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Aktuelle Buch-Kritiken: Rainer Stach, Jörg Maurer, Paulo Coelho



SCHECK EMPFIEHLT:


Kafka, der Komiker


Rainer Stach: „Ist das Kafka?“ S. Fischer, 335 Seiten, 19.99 €.
Als ehemaliger Marathonläufer ist ReinerStach auch als Kafka-Biograf auf die Langstrecke abonniert: zwei von drei Bänder seiner monumentalen Lebens­beschreibung Kafkas sind erschienen, die Wartezeit auf den ausstehenden Band über den jungen Kafka vertreiben wir Süchtigen uns mit diesen „99 Fundstücken“. Stach versucht darin, gegen die Stereotype von Kafka dem Asketen, Kafka dem „Alien“, der weltfremd, neurotisch, introvertiert, krank“ depressive Texte schreibt, dem krummbuckelig über Akten schwitzenden Versicherungsjuristen, ein Gegenbild des Doktors aus Prag zu zeichnen. Das gelingt ihm bravourös: Wir lernen den Komiker Kafka, den Frauenhelden Kafka genau so wie den begeisterten Schundleser Kafka kennen, lesen seine erste Postkarte, sitzen an seinem Schreibtisch und fallen mit ihm auf einen Aprilscherz herein. Warum interessieren wir uns eigentlich so brennend für das Leben Franz Kafkas? Weil wir in seinem Leben Antworten auf Fragen suchen, die uns seine Texte aufgeben. Den biografischen Kurzschluss nicht herzustellen, ja im Gegenteil, den Autor Franz Kafka durch den extremen Zoom eben nicht immer vertrauter, sondern mitunter immer fremder erscheinen zu lassen, vor dieser Fremdheit nicht zurückzuschrecken, sie unbeschönigt darzu­stellen: auch das leistet ReinerStach.

Das Grauen hinter den Geranien
Jörg Maurer: „Oberwasser“ Fischer Taschenbuch, 400 Seiten, 9,99 €.
Kann ein schäbiger Taschenbuchkrimi Literatur sein? Zumal ein Krimi jener Spielart, die das abgeschmackteste und narzisstischste Wiedererkennungs­bedürfnis geistloser Leser bedient: der Regionalkrimi? In den Händen des Sprachartisten Jörg Maurer unbedingt. Mit „Oberwasser“, dem vierten um Kriminalhauptkommissar Jennerwein und sein Ermittlerteam, kann Maurer den beiden österreichischen Krimiheroen Wolf Haas und Heinrich Steinfest mehr als nur das Wasser reichen. Allein für die Erfindung eines ebenso verfressenen wie heimatverbundenen kriminellen Bestatterpärchens, das für die italienische Mafia Leichen verschwinden läßt, indem es sie den Einheimischen mit in die Särge legt, gebührt Maurer der Preis für die skurrilste Phantasie im deutschen Kriminalroman. „Gerade hinter den Geranien lauert das Grauen“, weiß Jörg Maurer, treibt souverän seine Possen mit der Leberkäse-Seligkeit des Alpenvorlands und konstruiert einen abgedrehten Krimi um westfälische Wilderer, internationale Geldwäscher und eine Legende über seit Jahrhunderten von der Außenwelt abgeschnittene Nachkommen verirrter Flößer. Große deutsche Unterhaltungsliteratur: endlich!

Auf die Ohren
Jörg Maurer: „Oberwasser“ Argon Audio Verlag, 5 CDs, 19.90 €.
Ein besonderer, in seiner ganzen Nuanciertheit erst nach einer ersten eigenen Lektüre sich vermittelnder Genuß ist die vom Autor selbst gelesene Hörbuch-Version von „Oberwasser“: Hier spielt Jörg Maurer seine langjährige Bühnenerfahrung als Musikkabarettist aus und schöpft als brillanter Stimmenimitator die ganze Komik dieses doppelbödigen Krimis aus.

SCHECK RÄT AB:
Graf Dracula des Schunds
Paolo Coelho: „Der Aleph“ Aus dem Portugiesischen von Maralde Meyer-Minnemann. Diogenes Verlag, Zürich; 320 Seiten; 19,90 Euro.
Der amtierende Superschwergewichtsmeister des esoterischen Schwulsts ist wieder da: Paolo Coelho, der Graf Dracula des Schunds, ein Narziss der Feder, der ohne rot zu werden schreiben kann: „Schreiben bedeutet für mich vor allem, mich selbst zu entdecken.“ Und Coelho ist in seinem neuen Werk tatsächlich noch verlogener und abgeschmackter denn je: In „Der Aleph“ beschreibt er eine Begegnung mit einer als Kind missbrauchten Geigerin, die mit ihm durch Seelenwanderung verbunden ist. Vor fünfhundert Jahren hat er sie nämlich schon einmal als Mönch im Auftrag der Inquisition auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Coelhos Buch selbst ist der beste Beweis gegen Seelenwanderung, den ich kenne. Hätte ich einen vergleichbaren Schwachsinn jemals gelesen, ich bin sicher, ich könnte mich daran erinnern.

"Druckfrisch": Nächste Sendung am 25.3.2012 ab 23 Uhr in der ARD.