einige Fragen auf.

Sie beginnen mit Erfahrungen bei einem Nachbarschaftstreff, da gab es eine Frauenfrühstücksrunde mit Ihnen als einziger, die Deutsch sprach. Dass Sie mit Schinken und Salami da ankamen, ist eher ein Grund zum Lächeln. Hat das jemanden dort aufgeregt? Die Araberinnen und Türkinnen werden nicht zum ersten Mal mit solchen Missverständnisses konfrontiert, das wirft sie nicht aus der Bahn – und sollte es mit Ihnen auch nicht machen. Schade, dass Sie sich dort nicht wohlfühlten. Wie lange waren Sie denn dort? Wollte tatsächlich keine von den Frauen sich mit Ihnen unterhalten?

Lesen Sie auch: Seehofer beharrt auf Obergrenze für Flüchtlinge

Sie berichten dann, wie auch andere Projekte in diesem Haus Ihnen eher wie geschlossene Abteilungen vorgekommen seien. Ich finde auch, dass solche Treffs so offen wie möglich gehalten werden sollten. Austausch ist wichtig. Aber er muss auch von beiden Seiten gewollt sein. Sie beklagen sich an anderer Stelle, bei einer Einrichtung für Ihre Kinder seien Sie lediglich darauf hingewiesen worden, “dass ich meinem Kind zum Frühstück kein Schweinefleisch mitgeben darf!!!!! Hallo!? Wir sind in Deutschland!”

Wir suchen uns unsere Probleme

Da muss ich jetzt doch schmunzeln. Das ist Ihr Problem? Schon mal was von Putensalami gehört? Womöglich teilen die Kinder ihr Frühstück miteinander. Ist Deutschland ein obligatorisches Schweineland? Ich habe, als bekennender Liebhaber von Schweinefleisch in all seinen Variationen, es noch nie verstanden, wie man sich in seiner Kultur eingeschränkt fühlen kann, wenn nicht zu jeder Tageszeit Schwein verfügbar ist. Wenn Sie Angst haben, Ihr Sohn könnte damit unterversorgt sein, servieren Sie ihm doch abends eine ordentliche Haxe zum Ausgleich. Und das meine ich ganz ohne fünf Ausrufezeichen.

Über eine andere Einrichtung berichten Sie, dass das Interesse “vieler Migranten” dort “gleich Null ist sich und ihre Kinder zu integrieren”. Wie sieht das konkret aus? Machen die bei was nicht mit? Wie oft suchten Sie das Geplauder zwischendurch?

Und gab es keine Einrichtung, die Ihnen zusagte? Ich habe mal im Internet ein wenig recherchiert, da gibt es zum Beispiel das Mehrgenerationenhaus “Unter den Arkaden”, ich hoffe, das findet sich auch nicht auf Ihrer Negativliste. Das Programm jedenfalls finde ich ansprechend. Da gibt es “Miniclub”, “Krabbelgruppe”, “Eltern-Kind-Treff”, Brettspieltreffs und Tai-Chi. Hört sich doch erstmal gut an. Auch im Kulturhaus Milbertshofen scheint eine Menge los zu sein. Bei all den Programmpunkten wird es doch einige Chancen geben, sich als Nachbarn näher zu kommen.

Milbertshofen scheint ein Stadtteil mit mehr Armut als andere Kieze Münchens zu sein – wie es eben in jeder großen Stadt so ist. Sie vermuten, dass der Oberbürgermeister dort selten herumspaziert. Nun, immerhin regiert dort seine Partei, ich glaube, der besucht schon hin und wieder seine Klientel.

Dann beschweren Sie sich über frei herumlaufende Hunde in den Parks. Das sehe ich wirklich als Problem an, hat aber nichts mit den „Migranten“ zu tun, sondern eher mit einer zu laxen Politik des lokalen Ordnungsamts. Sind Sie da mal vorstellig geworden? Beschwerden von Anwohnern bringen mehr, als man gemeinhin denkt. Immerhin verdient der Staat durch Bußgelder nicht wenig. Man muss nur wollen.

Integration ist keine Einbahnstraße

Und da sind wir beim Thema. Warum ist es für Sie ein Problem, wenn viele Kinder und Erwachsene um Sie herum auf dem Spielplatz kein Deutsch sprechen? Wie viel wollen Sie von denen mitkriegen? Können die kein Deutsch? Haben Sie es ausprobiert? Sind Sie den berühmten Schritt aufeinander zugegangen? Oder ist “Integration” für Sie eine Einbahnstraße, die immer nur die anderen angeht? Sie schreiben, Sie wollten, “dass mein Kind Deutsch lernt”. Nun, das sollte Ihnen gelingen. Es gibt da gute Wörterbücher für daheim, da können Sie Ihren Wortschatz bei Bedarf aufpäppeln. Oder meinen Sie allen Ernstes, Ihr Sohn würde am Entwickeln seiner Deutschkenntnisse behindert, wenn er auf der Schaukel türkische oder arabische Wortfetzen aufschnappt?

Am Ende werden Sie echt weinerlich. “Mein Mann sagt schon manchmal, er hat das Gefühl, wir sind mittlerweile die größte Minderheit ohne Lobby. Für jeden gibt es eine Institution, eine Stelle, ein öffentliches Interesse, aber für ein heterosexuelles verheiratetes Paar mit zwei Kindern, weder arbeitslos noch Linkshänder, weder behindert noch islamisch, für uns gibt es kein Interesse mehr.”

Kommentar: Burkini und Kopftuch sind kein Problem für unsere Werte

Ganz ehrlich, bei solchen Sätzen erlischt auch mein Interesse. Was wollen Sie eigentlich? Ein Amt nur für Ihre Familie? Das ist das Problem unserer Zeit: Viele haben “ein Gefühl”. Dieses Gefühl stellt sich gegen die Realität. Es ist ja auch eine gefühlte Realität. Tut mir Leid, Ihre Gefühle berühren mich weniger, wenn Sie Fakten ignorieren. Sie imaginieren Milbertshofen-Am Hart als einen Ort, in dem schwule Singles im Rollstuhl einhändig in die zahllosen Moscheen fahren, welche Eckkneipe, Bioladen, Kinos und Theater vertrieben haben. Abgesehen davon, dass dieses Bild mir keinen Angstschweiß bereitet – zu Ihrer Information: Sie gehören, auch in Milbertshofen-Am Hart, der Mehrheitsgesellschaft ein, wenn Sie schon einteilen wollen. Staatliches Interesse entsteht, wenn kleinere Gruppen nicht so zu ihren Rechten kommen, wie es sein sollte – weil die Mehrheitsgesellschaft, der Sie angehören, es ihnen nicht zusteht. Sowas wird dann staatlich gefördert.

Ich muss zugeben: Aus der Ferne betrachtet wirft Ihr Brief viele Fragen auf. Sicherlich läuft es bei vielen Institutionen des “Miteinander” darauf hinaus, dass Gruppen sich einigeln, dass sich in sich Geschlossenes einschleift. Da sollte schnell frischer Wind hinein. Mit Ihren Schweinefleisch-Bagatellen aber kommt niemand voran. Ich habe die Ahnung, ich würde Milbertshofen-Am Hart mit anderen Augen sehen als Sie.


Mit freundlichen Grüßen

Jan Rübel


Foto (Symbolbild): dpa

Sehen Sie auch: Wie sehr sind Flüchtlinge im deutschen Alltag angekommen?