Die XXL-Falle: Körpergewicht außer Kontrolle

In Deutschland erkranken mehr und mehr Menschen an Adipositas (Bild: thinkstock)
In Deutschland erkranken mehr und mehr Menschen an Adipositas (Bild: thinkstock)

Deutschland ist zu dick: Rund zwei Drittel der Bundesbürger sind übergewichtig – mehr als 20 Prozent sogar adipös, also fettleibig. Vor allem Männer und junge Erwachsene hadern mit den gesundheitsgefährdenden Extrakilos. Schuld an der grassierenden Fettsucht sei nicht allein die Fast-Food-Gesellschaft, sondern auch jeder Betroffene selbst, sagt Mark Warnecke. Im Gespräch mit Yahoo! Nachrichten erklärt der Arzt und ehemalige Schwimmweltmeister, was Adipositas so gefährlich macht, warum es keine Wundermittel gegen Speck gibt und Ausdauersport alleine nicht weiter hilft.

Adipositas: Was ist das eigentlich?

Die Zahlen sind alarmierend. Laut einer Studie des Robert-Koch-Instituts sind 53 Prozent der Frauen und 67 Prozent der Männer in Deutschland übergewichtig. Aber es kommt noch dicker: Denn in den letzten 20 Jahren erkrankten immer mehr Menschen an Adipositas. Aktuell leiden 23 Prozent der Männer und 24 Prozent der Frauen an krankhaftem Übergewicht, das umgangssprachlich auch als „Fettsucht“ bezeichnet wird. „Adipositas liegt ab einem Body-Mass-Index von 30 vor“, erklärt Ex-Leistungssportler und Ernährungsexperte Mark Warnecke. Der Body-Mass-Index, kurz BMI, ist der Quotient aus Gewicht und Körpergröße zum Quadrat. Ein Wert zwischen 20 und 25 gilt laut der Deutschen Adopositas-Gesellschaft als Normalgewicht, bei 25 bis 30 spricht man von leichtem Übergewicht.

Doch wer ist schuld daran, dass Deutschland stetig zulegt? Sind wir Opfer von Imbiss-Ketten und Süßigkeitenherstellern, die mit billigen Kalorien locken? Auch, meint Warnecke: „Wenn im Fernsehen eine Schokowaffel als leichter Snack vor dem Schwimmen angepriesen wird, ist das natürlich Quatsch. Erstens besteht das Produkt zu 50 Prozent aus Zucker und zu 30 Prozent aus Fett und zweitens hat es die Milch höchstens kurz gestreift.“ Doch irreführende Werbung sei nur ein Problem: „Uns geht nach und nach das Gespür für gesunde Ernährung verloren. Es gibt Patienten, die überzeugt sind, bei Pommes handele es sich um gesundes Gemüse.“

Ganz platt ausgedrückt: Adipöse sind an ihrer Situation nicht unschuldig. Zwar weist auch Warnecke darauf hin, dass genetische Faktoren die unkontrollierte Gewichtszunahme im Einzelfall begünstigen können. Doch grundsätzlich gelte: „Vom bloßen Ansehen einer Kalorienbombe ist noch niemand fettleibig geworden.“ Maßloses Schlemmen und viel zu wenig Bewegung – das sind die Gründe, warum vor allem Männer und junge Erwachsene verstärkt von Adipositas betroffen sind.

Der Ex-Leistungssportler Max Warnecke sagt: "Abnehmen ist kein Ding der Unmöglichkeit" (Bild: ddp Images)
Der Ex-Leistungssportler Max Warnecke sagt: "Abnehmen ist kein Ding der Unmöglichkeit" (Bild: ddp Images)

„Es gibt wenige Übergewichtige, die gesund durchs Leben gehen“

Das Gefährliche an Fettleibigkeit: Sie geht mit hohen gesundheitlichen Risiken einher. „Das geht von Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Schlaganfall über Diabetes bis hin zu orthopädischen Problemen, weil die Gelenke unter dem überschüssigen Körpergewicht leiden“, warnt Warnecke. Besonders Letzteres führe bei Betroffenen zu einem regelrechten Teufelskreis. „Wer Schmerzen hat, bewegt sich automatisch weniger, nimmt dadurch weiter zu und hat deshalb noch mehr Schmerzen. Wenn ich jeden Tag mehr oder weniger einen anderen Menschen auf dem Rücken mit mir herumtragen würde, hätte ich auch keinen Bock mehr, vor die Tür zu gehen.“ Doch so nachvollziehbar dieses Verhalten auch sein mag – es ist der direkte Weg in die gesellschaftliche Isolation, so der Fitness-Spezialist: „Das aktive Leben nimmt so mehr und mehr ab, bis es nicht mehr vorhanden ist.“

Ein Leben lang Diät: Tschüss Bratwurst, mach’s gut Torte?

Dabei ist der Ausstieg aus der Fettfalle nicht unmöglich. „Die Menschen müssen sich wieder mehr in Ernährungsfragen bilden. Denn die meisten lassen Obst und Gemüse nicht links liegen, weil es ihnen nicht schmeckt oder zu teuer ist – sie denken nur, dass Pizza und Konsorten auch gesund sind“, sagt Warnecke. Die einzig wirksame Ernährungsstrategie für Fettleibige basiert laut dem Bochumer Arzt auf einer einfachen Regel: „Weniger Kalorien essen als man verbraucht!“ Den persönlichen Körperumsatz – so der Fachbegriff für den täglichen Kalorienverbrauch – erfahren Adipöse zum Beispiel von Hausarzt oder Ernährungsberater. Diese sind auch die richtigen Ansprechpartner, wenn der Fettleibigkeit der Kampf angesagt werden soll. „Neben viel Willenskraft braucht man professionelle Unterstützung beim Abnehmen“, sagt Warnecke.

Wundermittelchen aus der Werbung sind hingegen keine gute Idee. „Ich halte gar nichts von Appetitzüglern oder Fettbindern. Das ist doch pervers: Man soll mehr Fett zu sich nehmen, damit mehr davon gebunden und ausgeschieden werden kann.“ Wesentlich hilfreicher können da schon richtig eingesetzte (Nahrungsergänzungs-)Shakes sein, wie Warnecke ausführt: „In vielen dieser Shakes ist alles enthalten, was der Körper braucht, von Vitaminen bis Ballaststoffen. Auch sie können keine Wunder vollbringen, aber zumindest den Einstieg in gesunde Ernährung erleichtern.“

Ausschließlich auf Shakes kann allerdings keine ausgewogene Ernährung gründen. Adipositas-Patienten sollen schließlich nicht ihr Leben lang Diät halten, sondern sich im besten Fall irgendwann wie von allein normal ernähren. „Abspecken ist wie ein Trainingslager im Sport: Man muss sich über einen bestimmten Zeitraum extrem zusammenreißen, sich aber nicht dauerhaft von Schokolade und Schweinekotelett verabschieden.“ Doch gerade dieses Zusammenreißen ist es, was vielen schwerfällt. Laut einer Umfrage des Apothekermagazins „Baby und Familie“ haben allein 14,3 Prozent der Teilnehmerinnen im vergangenen Jahr mindestens eine Diät gemacht. Mit Betonung auf mindestens. „Lieber einmal richtig Diät halten als mehrfach halbe Sachen machen“, findet Warnecke.

Ja zu Bewegung, nein zu bloßem Ausdauersport

Allein die Kalorienzufuhr zu reduzieren, reicht jedoch nicht aus. Wichtig sei, so Warnecke, den Allerwertesten endlich vom Sofa herunterzubekommen. „Ich bewege mich auch nur, wenn es sein muss. Deshalb bin ich ein großer Fan von gezieltem Krafttraining“, sagt der ehemalige Leistungssportler. Entgegen üblichen Empfehlungen rät er Übergewichtigen und Fettleibigen, nicht direkt mit Ausdauersport zu beginnen – denn der kann im schlechtesten Fall zu Gelenkschmerzen führen. Übungen mit Hantel und Co. helfen während einer Diät, den Anteil der automatisch abgebauten Muskelmasse wieder Schritt für Schritt zu erhöhen. Ein positiver Nebeneffekt: Weil die Muskulatur am meisten Kalorien verbrennt, erhöht sich der Grundumsatz nach regelmäßigen Einsätzen an der Hantelbank ganz automatisch. Warnecke rät zu einer Kombination aus zwei Mal Krafttraining und zwei Mal Walken (je 30 Minuten).

An Motivation sollte es gerade Adipositas-Patienten eigentlich nicht mangeln, so der frühere Schwimmweltmeister: „Auf geht’s! Jedes Kilo weniger ist mehr Lebensqualität – und auch mehr Lebenszeit.“