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Die vergessenen Jahre: Warum die Erinnerung erst ab dem 3. Lebensjahr einsetzt

Speicher gelöscht? Erinnern lässt sich trainieren. (Bild: Thinkstock)
Speicher gelöscht? Erinnern lässt sich trainieren. (Bild: Thinkstock)

Die erste feste Nahrung, das erste Mal aufrecht stehen, die erste Impfung. Die ersten drei Jahre im Leben des Menschen sind unglaublich wichtig, die Kleinkinder lernen grundlegende Dinge. Nur Erinnern kann sich später keiner mehr an diese Zeit, sie scheint aus dem Speicher gelöscht. Yahoo! hat den Hirnforscher Manfred Spitzer befragt, welche Faktoren die Erinnerung beeinflussen und wie man Erinnern trainieren kann.

Dauerhafte Erinnerungen sind erst zwischen dem Ende des zweiten und dem Ende des dritten Lebensjahres möglich, sagen Hirnforscher. Natürlich können sich auch Kleinkinder ein paar Wochen und Monate zurück erinnern. Jahre später ist dieser Speicher aber für immer gelöscht. Die entsprechenden Gehirnbereiche seien bei Kleinkindern noch nicht gut genug ausgebildet, um Erinnerungen dauerhaft abspeichern zu können, vermuten Experten.

Wer nun behauptet, sich an Ereignisse bereits kurz nach der Geburt zu erinnern, wurde von einem einfachen Trick reingelegt. Denn wenn Eltern mit den Kindern über Erlebtes sprechen und ihnen Bilder zeigen, basteln sich die Kleinen daraus Geschichten, in denen sie selbst die Hauptrolle spielen. So können sie es besser im Langzeitgedächtnis abspeichen, die infantile Amnesie scheint ausgetrickst. Das fanden Forscher der Universität Neufundland heraus.

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Eltern können also aktiv beeinflussen, ob ihr Kind bereits nach zwei Jahren oder erst später dauerhafte Erinnerungen speichert, sagt Manfred Spitzer. Spitzer ist Direktor der psychiatrischen Universitätsklinik in Ulm und Leiter des Transferzentrums für Neurowissenschaften. „Wenn eine Kultur den Einzelnen und seine geschichtlichen Wurzeln betont, werden häufig frühe, bis ins dritte Lebensjahr zurückreichende Erinnerungen geschildert. Kulturen, bei denen eher die Gemeinschaft und nicht das Individuum im Vordergrund stehen, führen demgegenüber nicht zu Erinnerungen an die frühe Kindheit“, erklärt der Experte gegenüber Yahoo!. „Letzteres ist beispielsweise in vielen asiatischen Ländern der Fall, wo viele Menschen über erste Erinnerungen aus der Kindheit berichten, die sich auf ihr fünftes oder gar erst sechstes Lebensjahr beziehen. In westlichen Gesellschaften wird der Einzelne stärker betont und entsprechend erinnern sich die meisten Leute an erste Erlebnisse mit 3 oder 4 Jahren.“

Entscheidend für frühe Erinnerungen ist also der kulturelle Hintergrund und die detaillierte Kommunikation über Erlebnisse zwischen Kind und Eltern. Herausgefunden haben das neuseeländische Forscher. Sie untersuchten die Kommunikation von Müttern mit ihren Kindern, als diese zwei bis drei Jahre alt waren. Zehn Jahre später fragten die Wissenschaftler die Kinder nach den Erinnerungen.

Der erste Kuss. Auf wackligen Beinen Skifahren, ohne zu stürzen. Schöne Erlebnisse will niemand missen. Wie kann man Erinnern trainieren, um einen leeren Gedächtnisspeicher zu vermeiden? Brauche man gar nicht, sagt Hirnforscher Spitzer. Vielmehr gehe es darum, die Rahmenbedingungen zu kennen, die zur Bildung von Erinnerungen führen. „Das Wichtigste sind negative und vor allem positive Emotionen“, sagt Spitzer und erklärt, wie Erinnern überhaupt funktioniert. Elektronische Impulse, die verarbeitert werden, lassen die Synapsen wachsen. Dadurch lernt das Gehirn. „Wenn sich dann ein Eindruck oft wiederholt, bildet sich das, was man seit mehr als 100 Jahren die „Gedächtnisspur“ dieses Eindrucks nennt, im Gehirn heraus“, erklärt der Experterte. „Wenn ein Erlebnis von starken Emotionen begleitet wird, kann im Extremfall schon ein solches Erlebnis genügen, um permanent im Gedächtnis zu bleiben.“

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Wirklich vergessen kommt übrigens eher selten vor. Die Erinnungen sind irgendwo in den Niederungen des Hirns gelagert und wollen nur gefunden werden. Wenn das nicht klappt, hilft es, ganz entspannt an etwas anderes zu denken, rät Spitzer. Die vermeintliche Lücke füllt sich dann oft wie von selbst. Wenn auch das nicht klappt, können ja immer noch andere auf die Sprünge helfen, so wie es die Eltern bei ihren Kindern mit den Geschichten von früher machen.