Tiere auf Wanderschaft: Warum in so mancher Katze ein Langstreckenläufer steckt

Wie orientierte sich Holly in der Fremde? Darüber rätselt die Wissenschaft (Screenshot: ABC)
Wie orientierte sich Holly in der Fremde? Darüber rätselt die Wissenschaft (Screenshot: ABC)

306 Kilometer und 60 Tage – so lange war Stubentiger Holly unterwegs, um wieder zu ihren Besitzern zu gelangen. Die Hauskatze lief fast die komplette Ostküste des Bundesstaates Florida ab und brachte so selbst Zoologen zum Staunen. Sie vermuten, dass Holly Heimweh plagte. Aus ganz anderen Gründen gehen Buckel- oder Belugawale auf Wanderschaft: Sie nutzen ihre tausende von Kilometern langen Trips für eine kleine Erfrischung oder wohlverdiente Wellness.

„Ist das auch dieselbe Katze?“: Diese Frage konnten Jacob und Bonnie Richter irgendwann nicht mehr hören. Zu unglaublich klang die Geschichte von Holly, die sich sprichwörtlich im Alleingang wieder nach Hause kämpfte, nachdem sie von ihren Besitzern getrennt worden war – rund 306 Kilometer von deren Wohnort in West Palm Beach entfernt. Doch es war tatsächlich Holly, die nach zwei Monaten Hoffen und Bangen pünktlich zu Silvester wieder auf der Matte stand, wenn auch abgemagert und schwach. Ihr schwarz-rot geflecktes Fell erkannten die Richters sofort, der implantierte Mikrochip brachte beim Tierarzt Gewissheit.

Holly ist kein Einzelfall. Ihr Artgenosse Howie, ein Perserkater aus Australien, hielt es 1978 nicht länger bei seinen Haustier-Sittern aus und lief deshalb rund 1.600 Kilometer weit nach Hause. Auch Murka packte 1989 das Heimweh: Sie legte etwa 525 Kilometer zurück, um wieder zu ihrer Moskauer Besitzerin zu kommen, die sie zuvor bei ihrer Mutter in der russischen Stadt Woronesch abgeliefert hatte. Gar von einer britischen Katze die auf einen Zug aufsprang, nach einer Station wieder abstieg und zurück ins heimische Körbchen trottete, wissen Zoologen zu berichten.

Immer der Nase nach

„Ich glaube all diese Geschichten, aber sie sind wirklich schwer zu erklären“, sagt der Verhaltensökologe Marc Bekoff von der University of Colorado gegenüber der amerikanischen Zeitung „New York Times“. Womöglich seien all diese Katzen einfach von Natur aus sehr schlau und in der Lage, andere Tierspuren oder gar Autokennzeichen zu lesen, so Bekoff. Für gewöhnlich kommen Katzen besonders gut in bereits bekannten Gebieten zurecht. Dort riecht es so wie zu Hause und sieht vertraut aus. Gerade deshalb überrascht es, dass sich Langstreckenläufer wie Holly so gut in der Fremde zurechtfanden. Eine mögliche Erklärung für ihr gutes Orientierungsvermögen: Vielleicht assoziierte Holly bestimmte Gerüche (etwa den von Pinienwäldern) mit einer bestimmten Windrichtung, in die sie sich dann folgerichtig fortbewegte. Denn Katzen können selbst feinste Düfte über lange Distanzen hinweg wahrnehmen.

Hinzu kommt, dass Holly das Wandergen praktisch in die Wiege gelegt wurde. Ihre Mutter war eine verwilderte Katze, die sich im Wohnwagenpark der Richters umhertrieb. Holly selbst wurde in einem Klimaanlagenschacht geboren. Diese frühe Erfahrung könnte ihr bei ihrem Küstentrip zum Vorteil gereicht haben. Was ihr in der Wildnis tatsächlich half, wie „geplant“ um von A nach B zu kommen, weiß aber niemand. Im Gegensatz zu Zugvögeln, Schildkröten und Insekten, die sich etwa anhand von Magnetfeldern oder der Sonne zurechtfinden, ist das Wanderverhalten von Hauskatzen und -tieren im Allgemeinen noch nahezu unerforscht.

Buckelwale gönnen sich eine „Winterfrische“

Immerhin eines scheint auf den ersten Blick eindeutig: Die Katzen wollten wieder nach Hause, zu ihren Haltern. Doch was treibt etwa Wale, Libellen, Schmetterlinge und Meeresschildkröten an, Jahr für Jahr neue Streckenrekorde aufzustellen? Im Gegensatz zu den etwa 215 Vogelarten der Nordhalbkugel, die nach der Brutsaison im Spätsommer bis nach Nordafrika, manchmal bis weit über die Sahara hinweg fliegen, wandern diese Tiere nämlich nicht ihrer Nahrung hinterher. Während Kraniche oder Rauchschwalben im Winter keine Insekten oder Amphibien mehr finden und sich deshalb auf ihre kräftezehrende Reise aufmachen, wandern etwa Buckelwale nicht wegen Futtermangel. In einer groß angelegten Studie über die rund 13 Meter langen Meeressäuger fand Kristin Rasmussen vom US-amerikanischen Cascadia Research Collective heraus, dass die Tiere sich aus den Südmeeren in Richtung der Küsten von Ecuador und Panama aufmachen, weil sie sich nach einer kleinen Erfrischung sehnen. Denn offenbar fühlen sich die Buckelwale in der Paarungszeit bei kühleren Wassertemperaturen einfach wohler. Deshalb nehmen sie im Winter – vorausgesetzt, die Temperatur stimmt – nur zu gerne Wege von bis zu 8.000 Kilometern in Kauf.

Belugawale wandern an Orte, an denen sie sich ihrer Körperpflege widmen können (Bild: thinkstock)
Belugawale wandern an Orte, an denen sie sich ihrer Körperpflege widmen können (Bild: thinkstock)

Wandern als Wellness

Andere Tiere wandern hingegen, um ihre Körper zu pflegen. So wie Belugawale: Während ihrer Paarungstreffen in Fjorden und Flussmündungen häuten sie sich gleich noch. Dazu schrubben sich die Tiere an Steinen am Boden alte Hautschichten ab – und werden auf diese Weise Parasiten und Bewuchs los. Auch Vögel nutzen lange Wege, um sich ausgiebig der Körperpflege zu widmen. Das Ergebnis: so genannte Mauserzüge, bei denen zum Beispiel Brandgänse alle Schwungfedern auf einmal verlieren und deshalb Gebiete aufsuchen, in denen sie gut vor Fressfeinden geschützt sind. Denn (Weg-)Fliegen ist ihnen frisch gemausert schlicht unmöglich.

Faszinierend ist auch das Wanderverhalten von Königslibellen. Sie machen sich meist in großen Schwärmen auf die Reise und verwandeln die Ostküste der USA alljährlich in ein grünes Insektenmeer. Im Jahr 1992 etwa wurden am Cape May Point gut 400.000 Königslibellen gezählt – innerhalb von nur einer Stunde. Die Wandermuster dieser Insekten ähneln dabei jenem von Zugvögeln. „Die Libellen zeigen die gleichen Rast- und Wanderzeiten wie die Vögel“, erklärt Prof. Dr. Martin Wikelski, Direktor des Max-Planck-Insituts für Ornithologie in Seewiesen, in seiner 2006 erschienen Studie über Königslibellen. Demnach legen die Tiere bei Wind gerne eine Verschnaufpause ein, um nicht vom Kurs abzukommen.

Doch ein Rätsel der wandernden Königslibellen ist nach wie vor nicht gelöst. Nachdem die Insekten rund 700 Kilometer zurückgelegt haben, legen sie im Süden der USA ihre Eier ab und sterben. Dennoch findet die nächste Generation den Rückweg in die Heimat problemlos. Wieso und warum, das kann auch Wikelski nicht beantworten. Womöglich haben die Libellen ja das, was auch Holly den richtigen Weg wies: ein innerer Kompass, der tierisch zuverlässig ist.