Die Person des Jahres


Polarisiert die Massen: Conchita Wurst. (Bild: dpa)
Polarisiert die Massen: Conchita Wurst. (Bild: dpa)


Diese Wahl fiel leicht: Alle lieben Conchita Wurst. Sie gewann 2014 nicht nur den Eurovision Song Contest – sondern auch unsere Herzen. Deshalb ist sie für Yahoo Nachrichten die Person des Jahres.


von Jan Rübel


Frauen mit Bärten – da ist Aufsehen garantiert. Doch über Auftritte im Zirkus oder Jahrmarktkabinett kamen sie seit Jahrhunderten nicht hinaus. Mit diesem Jahr 2014 allerdings ist alles anders. Einer fliegen die Sympathien zu wie im Sturm; obwohl sie wenig stürmisch daherkommt, sondern so stilvoll, so wenig anmaßend und so viel herzlich wie Tom Neuwirth alias Conchita Wurst. Als Dragqueen sieht er nicht nur hinreißend aus und singt fantastisch. Er sendet zugleich eine Botschaft mit politischen Dimensionen so breit wie Autobahnen: gegen Diskriminierung und für Respekt vor dem Anderen. Gegen Engstirnigkeit und für den Mut zur Vielfalt. Selten fiel eine Wahl zur Person des Jahres für „Yahoo“ leichter als diesmal.

Als Conchita Wurst beim Eurovision Song Contest in Kopenhagen in diesem Jahr zu ihrem Song „Rise like a Phoenix“ anstimmte, stand die Showwelt still. Blieb der Griff in der Chipstüte, auf dem Sofa vorm Fernseher, für einen Moment stecken im Angesicht der Anmut, die da herüberkam. Man wollte mit ihr weinen und lachen zugleich. Und kaum jemand in Europa zweifelte nach ihrem Lied, dass der Sieger feststand.

Mannfrau oder Fraumann oder was?

Gewonnen hat Tom Neuwirth, der Schöpfer von Conchita Wurst, aber vor allem über sein Leben. In seiner Jugend schon wegen seiner Homosexualität angefeindet, überlegte er sich ein Statement. Eines, das auffällt und anzieht. Conchita Wurst wurde geboren. Sie ist Mann und Frau, beides schön – und das eine ohne das andere undenkbar, beides ergänzt sich und verwischt Unterschiede, die eben oft wie Grenzen der Akzeptanz daherkommen. Tom Neuwirth sagte einmal dem Magazin „Seitenblicke“, sein Auftreten als Conchita solle auch dazu führen, dass „es Jugendliche leichter haben – und zwar egal, aus welchem Grund sie anders als die anderen sind“. Um Transsexualität geht es ihm nicht, Conchita Wurst ist eine Kunstfigur. „Vor allem der Bart ist ein Mittel für mich, zu polarisieren, auf mich aufmerksam zu machen“, sagte er dem „Kurier“. „Die Welt reagiert auf eine Frau mit Haaren im Gesicht. Was ich mir wünsche, wäre, dass sich die Leute ausgehend von meiner ungewöhnlichen Erscheinung Gedanken machen – über sexuelle Orientierung, aber genauso über das Anderssein an sich. Manchmal muss man den Menschen einfach und plakativ klarmachen, worum es geht.“

Eine Frage der Haltung

Den Namen Conchita verpasste ihm eine Freundin aus Kuba, der Nachname dagegen ist Programm: dass es nämlich „wurst“ ist, wie Menschen aussehen und woher sie stammen. Mit diesem Rüstzeug drängte Tom Neuwirth früh auf die Bühne. Nahm als Jugendlicher an Castingshows teil, gründete eine Boygroup und absolvierte die Grazer Modeschule. Tingelte in seinen Model-Maßen durch Reality-Soaps und sang – alles stets mit Haltung und Würde. Man nahm ihm das Menschliche ab. Das führt nicht automatisch zum Erfolg, und umso schöner freut man sich für ihn. Dass seine Karriere polarisiert, zeigt, wie wichtig sein Auftritt als Conchita Wurst ist. Als Neuwirth den Grandprix d’Eurovision in diesem Jahr gewann und für Österreich zum neuen Helden aufstieg, kommentierte der polnische Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski seinen Sieg mit den Worten: „Das ist ein Beweis für den Verfall des modernen Europa.“ Und der russische Vizeregierungschef Dimitri Rogosin twitterte, das ESC-Ergebnis zeige „Anhängern einer europäischen Integration, was sie dabei erwartet – ein Mädchen mit Bart“. Wo er recht hat, hat er recht. Tausend mal lieber eine Lady mit Bart als ein muffiger Betonkopf in langweiligem Grau – außen wie innen. Conchita Wurst ist Person des Jahres. Kaczynski und Rogosin können davon nur träumen.