Bilanz nach einem Jahr - Was Mileis Reformen Argentinien gebracht haben – und wer den Preis dafür zahlt

Javier Milei, selbst ernannter "Anarchokapitalist" und argentinischer Präsident, schwenkt eine Kettensäge mit seinem Namen auf einer Wahlkampfveranstaltung.<span class="copyright">Natacha Pisarenko/AP</span>
Javier Milei, selbst ernannter "Anarchokapitalist" und argentinischer Präsident, schwenkt eine Kettensäge mit seinem Namen auf einer Wahlkampfveranstaltung.Natacha Pisarenko/AP

Vielen gilt der ultraliberale Staatschef des südamerikanischen Landes als Vorbild: Radikal streicht er Staatsausgaben zusammen, feuert Beamte, kürzt Sozialleistungen. Kann das funktionieren?

Seit einem Jahr ist der argentinische Präsident Javier Milei im Amt. Mit seiner wilden Frisur und der Kettensäge hat er weit über die Grenzen Südamerikas für Aufmerksamkeit gesorgt. Bis heute lautet sein Mantra: „No hay plata“ (Es gibt kein Geld).

Sein radikales Spar- und Reformprogramm stößt auch in Europa auf Interesse. Selbst FDP-Chef Christian Lindner will in Deutschland „mehr Milei wagen“. Doch was hat der ultraliberale Staatschef in seinen ersten zwölf Monaten tatsächlich erreicht?

Wirtschaft

Die Inflation ist deutlich gesunken. Die Teuerungsrate ging von monatlich über 20 Prozent zu Beginn von Mileis Amtszeit auf zuletzt 2,7 Prozent pro Monat zurück. Die Regierung hat aufgehört, den Staatshaushalt mit der Notenpresse zu finanzieren.

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Zum Teil geht die positive Entwicklung aber auch auf die abgewürgte Wirtschaft zurück: Weil viele Menschen einfach kein Geld mehr haben, konsumieren sie weniger.

Deshalb steckt Argentinien in einer schweren Rezession - die Weltbank rechnet damit, dass die Wirtschaftsleistung im laufenden Jahr um 3,5 Prozent schrumpft. Auf der anderen Seite ist es Milei aber gelungen, das erste Mal seit Jahren wieder einen ausgeglichenen Staatshaushalt vorzulegen.

Armut

Milei hat eine Reihe von Sozialprogrammen gekürzt, die Renten nur unterhalb der Inflationsrate erhöht und die Unterstützung für soziale Projekte wie Armenküchen heruntergefahren. Nach der Streichung von Subventionen sind die Preise für Strom, Wasser und Gas explodiert. Vielen Menschen geht es schlechter als zu Beginn von Mileis Amtszeit.

So ist der Anteil der Argentinier unterhalb der Armutsgrenze um über zehn Prozentpunkte auf 52,9 Prozent gestiegen. 18,1 Prozent der Menschen leben sogar in extremer Armut - das bedeutet, ihr Einkommen reicht nicht aus, um sich mit Grundnahrungsmitteln zu versorgen.

Verschlankung des Staates

Der selbst ernannte Anarcho-Kapitalist Milei sieht den Staat als grundsätzliches Übel an und will ihn nach eigenen Angaben „von innen zerstören“.

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Sofort nach Amtsantritt schaffte er eine ganze Reihe von Ministerien ab, entließ Zehntausende Staatsbedienstete und legte fast alle öffentlichen Bauvorhaben auf Eis. Zudem will er viele staatliche Unternehmen privatisieren. Daraus ist allerdings bislang noch nichts geworden.

Dollarisierung

Eines der wichtigsten Versprechen in seinem Wahlkampf war die Abschaffung des Peso und die Einführung des US-Dollar als gesetzliches Zahlungsmittel. Davon ist mittlerweile keine Rede mehr.

Finanzexperten hielten das Projekt ohnehin für unrealistisch, weil Argentinien überhaupt nicht in der Lage wäre, genug Dollar dafür aufzubringen.

Verbesserung der Investitionsbedingungen

Nach Jahrzehnten einer stark regulierten Wirtschaft will Milei das Land liberalisieren und Investoren anlocken. Er brachte ein Förderungspaket auf den Weg, das für Großinvestitionen von mehr als 200 Millionen US-Dollar Steuervergünstigungen über 30 Jahre vorsieht.

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Allerdings bestehen immer noch viele Beschränkungen für den Außenhandel. Auf Importe werden weiterhin hohe Zölle fällig. Und auch Devisentransaktionen ins Ausland sind streng reglementiert.

Diplomatie

In der Außenpolitik lässt sich Milei stark von seiner ultraliberalen bis rechtspopulistischen Ideologie leiten. Anstatt gute Beziehungen zu seinen wichtigen Nachbarn und Handelspartnern wie Brasilien zu pflegen, besuchte er den künftigen US-Präsidenten Donald Trump und den Tech-Milliardär Elon Musk, wetterte auf rechten Foren gegen den Sozialismus und eine vermeintliche Wokeness und provozierte mit der Beleidigung der Frau von Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez einen diplomatischen Eklat.

Wenn es darauf ankommt, ist er aber erstaunlich pragmatisch: Er trug die Abschlusserklärung des G20-Gipfels in Rio de Janeiro und die Einigung auf ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und dem Mercosur mit - allerdings nicht, ohne sich kurz darauf öffentlich davon zu distanzieren.