Sensationeller Kunstfund in München: Antworten auf die wichtigsten Fragen

In diesem unauffälligen Haus im Münchener Stadtteil Schwabing hortete Cornelius Gurlitt den Kunstschatz. (Bild: Getty Images)
In diesem unauffälligen Haus im Münchener Stadtteil Schwabing hortete Cornelius Gurlitt den Kunstschatz. (Bild: Getty Images)

Es ist einer der spektakulärsten Kunstfunde aller Zeiten. Im Frühjahr 2012 fand die Polizei in der Wohnung des 79-jährigen Cornelius Gurlitt in München-Schwabing 1.406 Kunstwerke, deren Gesamtwert auf bis zu eine Milliarde Euro geschätzt wird. Wer ist überhaupt Cornelius Gurlitt und wie wurden die Bilder entdeckt? Die wichtigsten Fakten im Überblick.

Was für Kunstwerke wurden gefunden?

Der Fund umfasst sowohl bekannte und verschollen geglaubte, als auch unbekannte Ölgemälde, Lithografien, Zeichnungen und Aquarelle. 121 der Bilder sind gerahmt, 1.285 standen ungerahmt in der Münchener Wohnung. Besonders groß ist der Bestand an Meistern der klassischen Moderne. In einer Pressekonferenz der Augsburger Staatsanwaltschaft am 5. November 2013 wurde bestätigt, dass die Sammlung u.a. Arbeiten von Pablo Picasso, Marc Chagall, Auguste Renoir, Gustave Courbet, Henri Matisse, Henri de Toulouse-Lautrec, Franz Marc, Emil Nolde, August Macke, Max Beckmann, Oskar Kokoschka und Ernst-Ludwig Kirchner enthält. Auch Künstler aus weiter zurückliegenden Kunstepochen sind vertreten: So sollen Bilder von Canaletto und Albrecht Dürer unter den Fundstücken sein.

Sehen Sie hier: Auswahl der gefundenen Kunstwerke

In welchem Zustand sind die beschlagnahmten Bilder?

Die Kunsthistorikerin Meike Hoffmann, die mit der Begutachtung der Werke beauftragt wurde, sagte in der Augsburger Pressekonferenz: „Der Zustand der Bilder ist sehr gut“. Die gerahmten Bilder seien fachmännisch in einem Regal aufgestapelt gewesen, die ungerahmten hätten in einem Schrank übereinander gelegen. Außer einigen Verschmutzungen konnten keine gravierenden Beschädigungen festgestellt werden, obwohl in einem Bericht des „Focus“ zuvor von einer extremen Vermüllung in der Wohnung die Rede war.

Welche Bedeutung hat der Kunstfund?

Die Entdeckung gilt in der Fachwelt als Sensation. Die Kunstexpertin Meike Hoffmann hob auf der Pressekonferenz vor allem die Bedeutung eines Selbstporträts von Otto Dix hervor. Das Bild war bisher überhaupt nicht bekannt und wird von Hoffmann auf das Jahr 1919 geschätzt. Zu weiteren Sensationsfunden gehören ein Kupferstich einer Kreuzigungsszene von Albrecht Dürer und bislang unbekannte Meisterwerke von Marc Chagall und Henry Matisse. Es gibt allerdings auch Kunstexperten, die den Hype um den Fund nicht nachvollziehen können. Der Kunsthistoriker Alfred Weidinger sagte der österreichischen Nachrichtenagentur „APA“: Dass diese Sammlung existiert, das war kein Geheimnis. Im Grunde genommen hat jeder wichtige Kunsthändler im süddeutschen Raum gewusst, dass es das gibt – auch in der Dimension“

Wie kam es zur Entdeckung der Bilder?

Am 22. September 2010 fanden Zollbeamte bei dem damals 76-jährigen Cornelius Gurlitt, der in einem Schnellzug von Zürich nach München saß, 9.000 Euro in bar. Zwar müssen nach der Bargeldverordnung nur Beträge über 10.000 Euro deklariert werden, aber wenn jemand einen Betrag bei sich trage, der knapp darunter liegt, würden oftmals so genannte Vorermittlungen eingeleitet. Das erklärte Siegfried Klöble, Leiter des Zollfahndungsamtes München, auf der Augsburger Pressekonferenz. Im Zuge dieser Ermittlungen, denen der Verdacht der Steuerhinterziehung zugrunde lag, kam es am 28. Februar 2012 zu einer Wohnungsdurchsuchung. In Gurlitts Wohnung in München-Schwabing wurden an diesem Tag die Kunstwerke entdeckt.

Wie kam Cornelius Gurlitt in den Besitz der Kunstwerke? Cornelius Gurlitt stammt aus einer Familie von Kunsthändlern. Sein im Jahre 1956 verstorbener Vater Hildebrand Gurlitt konnte seinen Sammlungsbestand in der NS-Zeit um viele Werke, die von den Nazis als „entartete Kunst“ eingeschätzt wurden, bereichern. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs gab er an, dass seine Bilder bei der Bombardierung Dresdens verbrannt waren. Eine offensichtliche Lüge, denn 2012 entdeckten Beamte die umfangreiche Sammlung in der Wohnung von Cornelius Gurlitt. Ein Jahr zuvor hatte Gurlitt das Max Beckmann-Bild „Der Löwenbändiger“ für 864.000 Euro an das Auktionshaus „Lempertz“ verkauft.

Was passiert jetzt mit den Bildern?

„Die Rechtslage ist außerordentlich komplex“, sagte der leitende Oberstaatsanwalt Reinhard auf der Augsburger Pressekonferenz. Entscheidend sei, welche Werke als „entartete Kunst“ unter das Beschlagnahmegesetz von 1938 fallen und welche Arbeiten als „verfolgungsbedingt entzogene Raubkunst“ gewertet werden können. 1937 ließ Reichspropagandaminister Joseph Goebbels rund 21.000 Kunstwerke, die als „entartete Kunst“ galten, aus öffentlichen Sammlungen entfernen. Noch immer ist der Verbleib von ungefähr 10.000 dieser Werke nicht geklärt. Wer nach 1937 mit den „entarteten“ Werken handelte, tat das in einem rechtlich geschützten Rahmen, denn das Beschlagnahmegesetz von 1938 regelte die neuen Besitzverhältnisse und wurde absurderweise auch nach dem Ende des Dritten Reiches nicht geändert. Alle Verträge, die Hildebrand Gurlitt während der NS-Zeit über beschlagnahmte Werke abschloss, sind somit rechtsgültig. Anders ist es im Falle von Raubkunst, die den jüdischen Besitzern verfolgungsbedingt und unter Zwang entzogen wurde. Bei solchen Werken könnten Ansprüche ehemaliger Eigentümer unter bestimmten Voraussetzungen geltend gemacht werden.

Im Falle des Münchener Sensationsfundes muss nun Bild für Bild bestimmt werden unter welchen Voraussetzungen es von Hildebrand Gurlitt erworben wurde. Mehrere Museen und auch die Erben des jüdischen Kunsthändlers Alfred Flechtheim haben schon Anfragen zu bestimmten Kunstwerken gestellt. Cornelius Gurlitt hatte während der Vernehmungen durch Beamte keine Angaben zur Herkunft der Werke gemacht. Bisher verzichtete er auch auf einen Antrag auf die Herausgabe der Sammlung. Dabei kann davon ausgegangen werden, dass ihm nach geltendem Recht einige der Bilder zustehen.

Wo befindet sich die Sammlung jetzt?

Wo die Gemälde derzeit gelagert werden, gab die Staatsanwaltschaft am Dienstag aus Sicherheitsgründen nicht bekannt. Siegfried Klöble vom Zollfahndungsamt München erklärte, dass sich die Werke „jedenfalls nicht in unserem Depot in Garching“ befinden. Auch eine Liste, auf der die Exponate der Sammlung aufgeführt sind, bleiben die Münchener Behörden der Öffentlichkeit bislang schuldig. Diese Geheimniskrämerei, die auf der Pressekonferenz in Augsburg mit dem Schutz etwaiger Eigentümer gerechtfertigt wurde, stößt bei Museen und Kunstexperten auf harsche Kritik. Sie fordern eine Online-Veröffentlichung der Bilder damit Besitzansprüche möglichst schnell geklärt und möglicherweise geltend gemacht werden können.

Werden juristische Schritte gegen Cornelius Gurlitt eingeleitet?

Gegen den 79-Jährigen wird derzeit wegen des „Verdachts eines dem Steuergeheimnis unterliegenden strafbaren Sachverhalts und wegen des Verdachts der Unterschlagung" ermittelt. Für einen Haftbefehl reichen die Verdachtsfälle nach Angaben der Augsburger Staatsanwaltschaft nicht aus. Und selbst wenn ein Haftbefehl erwirkt werden sollte, wird es schwer, diesem momentan nachzukommen. Wo sich nämlich Cornelius Gurlitt derzeit aufhält, ist nicht bekannt.