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Leerlauf im Kopf: Warum Nichtstun gut sein kann

Langeweile findet Daniel Weissmann so gar nicht langweilig. Der Psychologieprofessor an der Universität von Michigan hat im Kernspintomograph die Gehirne von gelangweilten Menschen untersucht und dabei herausgefunden, dass Langeweile sogar richtig hilfreich sein kann — und man sie nicht mit ständigem Drang nach Aktivitäten bekämpfen sollte. Warum man das Smartphone einfach mal in der Tasche lassen und stattdessen lieber in Gedanken abschweifen sollte, wenn die U-Bahn erst in drei Minuten kommt, erklärt Weissmann im Gespräch mit Yahoo!.

Kein Stress: Langeweile ist gesund (Bild: Rex Features)
Kein Stress: Langeweile ist gesund (Bild: Rex Features)

Herr Weissmann, Langeweile klingt erstmal, nun ja, ziemlich langweilig. Was ist denn das Gute daran?

Niemand mag es, gelangweilt zu sein. Aber in dem Ausmaß, in der Langeweile die Menschen zum Tagträumen anregt, kann sie sehr nützlich sein. So haben Studien ergeben, dass das Lösen von Problemen durch plötzliche Gedankenblitze mit verstärkter Gehirnaktivität in Regionen zusammenhängt, denen Tagträumereien zu Grunde liegen. Wenn Sie beginnen, zu träumen, wenn Sie sich also das nächste Mal langweilen, könnten Sie kurz darauf einen Aha-Moment erleben.

Warum haben Sie begonnen, über Langeweile zu forschen?

Das war nicht absichtlich. Im Zusammenhang mit anderen Forschungen habe ich nach einiger Zeit gemerkt, dass die meisten Leute, die bei den Experimenten mitmachten, die Aufgaben super langweilig fanden. Also fragte ich mich, ob Unachtsamkeit und Aufmerksamkeitslücken, zum Beispiel nicht-bei-der-Sache-sein und abschweifende Gedanken, sich in der Gehirnaktivität widerspiegeln. Dies schien wahrscheinlich, weil die Menschen laut Schätzungen die Hälfte ihres Wachzustandes damit verbringen, in Gedanken versunken zu sein.

Welche Experimente haben Sie durchgeführt?

Bei einem Experiment mussten gesunde Erwachsene eine Stunde langweilige Aufgaben erledigen, während sie in einem Kernspintomograph lagen. Eine Aufgabe war zum Beispiel, dass sie möglichst schnell entscheiden mussten, ob auf dem Computerbildschirm ein X oder ein O zu sehen war, während ihnen gleichzeitig über Kopfhörer ein Buchstabe vorgelesen wurde, den sie ignorieren mussten. Diese Aufgabe mag ja noch interessant klingen, aber es wird richtig langweilig, wenn man das mehrere hundert Mal nacheinander macht.

Bei solchen Aufgaben, bei denen es um schnelle Antworten auf visuelle oder auditive Reize (zum Beispiel Buchstaben) ankommt, antworten die Leute oft langsamer, wenn sie mit den Gedanken abschweifen (zum Beispiel aus Langeweile), als wenn sie hochkonzentriert sind. Autofahrer benötigen zum Beispiel mehr Zeit, bei plötzlichen Ereignissen auf die Bremse zu treten, wenn sie in Gedanken versunken sind, als wenn sie aufpassen.

Es gibt viele Gründe, warum Menschen langsamer antworten könnten, ohne dass dies mit Aufmerksamkeitslöchern zu tun hat, zum Beispiel wenn man versucht, sorgfältig zu sein. Unsere Ergebnisse aber traten im Einklang mit Leerlauf im Kopf auf.

Was waren die Ergebnisse?

Wir haben herausgefunden, dass langsame Antworten (verglichen mit schnellen) mit drei Veränderungen in der Gehirnaktivität zusammenhängen, die gemeinsam mit solch geistigem Abschweifen auftraten.

Als erstes war die Leistung im präfrontalen Bereich des Gehirns geringer, dort geht es um zielorientiertes Verhalten. Diesen Effekt beobachteten wir insbesondere kurz bevor der Reiz kam. Das deutet darauf hin, dass die Person im Kernspintomograph mit den Gedanken abschweifte, während sie auf den Reiz wartete.

Zweitens gab es eine erhöhte Gehirnaktivität in Regionen, die das Abschweifen in Gedanken fördern und die normalerweise „ausgestellt" sind, wenn Menschen Aufgaben erledigen. Das legt nahe, dass das Abschweifen in Gedanken nicht unterdrückt werden kann, um eine flotte Aufgabenbearbeitung zu gewährleisten.

Drittens gab es eine erhöhte Kommunikation zwischen dem hinteren cingulären Kortex und dem präfrontalen Kortex: Dies könnte auf einen Mechanismus schließen, durch den das Abschweifen in Gedanken das zielorientierte Verhalten „behindert".

Ein „Boreout" (krankhafte Langeweile bei Unterforderung) scheint genauso gefährlich wie ein „Burnout". Wie viel Langeweile ist gesund?

Die Fähigkeit, sich zu langweilen, ist normal und gesund, auch wenn es nicht der angenehmste Zustand für uns ist. Wenn sich jemand langweilt, ist dies ein Zeichen, dass die derzeitigen Tätigkeiten nicht sehr interessant sind. Das motiviert meistens, sich eine Beschäftigung zu suchen, die sich mehr lohnt. Andererseits kann zu viel Langeweile problematisch sein. Wenn jemand sein Leben nie interessant findet, könnte er depressiv werden oder die Motivation verlieren, lohnende Erfahrungen machen zu wollen. Täglich verschiedene Aktivitäten und soziale Kontakte können helfen, Langeweile zu verhindern. Fitnessübungen können auch sehr hilfreich sein, da sie die geistige und körperliche Energie anregen.

Haben die Forschungen Ihre eigene Vorstellung von Langweile in Ihrem privaten und beruflichen Leben verändert?

Ich mag es immer noch nicht, mich zu langweilen. Aber ironischerweise musste ich feststellen, dass es sehr interessant ist, Langeweile zu untersuchen.