Blockade für Ausgaben droht - Die Ampel ist Geschichte – doch jetzt geht die Krise erst so richtig los

Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) führen die Koalition nun ohne FDP-Chef Christian Lindner (FDP).<span class="copyright">Bernd von Jutrczenka/dpa</span>
Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) führen die Koalition nun ohne FDP-Chef Christian Lindner (FDP).Bernd von Jutrczenka/dpa

Auch ohne Ampel-Koalition bleibt die Haushaltskrise ungelöst. Sie könnte sich noch über Monate ziehen und wichtige Ausgaben blockieren. Bei anderen Projekten gibt man sich in der SPD zuversichtlich, Mehrheiten finden zu können.

Am Ende waren die Haushaltsverhandlungen zu vertrackt, als dass Kanzler Olaf Scholz (SPD) mit Finanzminister Christian Lindner (FDP) eine Einigung finden konnte oder wollte. Die Ampel ist seit Mittwochabend Geschichte – die Aufstellung des Bundeshaushaltes ist es nicht. Der bislang angedachte Budgetplan für 2025 sowie nachträgliche Änderungen am Haushalt 2024 haben zunächst keine Mehrheit mehr im Parlament.

Das wird Folgen haben. Vor allem der Nachtragshaushalt 2024 ist kritisch, denn es fehlen bereits jetzt Milliarden Euro durch Mehrausgaben für das Bürgergeld und geringere Steuereinnahmen. Wird das nicht noch in den Haushalt eingepreist, geht das Geld aus – eine Haushaltssperre droht. Möglicherweise wird die Union in Verhandlungen mit Olaf Scholz noch ihre Bereitschaft erklären, das zu verhindern.

„Ohne Geld ist kein Staat zu machen“

Spätestens aber beim Haushalt fürs kommende Jahr wird Unions-Fraktionschef Friedrich Merz dem Kanzler den Gefallen nicht machen. Die rot-grüne Minderheitsregierung wird dann ohne Budgetplan ins neue Jahr gehen müssen. Zu einem kompletten Shutdown, wie es in solchen Fällen in den USA gibt, wird es aber nicht kommen.

„Ohne Geld ist kein Staat zu machen“, erklärt Gregor Kirchhof, Professor für Finanzrecht an der Universität Augsburg. Deshalb sei es in modernen Finanzstaaten unüblich, „die Ausgaben des Staates umfassend zu verbieten, weil es an der notwendigen gesetzlichen Grundlage fehlt“. Die wesentlichen Staatsfunktionen müssten nämlich weiter erfüllt werden, dazu gehört auch die Umsetzung beschlossener Gesetze. Der Bund kann deshalb eine vorläufige Haushaltsführung schreiben.

Ohne Haushalt droht Ausgabenbremse für Förderprogramme

Für Paula Piechotta, Haushälterin der Grünen-Fraktion, ist das kein Schreckensszenario: „Die vorläufige Haushaltsführung haben wir ja bereits zu Beginn des Jahres erlebt, der überwiegende Anteil der Ausgaben läuft weiter.“ Damals geriet die Ampel wegen des Verfassungsgerichts-Urteils zum Klima- und Transformationsfonds in die missliche Lage. Tatsächlich müssen zum Leistungen, auf die ein Rechtsanspruch besteht, weiter ausgezahlt würden. Dazu zählen zum Beispiel Sozialleistungen.

Ganz so unproblematisch, wie von Piechotta beschrieben, wäre ein fehlender Haushaltsbeschluss aber nicht. Bei schon länger laufenden Förderprogrammen kommt es dann in der Regel zu einer Ausgabenbremse. „Das wäre Gift für die Investitionen in dieser wirtschaftlich angespannten Lage“, sagte der Vorsitzende des Haushaltsausschusses Helge Braun (CDU) bereits in der Vorwoche der „Welt“.

Haushalt für 2025 wird womöglich erst im Sommer oder Herbst beschlossen

Auch Piechotta gesteht, dass schwierige Zeiten anstehen könnten: „Wenn nach der Neuwahl Monate gebraucht würden, um eine neue Regierung zu bilden, würde das Deutschland auch wegen des fehlenden Bundeshaushalts lähmen. Das wäre schlecht für das Land und Europa“, sagte sie FOCUS online.

Nicht nur Koalitionsverhandlungen könnten den dringend benötigten Haushalt verzögern. Denn der Bundestag kann nicht einfach den Entwurf weiter beraten, den die Ampel eingebracht hat. Das sogenannte Diskontinuitätsprinzip besagt, dass alle Gesetzesvorhaben, die innerhalb einer Legislaturperiode nicht verabschiedet worden sind, automatisch verfallen. Die neue Regierung müsste als fast bei null starten.

Soli-Urteil könnte Haushaltskrise verschärfen

Das Bundesverfassungsgericht könnte den Prozess weiter erschweren. Denn dort steht in der kommenden Woche die Verhandlung über den Soli an. Das Gericht könnte dessen Aus noch in diesem Jahr oder mitten im Wahlkampf vor einer Neuwahl besiegeln. Finanzrechtsexperte Kirchhof hält das für wahrscheinlich, er rechnet mit wegfallenden Einnahmen von rund 12 Milliarden Euro im Haushalt 2025. Der Wissenschaftler hält es auch nicht für völlig ausgeschlossen, dass der Soli sogar rückwirkend für verfassungswidrig erklärt wird. „Wäre ein Steuergesetz nichtig, müssten alle Einnahmen auch für die Vergangenheit zurückgezahlt werden“, so Kirchhof.

„Ein Urteil zum Solidaritätsbeitrag ist potenziell eine große Aufgabe für alle, die den nächsten Haushalt verhandeln“, glaubt auch Piechotta und schiebt hinterher: „Egal wer nach der nächsten Bundestagswahl regiert, wird an die Schuldenbremsen-Frage heran müssen.“ Das würde zugleich eine neuerliche Koalition mit der FDP sehr schwer machen.

Was kann die Minderheitsregierung noch machen? Optimismus bei der SPD

Aber auch jenseits der Haushaltspolitik sind noch Projekte offen, die Scholz mit seiner rot-grünen Minderheitsregierung beackern will. In seinem Statement am Mittwochabend nannte der Kanzler vier Themen , über die er vor Weihnachten im Bundestag abstimmen lassen will.

Erstens ist das die Umsetzung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (Geas). Bei der historischen letzten Kabinettssitzung am Mittwochvormittag ging diese noch durch das Kabinett. Dass sie auch im Bundestag Erfolg haben wird, halten manche Abgeordnete von Grünen und SPD für nicht unwahrscheinlich.

Der innenpolitische Sprecher der Sozialdemokraten, Sebastian Hartmann, sagte FOCUS online, alle demokratischen Fraktionen sei gemeinsam, dass sie dringend eine bessere europäische Migrationspolitik wollten. „Ich habe keinen Zweifel, dass diese Verantwortung von allen Fraktionen erkannt wird und es dabei bleibt, dass wir eine zügige nationale Umsetzung des Geas anstreben.“

„Würde mich wundern, wenn die Union dem nicht zustimmt“

Optimismus in der SPD auch beim zweiten Thema, dem Ausgleich der kalten Progression. Ihr finanzpolitischer Sprecher Michael Schrodi sagt, dass dies Teil des Steuerfortentwicklungsgesetz sei. „Darin geht es nicht nur um die kalte Progression, sondern auch um verfassungsrechtlich notwendige Änderungen, zum Beispiel um den Grundfreibetrag, den Kinderfreibetrag und das Kindergeld, also Steuerentlastungen für Bürgerinnen und Bürger. Es würde mich wundern, wenn die Union dem nicht zustimmen würde.“

Sogar weitere Stimmen für das Gesetz hält Schrodi für möglich: „Es wäre seltsam, wenn die FDP diesem Gesetz, das sie mit ausgehandelt hat, nun nicht mehr zustimmen würde – zumal es in darin auch um die Wachstumsinitiative geht. Aber es ist offen, wie sie nach ihrem Koalitionsbruch agieren wird.“ Ein möglicher Kompromiss mit FDP und Union könnte es sein, ungeliebte Teile aus dem Steuerfortentwicklungsgesetz zu streichen.

Kritischer könnte eine Mehrheit bei den anderen Punkten werden: bei der Industrieförderung und vor allem beim Rentenpaket, dem Prestigeprojekt von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Wie letzteres noch eine Mehrheit finden soll, kann der arbeits- und sozialpolitische SPD-Sprecher, Martin Rosemann nicht beantworten. Man befinde sich noch in internen Beratungen dazu. Möglich ist auch, dass Scholz die für Januar angekündigte Vertrauensfrage an das Rentenpaket knüpft.

FDP zieht weiter rote Linien

Johannes Vogel, stellvertretender Bundesvorsitzender der FDP und erster Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Fraktion schließt eine Unterstützung aus. Kategorisch lehnt er die Zusammenarbeit mit SPD und Grünen aber nicht ab. Zu FOCUS online sagte Vogel: „Die FDP-Fraktion wird sich genau anschauen, welche Initiativen von Seiten der Bundesregierung nun eingebracht werden. Bringen SPD und Grüne zum Beispiel die notwendigen Verschärfungen beim Bürgergeld ohne die FDP noch ein? Für sinnvolle Gesetzesveränderungen sind wir jederzeit gesprächsbereit.“

Den Vorwurf, Scholz‘ Projektliste sei nur der Auftakt für eine Sozialkampagne gegen die Union, will man sich in der SPD nicht gefallen lassen. Finanzpolitiker Schrodi betont: „Die Gesetze im Bundestag zur Abstimmung zu stellen, ist kein Wahlkampfauftakt, sondern verantwortungsvoll. Damit bringen wir das auf den Weg, was für die Menschen und die Wirtschaft notwendig ist.“

Wahlkampf über Weihnachten nicht zumutbar?

In der Union hingegen hätte man lieber schnell eine Vertrauensfrage von Scholz – und in der Folge früher Neuwahlen. Davor warnt Grünen-Politikerin Piechotta jedoch: „Wahlkampf um Weihnachten herum kann man den Bürgerinnen und Bürger nicht zumuten. Das würde auch dem Ernst der politischen Lage nicht gerecht werden.“

Die sächsische Bundestagsabgeordnete verweist außerdem auf ein eher praktisches Argument: Mit dem kommenden Wahltermin wird man auch künftige Bundestagswahltermine beeinflussen. Ein Wahlkampf über Weihnachten würde es also nicht nur in diesem Jahr geben, sondern auch in vier und acht Jahren. Vorausgesetzt, die künftige Regierung zerbricht nicht wieder früher.