"Die Hoffnung bleibt, dass Zschäpe ihr Schweigen bricht und Antworten liefert“

Die Opferanwälte Jens Rabe (r) und Stephan Lucas vertreten im NSU-Prozess Semiya Simsek, die Tochter des ersten Mordopfers, Enver Simsek. (Bild: dpa)

Die Anwälte Jens Rabe und Stephan Lucas vertreten im NSU-Prozess Semiya Simsek, die Tochter des ersten Mordopfers, Enver Simsek. Ein Gespräch über die ersten 100 Tage im NSU-Prozess, schweigende Neonazis und die Auswirkungen des Falls Edathy auf die NSU-Aufklärung.



Zum Prozessauftakt haben Sie als eine der Aufgaben des Richters formuliert: Er habe mit den Opfern des NSU sensibel umzugehen. Ist Richter Manfred Götzl in den ersten 100 Tagen dem gerecht geworden?

Jens Rabe: Ja das ist er. Sensibler Umgang impliziert ja nicht nur, den Opfern und ihren Hinterbliebenen offenkundigen Respekt zu zollen, sondern vor allem auch, ihre Interessen zu verstehen und bei der Prozessgestaltung zu berücksichtigen. Semiya Simsek wollte immer größtmögliche Aufklärung. Und da ist Richter Götzl hartnäckig, ganz gleich, ob es um die Rolle geht, die Beate Zschäpe innerhalb des Trios eingenommen hat, oder um strukturelle Fragen, die die rechte Szene betreffen. Dabei fragt er unbeirrt und leitet den Prozess zweifelsfrei sehr souverän. Das gibt Semiya Simsek das sichere Gefühl, dass hier alles strafprozessual Mögliche getan wird, um die angeklagten Taten aufzuklären. Semiya Simsek war immer bewusst, dass die Hauptverhandlung kein weiterer Untersuchungsausschuss sein kann.

Dass Nebenkläger und Bundesanwaltschaft nicht unbedingt am selben Strang ziehen, haben Sie als Anwälte der Familie Buback schon im Prozess gegen Ex-RAF-Terroristin Verena Becker erlebt. Wie bewerten Sie das Verhalten der Bundesanwaltschaft im NSU-Prozess gegenüber den Opfern und ihren Anwälten?

Stephan Lucas: Die Vertreter des Generalbundesanwalts zeigen größtes Interesse daran, ihre Anklage durchzubringen. Nichts anderes sollte man ihnen unterstellen. Die Ankläger wollen allerdings das Behördenversagen bei der Aufklärung der NSU-Mordserie vollständig aus dem Prozess heraus halten. Zum Glück konnte die Nebenklage schon frühzeitig durchsetzen, dass diesbezügliche Fragen zumindest so weit zugelassen werden, als sie Ermittlungstätigkeiten betreffen, durch die die Opfer in ein falsches Licht gerückt und ihnen kriminelle Machenschaften unterstellt wurden.

Rabe: Auch im Strafprozess gegen Verena Becker war eine Verurteilung der Ex-RAF-Terroristin klares Ziel der Bundesanwaltschaft. Im Unterschied zur Anklagebehörde ging der Familie Buback die Sachverhaltsaufklärung jedoch nicht weit genug. Und das ist nur allzu nachvollziehbar. Denn Opfern und ihren Hinterbliebenen geht es in der Regel nicht nur um die richtige Strafe. Sie wollen vor allem verstehen, was sich tatsächlich zugetragen hat. Professor Michael Buback weiß bis heute nicht, wer der Todesschütze war. Wie soll es ihm da gelingen, mit dem Mord an seinem Vater abzuschließen?

Kein Ermittler hat sich im NSU-Prozess für die Kriminalisierung der Opfer entschuldigt. Bestenfalls räumten sie ein, sich geirrt zu haben. Die Rolle des Ex-Verfassungsschützer Andreas T. wird trotz mehrfacher Befragung wohl ungeklärt bleiben. Geschredderte Akten wurden bislang nicht einmal erwähnt. Wird der Prozess den Erwartungen gerecht, staatliches Versagen aufzuklären?


Lucas: Was das staatliche Versagen anbelangt, so darf man nicht vergessen, dass es im Strafprozess um die Frage der Schuld der Angeklagten und um deren Bestrafung geht. Die ganzen Ermittlungsfehler können nur eingeschränkt eine Rolle spielen, die Strafprozessordnung gibt dafür keinen Raum.

Rabe: Von der Politik ist es verlogen, wenn sie - auch was das Staatsversagen anbelangt – immer auf den Strafprozess verweist. Sie entledigt sich so ihrer Verantwortung und schiebt sie auf das Gericht, das diese Aufgabe gar nicht zu erfüllen vermag. Trotzdem wäre es für Semiya Simsek wohltuend gewesen, wenn die Ermittler Worte der Entschuldigung gegenüber den Opfern gefunden hätten.

Ein gerechtes Urteil bedarf einer transparenten Prozessführung. Durch den verzögerten Prozessbeginn sind die Themenkomplexe wild durcheinandergeraten. Das Gericht springt von einem Thema zum nächsten und wieder zurück. Ein Problem?


Lucas: Nein, das ist kein Problem. Anders ließe sich ein zügiges Vorankommen kaum bewältigen. Der Prozess kann selbstverständlich nicht ständig immer weiter nach hinten verschoben werden, nur weil mal wieder ein Zeuge erkrankt ist oder eine Vernehmung länger dauert als geplant. Dies verlangt der sogenannte Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen. Auch ist es der klare Wunsch unserer Mandantin, dass das Verfahren in absehbarer Zeit abgeschlossen wird. Alle Verfahrensbeteiligten kennen die Akten; da lassen sich die Komplexe, die gerade verhandelt werden, einordnen und in den richtigen Kontext bringen.

Semiya Simsek will wissen, warum gerade ihr Vater ermordet wurde und wer die Helfershelfer waren. Dieser erste Mord ist weitgehend abgehandelt. Hat sie ihre Antworten bekommen?

Rabe: Es gab Antworten. Semiya Simsek konnte aus dem Mund der Ersthelfer vor Ort, der Rettungskräfte und der zunächst ermittelnden Polizeibeamten erfahren, was sich am Tatort zugetragen hat. Das war für Semiya Simsek sehr wichtig. Auf die wichtigste Frage aber, warum ihr Vater ermordet wurde, konnte die Hauptverhandlung bislang keine Antwort liefern. Aber noch ist der Prozess nicht zu Ende. Es bleibt die Hoffnung unserer Mandantin, dass Beate Zschäpe ihr Schweigen doch noch brechen wird. Denn sie könnte Antworten liefern. Wenn am Ende des Prozesses für Semiya Simsek allerdings die Erkenntnis stehen sollte, dass weitere Aufklärung nicht möglich ist, so wäre auch das hilfreich für sie, um inneren Frieden finden zu können: Sie hätte die Gewissheit, sich dem Thema so weit, wie in unserem Rechtssystem möglich, genähert zu haben.

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Viele Zeugen aus der damaligen Neonaziszene, die sich beim BKA noch erinnerten, schweigen vor Gericht. Die einen berufen sich auf Paragraph 55 der Strafprozessordnung, die anderen sagen, sie hätten die Erinnerung verloren. Götzl verliest das Protokoll und der Vernehmungsbeamte bestätigt, dass es so gesagt worden ist. Reicht das zur Erforschung der Wahrheit?

Rabe: Es ist ärgerlich, dass so viele dieser Zeugen unter einer Art „Generalamnesie“ zu leiden scheinen. Der Vorsitzende geht mit dieser Situation aber strafprozessual völlig korrekt um; auch auf die von Ihnen angesprochene Art und Weise kann ein Beweis geführt werden.

Diejenige, die wirklich zur Aufklärung des NSU-Komplexes beitragen könnte, ist Beate Zschäpe. Rechnen Sie damit, dass sie ihr Schweigen noch brechen wird?

Lucas: Das wäre reine Spekulation. Als Angeklagte hat Beate Zschäpe das Recht zu schweigen. Hiervon macht sie bislang Gebrauch. Sie wäre allerdings nicht die erste Angeklagte in einem Terrorprozess, die im Laufe der Hauptverhandlung doch noch das Wort ergreift. Es bietet ja nicht zuletzt der Angeklagten selbst die Möglichkeit, sich in einem Strafverfahren selbst zu positionieren. Semiya Simsek hat dazu eine ganz klare Haltung. Sie erwartet, dass Beate Zschäpe zu den Tatvorwürfen Stellung bezieht.

Aus Verteidigersicht könnte man sagen: Zschäpe hat maximal die Urlaubskasse beim Camping verwaltet, vielleicht mal eine Zeitung mit einem Bericht über einen NSU-Mord und die Briefumschläge in der Hand gehabt, mit denen der „Paulchen Panther“-Film verschickt wurde. Dass sie die Finanzverwalterin und Archivarin des NSU war, den Inhalt der DVD und den Zweck der Ceska kannte, sei ihr hingegen bislang nicht nachgewiesen. Wird Zschäpe am Ende vom Vorwurf der Mittäterschaft an den 10 Morden freigesprochen?


Rabe: Eine solche Verteidigersicht wäre sicherlich kühn. Die Hauptverhandlung hat bislang doch sehr viel mehr zu Tage gebracht, was die starke Rolle Zschäpes innerhalb des Trios bestätigt. So hätte ohne sie zum Beispiel die Legendierung der Gruppe nicht so gut funktioniert. Wir alle wissen natürlich nicht, was die weitere Beweisaufnahme noch bieten wird. Nach dem bisherigen Verlauf stellt sich aber vernünftigerweise alleine die Frage, ob Beate Zschäpe als Teilnehmerin an den zehn Morden oder sogar als Mittäterin zu verurteilen ist und nicht etwa, ob sie diesbezüglich mit Freisprüchen rechnen kann.

Sebastian Edathy ist durch den Ankauf von Bildern nackter Kinder vom angesehenen NSU-Aufklärer zur Unperson geworden. Hat der Fall Edathy Auswirkungen auf den Prozess?

Lucas: Aus unserer Sicht hat Herr Edathy im Untersuchungsausschuss hervorragende Arbeit geleistet. Nun wird ihm ein fehlerhafter Umgang mit Fotos von nackten Kindern vorgeworfen. Nach dem, was wir beide hierzu bislang wissen, hat er sich im Ergebnis wohl nicht strafbar gemacht. Moralische Fragen stehen da auf einem anderen Blatt. Große Teile der Republik schwingen sich nun aber zum Scharfrichter über Herrn Edathy auf und würden ihn am liebsten hängen sehen. Als Rechtsanwälte finden wir die Feststellung äußerst wichtig, dass unser Recht zwar von Moral geprägt wird, bestehendes Recht aber nicht von Moral überlagert werden darf. Im Fall Edathy muss die Frage gestellt werden, ob es hingenommen werden kann, dass jemand, der nach dem Gesetz unschuldig ist, aufgrund möglicher moralischer Verfehlungen in seiner wirtschaftlichen und privaten Existenz vollständig vernichtet wird. Auswirkungen auf den Prozess gegen Beate Zschäpe sehen wir nicht. Sie wären auch nicht zu akzeptieren.