Haie, Monster, Menschenfresser: Ein Hai-Experte im Interview

Gerhard Wegner - Präsident der Organisation Sharkproject International - ist sich sicher: Haiattacken beruhen ausschließlich auf Missverständnissen, niemals würden die Tiere absichtlich angreifen. Die Angst der Menschen ist dennoch groß. Warum eigentlich? Der Hai-Experte steht Yahoo! Nachrichten Frage und Antwort.

Haie - warum jagen uns die Tiere so eine Angst ein? (Bild: thinkstock)
Haie - warum jagen uns die Tiere so eine Angst ein? (Bild: thinkstock)


Yahoo! Nachrichten: Viele Menschen haben Angst vor Haien - warum eigentlich?

Antwort: Das hat verschiedene Ursachen. Zum einen gibt es genetisch bedingte Ur-Ängste wie zum Beispiel die Furcht vor spitzen Zähnen, unbekannten Tiefen und die Angst, gefressen zu werden. In dieses Schema passt der Hai perfekt. Und zum anderen gibt es Ängste, die wir im Laufe unseres Lebens lernen. Da die wenigsten Menschen je einen Hai zu sehen bekommen, lernen wir die Angst ausschließlich über die Medien: Denken Sie nur an die spektakulären Medienberichte zu Angriffen von Haien, das sind die Grundlagen unserer Angst vor Haien.

Ist die Angst denn berechtigt?

Nein, das ist sie sicher nicht. In den letzten 15 Jahren gab es durchschnittlich vier Tote nach Haiattacken pro Jahr. Und die wurden nicht gefressen, sondern hatten Arterienverletzungen und starben, weil die Versorgung am Strand nicht schnell genug ging. Furcht macht Menschen aber auch neugierig: Bethany Hamilton, eine zwölfjährige Surferin, wurde vor Hawaii von einem Tigerhai gebissen. Monatelang ging das durch die Presse. Heute hält Hamilton Vorträge und berichtet von ihrer Begegnung. Hätte sie einen Autounfall gehabt, wäre das öffentliche Interesse sicher gering.

Hat der Film „Der weiße Hai" das Bild von Haien nachhaltig geprägt?

Oh ja. Der Film ist einer der besten Horrorfilme, die es je gab. Er spielt mit unseren Urängsten und verstärkt diese auch noch. Nachdem er in den Kinos angelaufen war, haben sich 1974 und auch noch im Folgejahr weltweit die Strände geleert, die Menschen haben sich nicht mehr ins Meer getraut, selbst in Gegenden, wo es überhaupt keine Haie gibt.

Wie kommt es, dass immer wieder Menschen von Haien angegriffen werden?

Ich würde das unter dem Schlagwort „Unfälle" abhaken. Wenn wir zum Beuteschema des Haies gehören würden, gäbe es Tausende von Toten. Wir Menschen sind langsam und ungeschickt im Wasser und zusätzlich zum Teil recht „nahrhaft" - insgesamt eine ideale Beute. Aber Haiattacken sind eher Irrtümer. Nehmen wir zum Beispiel Badegäste, die an einem Strand schwimmen gehen, an dem auch geangelt wird. Der Geruch der ausgenommenen Fische könnte Haie anlocken und sie auf Bewegungen im Wasser neugierig machen. Das könnte im schlimmsten Fall zu einer Bissattacke führen. Ausschlaggebend dafür ist dann aber das Fischblut, nicht der Schwimmer. Einer der Hauptgründe für Haiunfälle ist übrigens mangelnder Respekt. Es ist fast nicht zu glauben, aber ich habe erlebt, dass sich adrenalinsüchtige Taucher an der Flosse eines Hais festhalten und mitziehen lassen. Da so wenig passiert, hat sich für sie das Raubtier Hai in ein Schoßtier verwandelt. Das kann sich rächen.

Sätze wie „Haie verwechseln Menschen mit Robben" oder „Haie mögen Menschenblut" sind also Mythen?

Menschenblut mögen die überhaupt nicht. Das habe ich mit Kollegen ausprobiert. Womit man Haie locken kann, ist Fischblut, und zwar am besten von den Fischen, die zu ihrer Lieblingsbeute gehören. Menschenblut ist dem Hai ja eher unbekannt und deshalb für ihn uninteressant. Und dass ein Hai einen Surfer mit einer Robbe verwechselt, ist bei den Sinnen dieser Tiere eher unglaubwürdig. Heute geht man eher davon aus, dass die Geräusche, die ein Surfer macht, wenn er auf das Brett klatscht oder sein Arme auf das Wasser schlagen, in etwa denen von verletzten Fischen gleichen. Das könnte reichen um einen Hai zum „probieren" zu verleiten.

Wenn ein Hai angreift, wie sollten wir uns dann verhalten?

Vorab: Kein Hai-Unfall dieser Welt ist wissenschaftlich erklärbar. Es gibt dafür einfach viel zu wenige Unfälle und viel zu viele unterschiedliche Einflussfaktoren.

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Es ist also egal was man tut?

Nein, es gibt Erfahrungswerte. Man sollte nicht wegschwimmen, denn der Hai ist sowieso schneller. Wenn es geht, sollte man sich senkrecht ins Wasser stellen, dieses Verhalten kennt der Hai nämlich nicht. Wenn er schließlich um einen kreist und zu nah kommt, sollte man Wasser gegen ihn drücken, das lenkt ihn ab. Aber zu Ihrer Beruhigung: Zu 99,9 Prozent wird Ihnen ein Hai nie nahe kommen. Er ist viel zu vorsichtig, um sich einem so großen, unbekannten "Tier" wie uns Menschen zu nähern. Wir könnten eine zu große Gefahr für ihn sein.

Haie sind also viel eher von uns bedroht als wir von ihnen. Was ist die größte Bedrohung für diese Tiere?

Die Meere sind überfischt. An Haiflossen ist zudem immer noch viel Geld zu verdienen, Haifleisch wird weltweit vermarktet. 100 bis 150 Millionen Tiere werden im Jahr getötet. Das sind viel zu viele! Haie haben eine späte Geschlechtsreife, lange Schwangerschaften, wenige Nachkommen. Das ist fatal. So eine Population erholt sich nicht mehr. So sind heute rund Dreiviertel aller Hochseehaie bereits verschwunden und viele der Arten bald vom Aussterben bedroht.

Wofür werden Haie verwertet?

In Deutschland essen wir zum Beispiel Schillerlocken und Seeaal, diese Delikatessen stammen vom Dornhai. Vor allem aber bringt das „rote Gold der Meere", die Haifischflosse, Geld.

Was können wir für den Schutz der Haie tun?

Sich einfach mal informieren! Ohne Haie entsteht ein Ungleichgewicht im Ökosystem Meer. Studien belegen, dass es zusammenbricht, wenn die Haipopulation zu gering ist. Wir Menschen müssen einfach lernen, dass wir nur ein kleiner Teil des Ganzen sind.

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