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Zwischen Comedy und Splatterfilm – der Alltag eines Klinikarztes

Dr. Marco Moor: Lesen Sie mich durch, ich bin Arzt! Echte Geschichten aus dem Krankenhaus. (Bild: Heyne Verlag)
Dr. Marco Moor: Lesen Sie mich durch, ich bin Arzt! Echte Geschichten aus dem Krankenhaus. (Bild: Heyne Verlag)

Drei Mal lag Marco Moor im Krankenhaus. Drei Mal hat er sich verknallt. In die Mutter des Zimmernachbarn, in die Physiotherapeutin, in die Nachtschwester. Mittlerweile ist er selbst Arzt und operiert lieber, anstatt sich behandeln zu lassen. Manchmal sieht es auf dem Operationstisch dann aus wie in einem schaurigen Horrorstreifen, sagt Moor, mit dem ganzen Blut und dem offenen Herzen. Verlieben tut er sich aber trotzdem noch, gerade hat er es auf die Kollegin aus der Chirurgie abgesehen. Sagt er jedenfalls. Was ihm sonst Absurdes, Tragisches und Amüsantes im Klinikalltag passiert, erzählt er in seinem Buch „Lesen Sie mich durch, ich bin Arzt! Echte Geschichten aus dem Krankenhaus", es erscheint am 12. November 2012 im Handel.

Das Erstlingswerk ist ein bunter Streifzug durch den Ärztealltag. Mit sämtlichen Klischees von wehleidigen Männern bis zu Beziehungen zwischen Ärzten und dem weiblichen Krankenhauspersonal. Moor beobachtet detailgetreu - seine Geschichten sind absurd, traurig, ehrlich und amüsant. Er erzählt von hartnäckigen Patienten, die selbst spätnachts auf dem Handy anrufen, Postkarten schicken und Vorschläge für eine gemeinsame Medizinfirma unterbreiten. Er begegnet Herrn K., der nach 36 Operationen keine weitere mehr bekommt und aus dem Leben entlassen wird. Und er berichtet von Rollstuhlwettrennen auf dem Flur, wenn ihm selbst mal langweilig ist.

Moor ist 31 Jahre alt, arbeitet als Internist „in einem der größten Krankenhäuser des Landes" und heißt eigentlich ganz anders. Dr. Marco Moor ist nur das Pseudonym, unter dem er seine Beobachtungen aufschreibt.

Im Interview mit Yahoo! erzählt Moor, warum Witze über Körpersäfte gut sein können und warum Ärzte sich gerne einmal mit Krankenschwestern vergnügen.

Wie viel Galgenhumor ist in einer Klinik an der Tagesordnung? Wo ist die Grenze?

Ohne Galgenhumor geht es nicht. Für Außenstehende ist das oft befremdlich. Aber zu oft hat man in der Klinik mit traurigen und ausweglosen Fällen zu tun. Klingt komisch, aber Witze über Körpersäfte und Deformitäten helfen irgendwie insgesamt bei der Behandlung. Ich glaube, dass man trotzdem verantwortungsvoll und einfühlsam Medizin machen kann. Man muss aber gut aufpassen, dass man mit der Zeit nicht zynisch wird.

Sie schreiben ja unter einem Pseudonym und geben nicht viel über sich preis. Was können Sie zu ihrer Person verraten?

Eigentlich verrate ich sogar ziemlich viel über mich. Wer das ganze Buch liest, erfährt viel über meine Familie, meine Zipperlein und meine anderen Hobbys außer Biertrinken. Man könnte ja meinen, wenn ich nicht in der Klinik bin, bin ich am Saufen. Ich bin mittlerweile ein nicht mehr ganz so junger Facharzt. In ein paar Monaten kehre ich der Klinikarbeit den Rücken und gehe in eine Praxis.

Eigentlich sind Sie ja Internist in einem großen deutschen Krankenhaus. Wissen die Kollegen von Ihrer Nebentätigkeit?

Mein Chef wusste natürlich von Anfang an Bescheid. Er musste die Nebentätigkeit ja genehmigen. Die Zeitschrift Neon kannte er nicht. Er meinte nur, solange meine Patienten nicht unter meiner Arbeit für Neon leiden, ist es okay. Die anderen Kollegen wussten bis vor ein paar Wochen nichts von meiner geheimen Mission. Manchmal hätte ich schon gerne meine Tarnung aufgegeben, weil ich ja gerne gewusst hätte, wie meine Kollegen die Kolumne finden.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen eine Kolumne zu schreiben?

Eine Freundin hat mich gefragt, ob ich einen Arzt kenne, der eine Kolumne schreiben will. Von den zwei Kandidaten, die in Frage gekommen wären, hatte der eine gerade Zwillinge bekommen, und der andere ist nach Norwegen ausgewandert. Dann war ich übrig.

Behandeln Ärztinnen anders als Ärzte?

Ja klar. Das liegt an der Konzentrationsfähigkeit. Männer können nun mal nicht so viele Dinge auf einmal machen. In dem, was sie tun, versinken sie dann aber. Das ist ideal, wenn zwei winzige Blutgefäße aufeinander genäht werden müssen. Oder eine zerbröselte Kniescheibe wieder zusammengebastelt werden soll. Geht es um eine diffizile internistische Diagnose, bei der man die verwirrenden Hormonwechselspiele kennen muss, sind Frauen eindeutig besser. Und natürlich bewege ich mich mit dieser Einschätzung auch gefährlich in das Reich der Klischees.

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Wie oft verlieben sich Patienten im Krankenhaus?

Ich selbst war bisher drei Mal als Patient im Krankenhaus und habe mich drei Mal verknallt. Als ich mit sieben im Krankenhaus war, fand ich die Mutter meines Zimmernachbarn toll. Zwei Jahrzehnte später war es die Physiotherapeutin. Und noch ein paar Jahre später, hat es mir die Nachtschwester angetan, von der ich eigentlich nur die Stimme gehört habe. Wenn das allen Patienten so geht, dann gibt's im Krankenhaus viele Gefühle. Beziehungen oder Affären mit Patienten sind aber für uns Ärzte absolut tabu.

Was ist dran an dem Klischee, dass ein Arzt eine Beziehung mit einer Krankenschwester hat oder sie sogar heiratet?

Ich kenne viele Arzt-Krankenschwester-Paare. Aber ich glaube, dass die Dunkelziffer, also die Affären, noch viel höher liegt. Gelegenheit macht Diebe. Im Krankenhaus ist die Auswahl groß. Man kommt sich in Extremsituationen nahe, und man verbringt eh viele Nächte miteinander. Das wäre eher komisch, wenn da nichts laufen würde.

Warum hassen alle Ärzte Suchmaschinen?

Na ja, jeder Arzt benutzt täglich Internetsuchmaschinen. Unleserliche Medikamentenlisten und seltene Syndrome recherchiert man damit einfach am Schnellsten. Aber wenn ein Patient seine Krankheit googelt oder bingt, wird's immer mühsam. Die sind dann oft vollgestopft mit Einzelinformationen aus oft merkwürdigen Quellen. In der Medizin ist es wie bei einem Kriminalfall: Man muss den Punkt erkennen, wenn alle nötigen Informationen gesammelt sind und dann anfangen zu denken. Laien fällt das schwer.

Sind Männer wirklich wehleidiger als Frauen?

Und wie. Unvorstellbar, dass ein junger Mann ein Kind auf die Welt bringen könnte. Die meisten verziehen schon beim Blut abnehmen, nein, beim Desinfizieren der Einstichstelle, das Gesicht mit einer Mischung aus „ich sterbe gleich" und „krass, bin ich tapfer". Bei mir ist das leider auch so. Ich bin schon mal bei einer Akupunktur umgekippt.

Würden Sie sich von einem Kollegen operieren lassen?

Sie meinen vermutlich von einem befreundeten Arzt. Wenn ein Kollege behandelt wird, weicht man immer etwas vom Standard ab. Man will es besonders gut machen. Leider läuft es dann aber immer irgendwie schief. Für eine gute Behandlung braucht es eine gewisse Distanz zum Patienten. Dann ist das Erregungsniveau zwischen gelangweilt und hypernervös. Wenn ich mich also operieren lasse, dann von einem guten Arzt, der mich nicht persönlich kennt, oder von einem echt coolen Hund ohne Gefühle.

Was war bisher Ihr kuriosestes Klinik-Erlebnis?

Wir haben mal auf der Normalstation einen Patienten reanimiert. So richtig mit Brustkorb aufmachen und Herz in der Hand drücken und so. Das sah aus wie in einem Splatterfilm. In dem Moment kamen die Fensterputzer an der Fassade im 8. Stock in ihrer Gondel vorbei. Der eine hat Fotos gemacht, der andere ist kollabiert. Den habe ich dann später in der Notaufnahme behandelt.

Neon (Hrsg.): Dr. Marco Moor — Lesen Sie mich durch, ich bin Arzt! Echte Geschichten aus dem Krankenhaus. München: Heyne 2012. 224 Seiten, 8,99 €, ISBN: 978-3-453-60257-1