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Rauschgiftkriminalität 2017 erneut gestiegen

Sichergestelltes Ecstasy auf einer Pressekonferenz des Bundeskriminalamtes in Wiesbaden. Foto Boris Roessler/Archiv
Sichergestelltes Ecstasy auf einer Pressekonferenz des Bundeskriminalamtes in Wiesbaden. Foto Boris Roessler/Archiv

«Tatort Internet»: Das Netz ersetzt beim Drogenhandel immer häufiger finstere Ecken, in denen Dealer herumlungern. Auch neue künstliche Drogen sind leicht zu bekommen. Die meisten Delikte werden allerdings bei einer altbekannten Droge gezählt.

Wiesbaden (dpa) - Die Zahl der Rauschgiftdelikte in der polizeilichen Kriminalstatistik ist 2017 zum siebten Mal in Folge gestiegen.

«Der Zugang zu Drogen ist leicht, und Drogenhandel ist nach wie vor ein lukratives Geschäft», sagte Holger Münch, der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), bei der Vorstellung der Rauschgiftkriminalität des vergangenen Jahres. Vor besondere Herausforderungen stellt die Ermittler der Handel im Internet.

Insgesamt deckte die Polizei in Deutschland im vergangenen Jahr mehr als 330.000 Fälle auf - ein Anstieg um 9,2 Prozent zum Vorjahr. Eine Zunahme gab es sowohl beim Drogenkonsum wie auch beim Drogenhandel. Besonders deutlich legten die registrierten Delikte bei Kokain mit einem Anstieg um 17,9 Prozent und bei Cannabis mit einem Zuwachs um 11,8 Prozent zu. Straftaten im Zusammenhang mit Cannabis machten den mit Abstand größten Teil der gezählten Delikte aus.

Die Menge des sichergestellten Kokains habe sich im vergangenen Jahr vervierfacht, sagte Münch. Die Ermittler stellten einen Rekordwert von mehr als 8100 Kilogramm sicher. Dazu trugen vor allem drei große Funde im Hamburger Hafen bei, als Anfang 2017 innerhalb von drei Monaten 3,8 Tonnen Kokain sichergestellt wurden.

Allerdings lässt sich nach Angaben der Experten aufgrund dieser Zahlen nicht sagen, dass tatsächlich mehr Kokain oder Cannabis konsumiert werden. Zum einen sei Deutschland in den aufgedeckten Fällen teilweise Transitland gewesen, sagte Münch. Und Dietmar Schiff, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), sah auch einen Effekt verstärkter polizeilicher Kontrollen.

Da es sich bei Rauschgiftkriminalität um ein Kontrolldelikt handle, müsse die Polizei aktiv ermitteln, um Taten und Täter zu identifizieren, sagte Schiff. So hat zum Beispiel die Polizei im Frankfurter Bahnhofsviertel ihre Kontrollen im vergangenen Jahr mit aufgestockten Einsatzkräften deutlich ausgeweitet.

Insgesamt nehme die Polizei eine «sprunghafte Zunahme» der Drogenkriminalität wahr, sagte Rainer Wendt, der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, im Radiosender SWR Aktuell. Dies gelte gerade für den Vertrieb von Drogen aus Osteuropa.

In einigen gesellschaftlichen Kreisen sei Drogenkonsum alltäglich, sagte Marlene Mortler, die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, und betonte: «Ich will keine Gesellschaft, in der der Konsum riskanter Drogen zur Normalität gehört.»

Der zunehmende Handel im Internet wie auch die internationale Verflechtung des Drogenhandels, in den auch die Organisierte Kriminalität verwickelt sei, stellt die Ermittler vor neue Herausforderungen. Wer Drogen kaufen will, müsse nicht mehr Dealer in zwielichtigen Stadtteilen aufsuchen und sich «in dunklen Ecken herumdrücken», sagte Münch.

Stattdessen kommen die Drogen aus dem Online-Handel mit der Post oder dem Kurierdienst. Im sogenannten Darknet, aber auch im ganz normalen Bereich des Internets, könnten Käufer fündig werden. Das BKA setzt daher auch auf eigene Cyberspezialisten, die auf der dunklen Seite des Netzes ermitteln können.

Wie bedeutsam der «Tatort Internet» in der Drogenkriminalität ist, zeigt auch die Kriminalstatistik. Mehr als 2500 Fälle wurden im vergangenen Jahr erfasst - ein Anstieg um etwa 24 Prozent. Zwei der zu diesem Zeitpunkt größten Darknet-Marktplätze für Drogen wurden Mitte 2017 abgeschaltet: Eine der Plattformen hatte rund 200.000 Nutzer, darunter 40.000 Verkäufer.

Kaufangebote im offenen Internet wiederum sollten suggerieren, dass es sich gar nicht um sonderlich gefährliche Substanzen handle, sagte Münch zu sogenannten Legal-High-Drogen, also neuen psychoaktiven Stoffen. Sie werden zum Beispiel als Räuchermischungen im Internet vertrieben. Die 75 Todesfälle nach Konsum derartiger Drogen allein 2017 zeigten aber: «Die Wirkung ist für den Nutzer unberechenbar.»

Gerade deshalb sei es so wichtig, dass Handel, Besitz und Kauf von neuen psychoaktiven Stoffen seit Ende 2016 unter Strafe stehen, sagte Mortler.

Eine klare Absage erteilte Mortler einer Legalisierung von Cannabis. Dies wäre ein falsches Signal, betonte sie. «Es geht nicht darum, Statistiken zu verschönern, sondern darum, einer gefährlichen Droge entgegenzutreten.»

Ganz anders sah dies Kirsten Kappert-Gonther, Sprecherin für Drogenpolitik und Gesundheitsförderung von Bündnis 90/Die Grünen: Wenn Erwachsene gelegentlich einen Joint genießen wollten, seien sie keine Verbrecher, erklärte sie in einer Stellungnahme und warnte vor Kriminalisierung von Kiffern. «Polizei und Justiz haben wichtigere Aufgaben, als Cannabiskonsumenten zu verfolgen», betonte sie.

«Wir dürfen die Regulierung der Drogen nicht länger der organisierten Kriminalität überlassen und zugleich die Konsumenten kriminalisieren», sagte auch Niema Movassat, drogenpolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke im Bundestag.