Blackout Problems: Darum ist "Kaos" ein Seelenstriptease geworden

Mit ihrem zweiten Album "Kaos" zeigen sich die Münchner von Blackout Problems persönlicher als jemals zuvor. Warum, das verrät der Sänger und Gitarrist der Band, Mario Radetzky, der Nachrichtenagentur spot on news im Interview.

Die Alternative-Rock-Band Blackout Problems ist seit einiger Zeit dem Status Geheimtipp entwachsen. Spätestens mit ihrem Debütalbum "Holy" haben die Münchner 2016 einen bleibenden Eindruck in der deutschen Musiklandschaft hinterlassen. Morgen erscheint ihr zweites Album "Kaos" und zeigt die Band erneut einen großen Schritt weiter in Sachen Songwriting. Und auch thematisch hat sich auf "Kaos" einiges getan, wie Sänger und Gitarrist Mario Radetzky der Nachrichtenagentur spot on news im Interview verraten hat.

Was ist aus Ihrer Sicht der größte Unterschied zum Vorgänger "Holy"?

Mario Radetzky: Wir haben unseren Sound in vielerlei Hinsicht weiterentwickelt und einen Schritt nach vorne gemacht. Das hat vor allem die Produktionsweise und die Art des Songwritings betroffen. Außerdem haben wir ein viertes Bandmitglied. Was man zudem vielleicht schon am Artwork sehen kann, ist, dass wir bei "Kaos" den Blick mehr nach innen richten. Auf "Holy" war der noch mehr nach außen gerichtet. Die Themen darauf waren eher gesellschaftskritisch. Das Artwork von "Kaos", mit dem aufgeschnittenen Kopf und dem verschachtelten Ausschnitt eines Bauwerkes, ist sozusagen eine Metapher für die komplexe Psyche eines Menschen.

Gab es einen Auslöser für diesen Perspektivenwechsel?

Radetzky: Wir haben uns das nicht vorgenommen, es ist durch die äußeren Umstände passiert. Ich habe in den letzten ein, zwei Jahren ein wenig den Boden unter meinen Füßen verloren. Durch eine Trennung und dadurch, dass ich fast ein halbes Jahr lang nicht wirklich einen festen Wohnsitz hatte. So musste ich mich gezwungenermaßen mit mir selbst auseinandersetzen. Ich bin in ein Loch gefallen und habe gemerkt, dass nicht mehr alles im Lot ist. Ich musste mich fragen, woran das liegt und wie ich dort wieder rauskomme.

Man sagt ja immer, dass negative Gefühle eine gute Muse sind, um Songs zu schreiben. Klar, das ist ein Klischee, aber wenn man mal wirklich in diesem Loch hängt, fragt man sich schon, warum das so sein muss. Und eigentlich wünscht man sich, dass es aufhört. Das einzige Ziel, was wir uns beim Schreiben gesetzt haben, war, dass unsere Musik authentisch bleiben muss. Und da ich nun mal die Texte schreibe, blieb mir gar nichts anderes übrig. Wir haben es uns nicht vorgenommen, dass es persönlicher wird, es ist einfach so passiert.

Wie sehr mussten Sie sich überwinden, um diesen Seelenstriptease hinzulegen?

Radetzky: Mir war schon von vorn­he­r­ein klar, dass ich mich zwar richtig nackig mache, aber es weiß ohnehin nur ein kleiner Kreis von Freunden, welche Geschichten ich dort behandle. Alle anderen haben ihre eigenen Gedanken dazu, ihre eignen Interpretationen und verbinden vielleicht etwas völlig anderes damit.

Wenn man so viel auf Tour ist wie Sie, wie schwierig ist es, Beziehungen zu Hause aufrechtzuerhalten?

Radetzky: Hätte ich ein geregeltes Leben zu Hause, in das ich immer von Neuem schlüpfen muss, etwa Frau und Kind, wäre das sicher schwer, weil sich der Mikrokosmos bewegt und ständig weiterentwickelt. Mein Leben passiert eher unterwegs. Klar für viele Freunde ist man "aus den Augen, aus dem Sinn" und man verpasst schon einiges. Aber viele von meinen wirklich dicken Freunden sind eben auch mit mir auf Tour. Von daher verspüre ich nicht so was wie Heimweh. Aber das hängt auch mit dem aktuellen Beziehungsstatus zusammen. Wenn man mit seiner Freundin zusammenwohnt, dann will man schnell nach Hause. Ich habe das im Moment nicht.

"Kaos" erscheint auf dem bandeigenen Label. Warum haben Sie sich dazu entschieden, die Sache komplett in die eigenen Hände zu nehmen?

Radetzky: Wir hatten es bei "Holy" auch schon fast in der eigenen Hand. Jetzt sind wir völlig frei - einzig einen Vertrieb haben wir als Partner. Das hatte mehrere Gründe: Zum einen wollten wir wirklich alles genauso machen, wie wir uns das vorstellen. Das hat natürlich den Nachteil hat, dass man finanziell für alles geradestehen muss. Andererseits saßen wir auch schon bei einem großen Label und nachdem wir uns dort ausgetauscht hatten, ist uns eigentlich klar geworden, dass wir das im Moment gar nicht wollen. Wir müssten einfach zu viele Kompromisse eingehen, die wir derzeit nicht eingehen wollen. Wir wollen niemanden haben, der uns sagt, wie wir klingen sollen, oder uns vorschreibt, welche Kooperationen wir eingehen können oder müssen.

Aber wir haben auch von befreundeten Bands, die bei einem großen Label sind, gehört, dass sie gerne wieder alles selbst in der Hand hätten. Gleichzeitig hätten wir gerne ihre finanziellen Mittel. Aber irgendwann entscheidet man sich eben für etwas und dann hört man auf, sich ständig zu beschweren und immer das zu wollen, was andere haben.

Viele Künstler, besonders in anderen Genres, versuchen sich an neuen Konzepten. Zum Beispiel bringen einige nur noch Singles auf den Markt. Wäre das auch ein interessantes Konzept für Sie?

Radetzky: Die Rockmusik bleibt ja auch nicht stehen. Sie braucht einfach immer ein wenig länger, um sich an Neuerungen zu gewöhnen. Gerade hier gab und gibt es Künstler, die sich beispielsweise dem Streaming verschlossen haben. Ich glaube aber, dass da immer neue Konzepte entstehen werden. Wir haben vor dem Release von "Kaos" fünf Singles veröffentlicht. Weil wir einfach Lust hatten, dass die Leute das Zeug hören. So kann man aktuell bleiben. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass auch wir mehr mit neuen Konzepten arbeiten werden. Live machen die Leute ohnehin keine Unterscheidung zwischen einem Album-Track oder einer Single.

Provokant gefragt: Warum sollte man überhaupt noch ganze Alben aufnehmen?

Radetzky: Das kann man sich natürlich schon fragen. Ich finde aber, dass es immer noch eine große Leistung ist, ein ganzes Album zu schreiben. Sozusagen die Königsdisziplin. Die Songs auf dem Album müssen in sich stimmig sein, einen gemeinsamen Sound haben. Man muss mehr schreiben, mehr produzieren und mehr darauf achten, dass Abwechslung geboten wird. Das ist schon eine große Herausforderung. Große Alben begleiten einen meist auch über eine längere Periode. Das finde ich schön.

Foto(s): Ilkay Karakurt