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Jahresrückblick 2012: Die Tops und Flops des TV-Jahres

Falscher Löw, armer Gottschalk, Olympia, Wulff und Wanderhure: So war das TV-Jahr 2012.

Bild: dpa
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Eine legendäre Fernsehfigur, die wir 2012 definitiv zum letzten Mal gesehen haben: den GEZ-Gebühreneintreiber. Vor dem man den Apparat versteckte. Der die Nachbarn aushorchte. Ab 1. Januar 2013 wird in Deutschland die Haushaltsabgabe fällig, Rundfunkgebühren werden automatisch pro Wohnungs- oder Haustür eingezogen. Und die hassgeliebten GEZ-Leute können sich als Kaufhausdetektive oder Foltermuseumsführer bewerben.

Ob das etwas ändern wird am Fernsehgefühl? Sicher nicht - es erinnert uns Zuschauer höchstens mal wieder daran, dass nichts für die Ewigkeit ist. Sicher haben bis vor kurzem ja auch viele geglaubt, dass es ein „Wetten, dass ...?" ohne Thomas Gottschalk niemals geben könnte. Dass der ARD-„Tatort" ein Universum wäre, in dem Populisten wie Til Schweiger keinen Zutritt haben. Und dass bei der Übertragung von Fußball-Länderspielen immer alles live ist.

All diese Gewissheiten wurden 2012 erschüttert. Für immer. So war — nach einer peinlichen öffentlichen Nachfolgersuche — Markus Lanz im Oktober zum ersten Mal als Moderator von „Wetten, dass ...?" zu sehen, der immer noch größten europäischen TV-Show. Womit er trotz aller Kritik bewies, wie machbar dieser Job doch ist. Dass der Veteran Gottschalk die Sendung vielleicht mehr gebraucht hatte als die Sendung ihn, merkte man seiner völlig missglückten ARD-Vorabendshow und den „Supertalent"-Juryauftritten an. Ein heimatloser Entertainer wandert derzeit durch TV-Deutschland, nicht mal das ZDF will ihn zurück.

Zwölf Millionen Zuschauer, wie sie der „Tatort" auch 2012 in der besten Woche anzog, schaffen heute weder Lanz noch Gottschalk. Also kein Wunder, dass die Krimireihe Stars anzieht, die zwar nicht zum liebenswert provinziellen ARD-Charakter passen, aber scharf auf das Podium sind. Kurz bevor sich Ermittler Mehmet Kurtulus mit einer hollywoodreifen Ego-Supershow verabschiedet hatte („Die Ballade von Cenk und Valerie"), war Til Schweiger als zukünftiger „Tatort"-Kommissar auf den Plan getreten. Der dann gleich noch die alte Titelmelodie überarbeiten wollte — ein Sakrileg, das die Fans einstimmig verurteilten. Auch Prominente wie Wotan Wilke Möhring, Devid Striesow, Christian Ulmen und Nora Tschirner werden 2013 ermitteln, ein Stil- und Traditionsbruch, der — ehrlich gesagt — massiv erfrischend klingt.

Ja, und dann noch die Aufregung beim Fußball-EM-Spiel zwischen Deutschland und Holland. An sich eine freundliche Szene, in der 22. Minute, als Bundestrainer Joachim Löw an der Außenlinie schelmisch dem blonden Balljungen das Leder aus der Armbeuge stupste. Hinterher gab die UEFA zu, die Szene sei vor dem Spiel aufgezeichnet und unauffällig in die Übertragung hineinmontiert worden. Sowas wie Photoshop-Sünden - jetzt auch beim Live-Fußball, eigentlich der letzten Bastion schweißechter Authentizität. Manche fühlten sich schon an arabische Diktaturen erinnert, in denen die Stadionbilder zensiert werden.

Viele haben auch 2012 wieder gedroht, dass Fernsehen bald nur noch im Internet oder über computerähnliche Benutzeroberflächen möglich sein wird. Auf der Funkausstellung wurden futuristische Geräte gezeigt, die hinterher kaum einer kaufte, trotzdem sind die Netz-Mediatheken, die Youtube-Kanäle und DVD-Boxen für sehr viele schon jetzt die Hauptmedien — man denke daran, wie ausführlich die großartige neue US-Serie „Girls" in Deutschland diskutiert wurde, obwohl sie die meiste Zeit nur halblegal im Stream lief. Sich wirklich vor den Fernseher zu setzen, auf die Uhr zu schauen, pünktlich einzuschalten und zu wissen, dass Millionen gleichzeitig dabei sind — das fühlt sich heute schon wieder wie ein extravagantes Luxuserlebnis an. Und nur dann kann man auf Facebook darüber chatten, parallel.

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Junge Showmaster wie Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf, Talkshows wie die von Charlotte Roche und Jan Böhmermann, sogar einige überraschend substanzielle Trash-Magazine wie „Das perfekte Dinner" oder das „Dschungelcamp" stärken wenigstens die Hoffnung, dass es auch dann noch was zu gucken geben wird, wenn alte Gewissheiten von Gottschalk bis GEZ irgendwann komplett hinweggefegt sind. Oder die Olympischen Spiele in London: Wann hat man es zuletzt erlebt, dass Eröffnung und Finale einer Sportveranstaltung derart für Gesprächsstoff sorgten? Wer an dem Abend stattdessen vier Folgen „Breaking Bad" geschaut hatte, konnte am nächsten Tag nicht mitreden.

Ansonsten das Übliche: Harald Schmidt verabschiedete sich süffisant ins Pay-TV, Stefan Raab baute seine Marke noch mehr in die Breite aus. Neue Model-Castingshows floppten, die Grand-Prix-Vorentscheidung auch, RTL musste einen Ex-Nazi-Landwirt aus „Bauer sucht Frau" entfernen, Helmut Berger pöbelte folgsam bei Lanz, während der FDP-Politiker Martin Lindner in der Stuckrad-Barre-Show an einem Joint zog und damit in die „Bild"-Zeitung kam. Nur der erwartete Quotentriumph der notorischen „Wanderhure" wurde vereitelt: Der dritte Teil des Historienschmonz mit Alexandra Neldel zog im Quotenranking den Kürzeren — gegen Wolfgang Stumph und eine Folge der sächsisch-hanseatischen Krimireihe „Stubbe - von Fall zu Fall", dem mit über 8,9 Millionen Zuschauern meistgesehenen TV-Movie des Jahres. Ab und zu setzt sich doch noch das Althergebrachte durch.

Der absurdeste und unwiederbringlichste Fernsehmoment des Jahres hatte das Publikum allerdings schon am 4. Januar erlebt. Da ließ sich der damalige Bundespräsident Christian Wulff live auf ARD und ZDF interviewen, auf eigenen Wunsch, um die massiven Zweifel an seiner Person auszuräumen. Ein unfassbares öffentliches Tribunal, ein verwirrender Mix aus Politik, Voyeurismus, Journalismus und Show, zum Lachen und zum Heulen. Solche Ereignisse gibt es nur in echten Massenmedien. Zum Glück ist noch ein wenig von ihnen übrig.