«Blechtrommel» als Paukenschlag der Nachkriegsliteratur

Blechtrommler: Günter Grass spielt vor seinem Elternhaus in Danzig bei einer Parade. Foto: Stefan Kraszewski

Als Günter Grass im Herbst 1959 auf der Frankfurter Buchmesse seinen Roman «Die Blechtrommel» vorstellte, glaubten erste Kritiker bereits, nicht weniger als «die Unabhängigkeitserklärung der deutschen Nachkriegsliteratur» in Händen zu halten.

Der erste weltweite Erfolg eines deutschen Nachkriegsautors bahnte sich an, und der erste Satz des Buches wurde schnell berühmt: «Zugegeben: ich bin Insasse einer Heil- und Pflegeanstalt...»

1959 war ein ereignisreiches Jahr für die deutsche Nachkriegsliteratur - neben der «Blechtrommel» erschienen zum Beispiel noch Heinrich Bölls «Billard um halb zehn» und Uwe Johnsons «Mutmaßungen über Jakob». Akademie-Sekretär Horace Engdahl meinte 1999 in seiner Nobelpreis-Laudatio auf Grass, der Autor habe mit seiner literarischen Arbeit den «bösen Bann gebrochen, der über Deutschlands Vergangenheit lastete». Deshalb sorgte es 2006 für besonderes Aufsehen, als die frühere Zugehörigkeit des 17-jährigen Grass zur Waffen-SS bekannt wurde.

1958 hatte der Lyriker und Bildhauer ein Kapitel aus seinem neuen Buch auf einer Tagung der Autoren-Gruppe 47 im Gasthof «Adler» in Großholzleute im Allgäu vorgelesen. «Er sah verwegen aus, etwas heruntergekommen, wie mir schien, desperat wie ein bettelnder Zigeuner», erinnerte sich später der «Vater» der Gruppe 47, Hans Werner Richter. Für Grass sei es ein Tag des Triumphes gewesen, «der sich in dieser Intensität trotz aller späteren Erfolge wohl nicht wiederholt hat».

Das Echo dieses Triumphes brauchte allerdings noch 28 Jahre, bis es auch im zweiten deutschen Staat hörbar wurde und das Buch in der (bereits langsam untergehenden) DDR noch erscheinen konnte. Einer der berühmt-berüchtigten DDR-Kulturfunktionäre, der Schriftsteller Hermann Kant («Die Aula»), mäkelte 1960 an dem «Solo in Blech» herum, das «keine Grenzen im Ersinnen von Abnormem und Monströsem» kenne und von einem Autor stamme, «den einige Kritiker uns als den neuen Rabelais, den neuen Grimmelshausen verkaufen möchten».

Dabei war Kant, der seine «politische und parteiliche» Kritik später eher peinlich fand, keineswegs allein in seiner Ablehnung der «Blechtrommel». Auch der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki oder «Spiegel»-Herausgeber Rudolf Augstein, der den Roman zu pompös und langatmig fand, hatten einiges an dem Grass-Buch auszusetzen, von Kirchenvertretern oder konservativen Politikern ganz zu schweigen. Sie protestierten in der Adenauer-Ära lautstark gegen die ihrer Meinung nach allzu freizügigen Szenen im Buch, manche sprachen von Pornografie.

In seinem Roman nahm Grass der Nazizeit das Dämonische, sah den kleinbürgerlichen, angeblich immer hilflosen Mitläufern und -tätern auf die Alltagsfinger und verwob deren Schicksal mit der Weltgeschichte in vielen kleinen Episoden. Literaturgeschichtlich gesehen war es der experimentell-expressionistische Stil der «Blechtrommel», der Generationen von Autoren beeinflussen sollte.

Ähnlich wie schon Thomas Manns «Buddenbrooks» hat auch «Die Blechtrommel» Jahrzehnte auf die höchsten Weihen aus Stockholm warten müssen. Und bis 1980 dauerte es, ehe die «Blechtrommel» auch auf die Leinwand kam, von Volker Schlöndorff verfilmt und mit der höchsten Filmehrung bedacht - mit dem ersten deutschen Spielfilm-Oscar der Nachkriegszeit.

Inzwischen gibt es das Buch in über 50 Sprachen. Zum 50-jährigen Jubiläum der «Blechtrommel» 2009 erschienen Neuübersetzungen in mehreren Sprachen - darunter Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch und Japanisch. Frühere Übersetzungen waren laut Verlag «zu flach und zu prosaisch». Die genaue Auflage des weltweiten Millionen-Sellers und meistverkauften Grass-Buches kennt selbst der Steidl Verlag nicht.