Betriebsverlagerer Danieli im Gespräch - Logistik-Profi verrät: „In wenigen Tagen verlässt der nächste große Konzern unser Land“
Marcello Danieli verlagert als Logistik-Unternehmen Produktionsstätten. FOCUS online sprach mit dem Inhaber von HARDER logistics über die Flucht deutscher Unternehmen ins Ausland, warum bald die nächste Hiobsbotschaft für den Standort kommt und die zögerliche Haltung der Politik.
Herr Danieli, Ihr Geschäft brummt, wenn Firmen abwandern. Hat sich das durch das Ampel-Aus beschleunigt?
Marcello Danieli: Das Ampel-Aus ist für unser Geschäft noch nicht spürbar, Betriebsverlagerungen haben eher einen Planungshorizont von einem halben bis zu einem Jahr. Aber der Einfluss der Ampel-Regierung selbst hat sicherlich eine Beschleunigung gebracht – kurz- und mittelfristig. Inzwischen planen 13 Prozent konkret eine Verlagerung, entweder einzelner Maschinen oder ganzer Werke. Das beunruhigt mich. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs.
Gibt es noch andere Zahlen, die Sie ebenfalls beunruhigen?
Danieli: Insgesamt spielen 30 Prozent der Unternehmen mit dem Gedanken, das Land zu verlassen. Und wissen Sie, was mich am meisten beunruhigt?
Noch nicht.
Danieli: Ob Bürgermeister, Landräte, Landtags- oder Bundestagsabgeordnete, Bundesminister oder andere Politiker: Keiner rührt einen Finger, keiner bewegt sich. Obwohl es offensichtlich ist, gibt es keinen erkennbaren Plan, auf diese Prozesse einzuwirken.
Die Bürokratie ist eine Katastrophe in Deutschland
Mit den Firmenchefs kommen Sie sicher ins Gespräch. Aus welchen Gründen verlassen sie das Land?
Danieli: Klar, ich frage immer alle. In erster Linie sind es die Bürokratie und die Genehmigungsverfahren, die bei uns eine Katastrophe sind.
Nennen Sie ein Beispiel.
Danieli: Nehmen wir die verkehrslenkenden Maßnahmen bei uns. Bei Betriebsverlagerungen und Umzügen beantragen wir bei den Städten und Gemeinden eine Genehmigung. Die jeweilige Behörde schreibt dann die Beschilderung und die Positionierung vor. Aber um den Genehmigungsprozess überhaupt anzustoßen, müssen wir neuerdings jemanden zu einer eintägigen Schulung schicken. Das kann ein Lehrling sein oder die Putzfrau, ganz egal. Aber die Schulung kostet 520 Euro.
Aber deshalb verlassen die großen Firmen nicht das Land.
Danieli: Das sind kleine Dimensionen, aber das Problem wird deutlich. Werden wir konkreter: In der Nähe von Heidelberg wollte ein florierender Maschinenbauer ein neues Werk bauen, auf einem Grundstück, das ihm bereits gehörte. Viereinhalb Jahre hat er sich mit Genehmigungen herumgeschlagen und ist final nach Italien gegangen.
Warum gerade Italien?
Danieli: Dort ist das Schwesterwerk angesiedelt. Nach nicht einmal acht Wochen war die Baugenehmigung da, das ganze Werk ist inzwischen entsprechend erweitert worden. Oder nehmen ein anderes Beispiel: ein Lohnabfüller für Kosmetik.
Moment, was ist das bitte?
Danieli: Wenn Cremes in Tiegel oder Tuben abgefüllt werden oder Pharmazie-Produkte. Eine Firma aus der Nachbarschaft hatte ein zweites Werk für Kosmetika in den neuen Bundesländern. Beide Werke sollten umgerüstet werden, um dort Pharmazie-Produkte abzufüllen. Die hierfür erforderlichen Genehmigungen wurden mit immer noch mehr Auflagen versehen. Schlussendlich haben wir diese Werke nach Portugal und Mexiko verlagert. In diesen Ländern wie in vielen andern auch, insbesondere den östlichen EU-Ländern, gibt es eine Willkommenskultur.
Wahrscheinlich auch in den USA.
Danieli: Davon können Sie ausgehen. Ein Unternehmen ist in die Nähe von Chicago gezogen und hat dort 80 Millionen Euro investiert. 60 Gemeinden und Städte haben sich darum gerissen, dass das Unternehmen sich bei ihnen ansiedelt. Es hat sich gelohnt: Drei Jahre keine Steuern und keine Energiekosten, dafür haben sie sich verpflichtet, 20 Jahre dort zu produzieren. Das ist in Deutschland undenkbar.
Problematisch ist dies nicht nur für die großen Unternehmen, sondern auch für den Mittelstand und die kleinen Betriebe. Die Insolvenzen nehmen sprunghaft zu, gerade im Automobilbereich. Wenn man sieht, was bei VW, Conti oder ZF passiert, merkt man, dass etwas nicht stimmt. Zeit zum Gegensteuern, denke ich mir – aber es passiert nichts. Die Politik ist im Dornröschenschlaf, es gibt kein aktives Eingreifen.
In Deutschland fehlen Patriotismus und Pragmatismus
Es hört sich so an, als ob Sie selbst keine Lust mehr auf Deutschland haben.
Danieli: Nicht falsch verstehen, wir leben in einem tollen Land! Wir haben Potenzial, wir sind technologisch stark. Aber es fehlt der Patriotismus und Pragmatismus. Außerdem sollten unsere Politiker mal sechs bis acht Jahre in der freien Wirtschaft arbeiten, Steuern zahlen und sehen, was mit ihrem Geld passiert. Stattdessen kann ich als Ungelernter in den Bundestag gehen. Das sind falsche Ausgangsbedingungen.
Fassen wir zusammen: Was sind die Hauptgründe für die aktuellen Probleme?
Danieli: Die Bürokratie ist die Nummer eins. Dann sind wir nach Belgien das Land mit den höchsten Steuern weltweit. Außerdem ist Energie bei uns so teuer wie nirgendwo sonst. Und auch der Fachkräftemangel ist ein Thema.
Auch bei Ihnen?
Danieli: Insgesamt wird das Potenzial nicht ausgeschöpft. Wenn Flüchtlinge zu uns kommen, sollten sie schnell unsere Sprache lernen, dann finden sie auch entsprechend Arbeit. Wir suchen ebenfalls Personal und mir geht es nicht darum, nur den Mindestlohn zu zahlen. Wir zahlen mehr. Aber diese Menschen müssen in unseren Alltag integriert werden.
Und wie beurteilen Sie den Nachwuchs, der hier heranwächst?
Danieli: Wir haben uns von einer Work-Life-Balance zu einer Life-Work-Balance entwickelt. Und dabei haben wir schon die wenigsten Arbeitsstunden der Welt. Unter den Top 5 sind die Länder, die die Sechs-Tage-Woche wieder eingeführt haben. Das hat Professor Clemens Fuest, der ifo-Chef, kürzlich in einem Vortrag gesagt. Mit den wenigen Arbeitsstunden kann Deutschland wirtschaftlich nicht wachsen. Warum ist Stihl wohl in die Schweiz gegangen ?
Sicher nicht wegen der Lohnkosten.
Danieli: Richtig, aber die Schweizer arbeiten im Durchschnitt 44 Stunden pro Woche. In einer Volksabstimmung haben sie sich gegen die 40-Stunden-Woche ausgesprochen. Und das hat auch ein Stihl ausgerechnet. Trotz Mehrkosten rechnet es sich, weil man dort im Jahr über 300 Arbeitsstunden mehr generiert.
Noch einmal: Deutschland ist ein tolles Land, aber im Moment gibt es zu wenig Kompetenz und zu wenig Interesse. Nehmen wir die Digitalisierung: Mein Sohn war vor einigen Jahren in Laos und Kambodscha. Da gibt es im tiefsten Dschungel Internet und vieles ist digitalisiert. Und wenn ich hier Kennzeichen für ein Fahrzeug brauche, kann ich einen halben Tag einplanen, um im Landratsamt die Behördengänge zu machen.
Firmen verlagern viel nach Polen, Tschechien oder Ungarn
Wo siedeln sich die meisten Unternehmen an?
Danieli: Seit etwa 15 Jahren wird viel nach Polen, Tschechien oder Ungarn verlagert. Man darf nicht vergessen, dass die EU dort Neubauten immer noch stark subventioniert. Aber jetzt kommen noch profitablere Länder wie Rumänien oder Bulgarien hinzu. Und diese Entwicklung geht weiter.
Sie wissen schon mehr als ich, nehme ich an.
Danieli: Ja, nur den Namen darf ich noch nicht nennen. Aber in ein paar Tagen kommt die nächste Hiobsbotschaft von der Größe eines Unternehmens wie Schaeffler.
Kommen eigentlich auch Unternehmen wieder zurück?
Danieli: Es kommt keiner zurück, sonst hätte ich etwas Hoffnung. Aber im Moment läuft zu viel schief. Nehmen wir den Autogipfel von Bundeskanzler Scholz.
An sich ist es gar nicht so dumm, sich mit den Konzernen an einen Tisch zu setzen.
Danieli: Moment mal! Olaf Scholz lädt ein, aber eigentlich müsste er zu denen an den Tisch. Aber nein, man lässt sich bitten. Das kann man machen, wenn man Erfolge vorweisen kann. Aber ich sehe keine Erfolge.
Wie blicken Sie auf die Bundestagswahl im Februar?
Danieli: Der aktuellen Sonntagsumfrage zufolge dürfte die CDU die Wahl gewinnen, die SPD als dritttstärkste Kraft in die Regierung kommen. Die AfD ist zu Recht kein Thema. Um eine Mehrheit im Bundestag zu bilden, bräuchte es gegebenenfalls auch die Grünen in der Koalition...
Und da haben wir schon das Problem: Wenn ich einen Partner in meinem Unternehmen habe, muss ich Kompromisse eingehen. Wenn wir zu dritt sind, viel Spaß. Ebenso in der Politik: Je mehr es werden, desto schlechter wird das Ergebnis, dafür sind die Parteibücher zu unterschiedlich. Aber es muss ein Ruck durchs Land gehen.
Wie erreichen wir diesen Ruck?
Danieli: Indem wir nicht mit Populismus regieren. Und um es klar zu sagen: Links und rechts der politischen Mitte gibt es noch weniger Kompetenz. Ich möchte lieber an jeden Einzelnen appellieren, etwas zu tun. Wenn jeder täglich 30 Minuten länger arbeiten würde, dann könnten wir zum Beispiel die Reform des Bildungssystems finanzieren. Das ist jetzt etwas plakativ formuliert, aber es zeigt, was ich meine.
Effizienzminister wie Musk würde auch Deutschland helfen
Bürokratieabbau wäre auch ein Thema: Brauchen wir hier einen Effizienzminister wie Elon Musk in den USA?
Danieli: Ich bin sicher kein Freund von Elon Musk oder Donald Trump. Aber der Ansatz ist spannend. Nehmen Sie Ulm und Neu-Ulm, gefühlt eine Stadt nur durch die Donau getrennt. Warum brauchen wir dort zwei Oberbürgermeister mit allen Behörden? Warum kann man nicht beide Städte gemeinsam verwalten? Nur als Beispiel, um einmal zu zeigen, wie man denken kann.
Neben der Bürokratie wird die schlechte Infrastruktur kritisiert und auch eine Gen-Z, der nachgesagt wird, sie wolle nicht arbeiten. Wie sieht das bei Ihnen aus? Gibt es auch welche, die sagen, sie wollen nicht arbeiten, sondern lieber Bürgergeld kassieren – um es mal plakativ zu beschreiben.
Danieli: Die jungen Leute ticken ganz anders, ich erlebe sie sehr leistungsfähig. Das ist auch der Eindruck aus meinem eigenen Unternehmen.
Was sagt der Sohn zur Erziehung des Vaters?
Danieli: Gute Frage. Ich bin meiner Frau sehr dankbar, sie hat ihn großgezogen. Ich war fast nur im Geschäft. Heute arbeitet mein Sohn selbst im Unternehmen. Hin und wieder prallen Generationen aufeinander. Aber er kann anpacken: Samstag und Sonntag hatten wir einen halben Tag Stromausfall, da ist der Server „abgeraucht“, wie er sagt. Aber er hat sich durchgebissen und das Problem am Sonntagmittag gelöst. Da bin ich als Vater schon stolz und weiß, dass es die richtige Entscheidung war, dass er auch Unternehmer wird.
Nach dem Ampel-Aus gibt es im Februar Neuwahlen. Was würden Sie als neuer Bundeskanzler als erstes anpacken?
Danieli: Schwer zu sagen, denn ich könnte und wollte diesen Job nicht machen. Ich antworte daher lieber pauschal: Zuerst verdient das Amt deutlich mehr Vertrauen und Respekt, denn der Bundeskanzler wird gewählt. Das kommt mir etwas zu kurz. Dann wird man an der Performance gemessen, wenn man wiedergewählt werden will. Dafür hat man in der Regel vier Jahre Zeit. Wenn ich auf den aktuellen Kanzler schaue, dann grenzt es schon an Arroganz und Ignoranz, sich nach so einer Leistung wieder aufstellen zu lassen.
Wie kommentieren unsere User diese Entwicklung? Schauen Sie hier.
Folgen Sie dem Autor auf X