Wenn Menschen Strahlen spüren – was steckt dahinter?

Velma Lyrae aus London ist verzweifelt - die 51-jährige Britin hat Probleme mit jeglicher Form moderner Technologien. Egal ob Föhn, WLAN oder Handy - immer dann, wenn sie in die Nähe von Elektrogeräten oder Netzen kommt - und das passiert in der heutigen Zeit schließlich ständig - klagt sie über Kopfschmerzen, Herzklopfen, Schwindel und sogar Gedächtnisverlust. Den Grund für ihre Probleme meint die Britin bereits zu kennen: Eine hohe Sensibilität gegenüber unsichtbaren elektromagnetischen Feldern. Yahoo! Nachrichten über die elektromagnetische Hypersensibilität und ihre Erklärung in der Medizin.

Besonders sensibel, so die Britin, reagiere sie auf das 3G Handy-Netz. Aus Angst vor körperlichen Beschwerden verbringt Velma den Großteil ihres Tages zu Hause in einem selbstgebauten „Faradayschen Käfig", der sie von elektromagnetischen Stahlen abschirmen soll. Wenn sie ihren Käfig verlässt, dann nur mit einem speziellen Kopftuch, das ihr Haupt vor „Strahlen" schützt. Einen Job hat die Britin schon lange nicht mehr, und auch ihr Sozialleben ist stark eingeschränkt.

Was genau ist Velma Lyraes Problem?

Die Britin leidet unter elektromagnetischer Hypersensibilität (EHS). Der Begriff geht auf die 1980er Jahre zurück: Zu dieser Zeit klagten Büroangestellte aus Skandinavien über gesundheitliche Probleme, nachdem sie viel Zeit vor PC-Bildschirmen verbracht hatten. Wie im Fall Velma Lyrae erleben Betroffene Symptome wie Kopfschmerzen, Tinnitus und schwere Schlafstörungen und führen diese auf elektromagnetische Felder und „Elektrosmog" zurück.

Was sagt die Wissenschaft zur elektromagnetischen Hypersensibilität?

Die elektromagnetische Hypersensibilität (EHS) wirft eine zentrale Frage auf: Wirken elektromagnetische Felder weit unterhalb gesetzlich festgelegter Grenzwerte auf unseren Körper ein? Eigentlich sind diese Felder im Alltag nämlich viel zu schwach, als dass sie eine direkte biologische Reaktion hervorrufen könnten.

Bislang lässt sich jedoch kein ursächlicher Zusammenhang zwischen „Elektrosmog" und den von elektrosensiblen Menschen erlebten Symptomen nachweisen. Mit anderen Worten: Die Symptome beim ESH werden nicht auf alltägliche elektromagnetische Felder bzw. den Elektrosmog mit vergleichsweise nur sehr geringen Intensitäten zurückgeführt. Man geht deswegen davon aus, dass EHS eine subjektive Erfahrung mit anderen Ursachen ist.

Eine Studie bringt Klarheit

Die deutsche Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin hat einen umfassenden Abschlussbericht zur EHS vorgelegt. Die zentrale Frage war: Reagieren Menschen, die von sich behaupten, „elektrosensibel" zu sein, wirklich stärker auf elektromagnetische Felder?

In einem Versuch wurden „elektrosensible" und nicht betroffene Personen einem magnetischen 50-Hz-Feld und einem elektromagnetischen Hochfrequenzfeld in Kopfnähe ausgesetzt, wie es von einem Funktelefon bei maximaler Sendeleistung ausgeht. Am Ende fragten die Wissenschaftler, ob die Probanden ein elektromagnetisches Feld wahrgenommen hätten. Das Ergebnis: Die„elektrosensiblen" Personen waren in ihrer Wahrnehmung nicht sensitiver als die Männer und Frauen aus der Kontrollgruppe.

Woher kommt es dann?

Frau Prof. Radon, Umweltmedizinerin aus München, erklärt: „Bei der EHS handelt es sich um ein sogenanntes Medically Unexplained Physical Symptom." Hierunter versteht man einen Symptomkomplex, für den man bisher noch keine hinreichende medizinische Erklärung gefunden hat.

Mediziner und Wissenschaftler sehen psychische Gründe für das EHS. Eine Theorie besagt, dass Menschen ein sich selbst nicht zugestandenes (psychisches) Leiden als „Elektrosensibilität" tarnen und sich mit der Annahme „Ich bin elektrosensibel" entlasten. Immerhin gibt es so für die Betroffenen eine plausible Erklärung für ihre realen Symptome und Probleme: Die Strahlen in der Umwelt, für die man selbst nicht verantwortlich ist.

Egal welche Ursache - die Menschen leiden!

Welche Ursache das EHS auch hat - sie ändert nichts daran, dass die Symptome „elektrosensibler" Menschen real sind und dass diese Menschen leiden.

Die Therapie zielt deswegen darauf, dass Betroffene wieder Fuß im Alltag fassen und am Leben teilnehmen. Frau Prof. Radon: „Die Menschen werden durch die Angst vor elektromagnetischen Feldern in ihrem Leben negativ beeinflusst. Im Rahmen des biopsychosozialen Krankheitskonzepts richten wir die Therapie ganz auf die Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit im Alltag aus und besprechen mit dem Patienten gemeinsam, wie das am besten gehen kann."

Vorsicht vor esoterischer Verunsicherung

Vor einem sollte man sich aber hüten: Immer dann, wenn es in der konservativen Medizin noch keine endgültige Erklärung für einen Symptomkomplex gibt und womöglich die Psyche dahinter steckt, entstehen unseriöse Märkte der Verunsicherung. Im Fall der EHS gibt es beispielsweise esoterische Artikel wie „Elektrosmog-Fallen", die vor allem teuer sind. Auch die Unsachlichkeit der „Elektrosmog-Debatte" kennt leider kaum Grenzen. Das Ergebnis ist eine starke Verunsicherung bei Betroffenen und womöglich eine Verschlimmerung psychischer Leiden.

Autor: Felix Gussone