Blick hinter die Kulissen - Schwarzgeld ohne Ende - Gastronom schließt seinen Betrieb und beschreibt den Betrug

Restaurants in Deutschland stecken tief in der Krise. Ein Gastronom kalkuliert die Preise (Symbolbild).<span class="copyright">Getty Images</span>
Restaurants in Deutschland stecken tief in der Krise. Ein Gastronom kalkuliert die Preise (Symbolbild).Getty Images

Der 63-jährige Gastwirt Klaus Ahrens will nicht mehr. Nach über 20 Jahren hat er sein beliebtes Restaurant für immer geschlossen. Im Gespräch mit FOCUS online geht er mit der ganzen Branche hart ins Gericht: „Die letzten Jahre waren eine absolute Katastrophe“.

„Es macht keinen Spaß mehr“, sagt der 63-Jährige. Für seine Stammgäste war die Schließung eine Überraschung. Aber für Ahrens sei es immer schwerer geworden, neue Mitarbeiter langfristig zu halten. Sich etwas zurückziehen oder einfach Urlaub machen, das war nicht möglich.

Insbesondere nach der Corona-Krise sei es immer schwieriger geworden, geeignete Köche und Servicepersonal zu finden. Während der Schließungen seien Mitarbeiter abgewandert. Oft in den Einzelhandel oder ins Büro. Nachdem auch sein langjähriger Mitarbeiter aus gesundheitlichen Gründen aufhören musste, entschied sich Ahrens, selbst öfter an der Theke zu stehen. Die Personalsituation sei auch ein Grund gewesen, warum er jetzt aufgebe.

Preiserhöhungen zum Trotz: Gäste zahlen auch für 40-Euro-Steak

Aber auch die Kosten seien gestiegen. Alle paar Wochen hätte Ahrens neu kalkulieren müssen. Denn immer wieder trudelten Nachzahlungen ein - für Strom, Heizung oder Nebenkosten. Und auch Getränkelieferanten hätten innerhalb der vergangenen drei Jahre ihre Preise in Etappen um bis zu 15 Prozent angehoben. „Das Bier kostete zuletzt schon 4,20 Euro pro Glas. Vor drei Jahren waren es noch 3,40 Euro.“ Zudem seien Lebensmittel teurer und qualitativ minderwertiger geworden. „Ein 20-Kilo-Sack Zwiebeln hat früher 30 Euro gekostet, zuletzt waren dafür 50 Euro nötig. Viele Zwiebeln konnte man aber auch direkt wegwerfen.“

Die höheren Kosten habe Ahrens, wie viele seiner Kollegen, mit Preiserhöhungen auf der Speisekarte abgefedert. Der Besucherrückgang hielt sich dabei in Grenzen. „Wir haben es zwar schon im Umsatz gespürt. Die Leute haben weniger getrunken oder den Beilagensalat weggelassen. Aber das Rindersteak für 40 Euro wurde genauso oft bestellt wie früher.“ Ahrens rät Gastronomen auch deshalb, sich eine Stammkundschaft aufzubauen. Wenn die Gäste immer wieder kämen, seien Preiserhöhungen zweitrangig, wenn die Qualität der Speisen und des Services stimme. Dennoch dürfen die Preiserhöhungen nicht weiter zunehmen. „Es gibt sicher auch eine Schmerzensgrenze. Wenn der Teller Pommes über acht Euro kosten soll oder das Schnitzel über 25 Euro, sind sie nicht mehr bereit dazu.“

Das rät der Gastronom den Gästen

Auf die Frage, ob er auch einen Tipp für Gäste habe, antwortet Ahrens: „Wer sich über die Qualität des Restaurants unsicher ist, sollte zuerst die Toilette des Betriebs aufsuchen. Wenn es dort besonders dreckig ist, kann man sicher sein, dass es in der Küche genauso aussieht.“ Und: „Ich würde immer nach der Rechnung fragen. Meistens gibt es nur eine Rechnungskopie, die dann einfach storniert wird.“ Auch den Kassenbon könne ein Betreiber stornieren, um Steuern zu sparen. Das sei aber viel aufwändiger.

Die Betriebe könnten praktisch nur überleben, weil sie auch Steuern hinterziehen würden. Auch wegen dieser Aussage will er seinen vollen Namen und die Firma nicht nennen. „Die suchen nur nach schwarzen Schafen, wissen aber genau, dass das gängige Praxis ist“, sagt der 63-Jährige.

So arbeiten Gastronomen am Fiskus vorbei

„Würde man alle Rechnungen, Lieferungen und Zahlungen so angeben, wie sie sind, hätte man sofort eine Steuerprüfung im Haus.“ Denn dann würde man aus der Norm fallen. „Wir haben auch immer wieder Essens- und Getränkebestellungen storniert oder gar nicht in der Buchhaltung angegeben. Mit dem Geld haben wir dann die Lieferanten bezahlt. Die wollten auf ihren Lieferscheinen auch keine Steuern ausweisen.“

Weit verbreitet sei in der Gastronomie auch die Schwarzarbeit. Dabei werden Mitarbeiter gezielt nach Netto-Entlohnung gesucht. Es gibt meistens zwei Positionen: „Den Brutto-Lohn, wo dann auch die Sozialversicherung und die Rente drin ist und dann noch eine Extra-Zahlung, die bar ausgezahlt wird“, so Ahrens. Betreiber und Mitarbeiter zahlen dann nur für den Teil des Brutto-Lohns Sozialversicherungsbeiträge. Auch der Fiskus bekommt nur den Brutto-Lohn mitgeteilt. „Das machen viele so.“ Er selbst habe seinen Mitarbeiter nur Bonus-Zahlungen gezahlt. Über die Höhe spricht er nicht. „Damit konnte man aber seine Monatseinkäufe im Supermarkt machen.“

15 Milliarden Euro Schwarzgeld pro Jahr

Florian Köbler, Bundesvorsitzender bei der Deutschen Steuer-Gewerkschaft (DSTG) bestätigt die Aussagen von Ahrens. Köbler erklärt, dass in der Gastronomie jährlich schätzungsweise 15 Milliarden Euro Schwarzgeld erwirtschaftet werden. „Das ist eine Kaskade von Betrug“, sagt er. „Es ist schwierig, über die gesamte Branche zu sprechen, die das macht“, so der Steuerexperte dem NDR. Es gebe auch viele ehrliche Unternehmen, aber letztlich stünden diese in Konkurrenz zu den Unternehmen, die mit Schwarzarbeit und Schwarzgeld arbeiten. Köbler fordert eine Registrierkassen-Pflicht , also eine Kasse, deren Daten direkt an das Finanzamt übermittelt werden und gleichzeitig mehr Steuerprüfungen. Im Schnitt werde ein Betrieb aktuell nur alle 17 Jahre geprüft.

Ahrens erklärt: „Bei mir war in den 20 Jahren kein Steuerfahnder oder Steuerprüfer im Betrieb, um Bücher anzuschauen. Sie waren vielleicht eher privat zum Essen und Trinken da.“

*Die Redaktion hat den Namen von Klaus Ahrens auf dessen Wunsch geändert.

Lesen Sie dazu auch: PUSH - Ketten-Betreiber im Interview - Currywurst-Boss nervt „Gejammer“ der Gastro-Kollegen: „Sturheit ist Ursache der Krise“