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„Morgen ist großes Schlachtfest“

Hier wurde im November 2013 ein Geschäftsmann aus Hannover getötet und zerstückelt. (Bild: dpa)
Hier wurde im November 2013 ein Geschäftsmann aus Hannover getötet und zerstückelt. (Bild: dpa)

Ein LKA-Beamter soll einen Mann auf dessen Wunsch getötet und seine Leiche zerstückelt haben. In Dresden hat der Prozess gegen Detlev G. begonnen. Chatprotokolle geben Einblick in bizarre Sexfantasien, die grausame Wirklichkeit wurden.

Mit Handfesseln wird Detlev G. um kurz nach 9 Uhr in den Gerichtssaal des Landgerichts Dresden geführt. Der 56-Jährige wirkt nervös, auch wenn er sich bemüht, seine Anspannung zu überspielen. „Wo soll ich zuerst hinschauen?“, fragt er die Fotografen und Kameraleute mit einem Lächeln. Zur Jeanshose trägt er eine weiße Baumwolljacke, darunter ein rosafarbenes T-Shirt. Er ist von recht schmaler Statur. Dass G. nach Ansicht der Staatsanwaltschaft vor neun Monaten einen Geschäftsmann aus Hannover getötet, die Leiche zerlegt und das Gemetzel auf Video aufgenommen hat, sieht man ihm nicht an.

„Ja hallo! Morgen ist großes Schlachtfest hier“, hat Detlev G. am 4. November 2013 gegen 1.25 Uhr in seine Kamera gesprochen, 15 Stunden später hängt der 59-jährige Wojciech S. nackt, gefesselt und geknebelt im Keller einer Pension im Gimmlitztal im sächsischen Osterzgebirge tot am Haken eines Flaschenzugs. G. betrieb die Pension zusammen mit seinem Lebenspartner. S. wollte offenbar getötet und „geschlachtet“ werden, das geht aus Mails und Chatprotokollen hervor, die vor Gericht verlesen werden. Laut Anklage entsprach G. diesem Wunsch, um sich sexuell zu erregen.

Anklage auf Mord und Störung der Totenruhe

In der Sprache der Juristen wird Detlev G. beschuldigt, einen Menschen zur Befriedigung des Geschlechtstriebes getötet zu haben, um „beschimpfenden Unfug“ am Körper des Toten zu verüben. Die Anklage lautet auf Mord und Störung der Totenruhe. G. droht eine lebenslange Freiheitsstrafe.

Hans-Ludwig Kröber, Gerichtspsychiater von der Berliner Charité, betrachtet G. während Oberstaatsanwalt Andreas Feron die Anklageschrift verliest und vorträgt, was auf dem Film zu sehen ist, den G. von seiner Tat erstellt hat. Als der Ankläger schildert, wie G. die Geschlechtsorgane des Toten auseinandernimmt, bemerkt Detlev G. Kröbers Blick und guckt zur Decke. Der Staatsanwalt ist mittlerweile beim Zersägen der Knochen angekommen. „Dass ich mal so weit sinke, hätte ich nie gedacht“, sagt der Angeklagte laut Staatsanwalt inmitten des Massakers in seine Kamera.

Verabredung im Internet

Wojciech S. ist an jenem Tag mit dem Fernbus von Hannover über Berlin nach Dresden gekommen. Die Männer standen seit Oktober 2013 in Kontakt. Auf einer Internetseite für Kannibalismus-Fans chatteten sie miteinander. Die Vorsitzende Richterin Birgit Wiegand verliest die Protokolle. S. bitten G. darin, bei ihrem Treffen von Anfang an „als Essen“ angesehen und am selben Tag noch „geschlachtet“ zu werden. G. antwortet: „Okay“, er werde S.s Wünsche berücksichtigen, „du sollst ja auch was davon haben“. Es gibt einige Nachrichten dieser Art zwischen den beiden.

Psychiater Kröber soll ein Gutachten über die Schuldfähigkeit des Angeklagten erstellen, also die Frage beantworten, ob Detlev G. wegen einer psychischen Störung möglicherweise nicht Herr seines Tuns war und in die Psychiatrie gehört, nicht ins Gefängnis. G. aber lässt sich nicht begutachten. Er verweigert das Gespräch mit dem Psychiater.

Verteidigung geht von Selbstmord aus

Die Verteidigung von Detlev G. widerspricht dem Vorwurf des Mordes. „Herr G. ist kein Mörder“, sagt Anwalt Endrik Wilhelm. Wojciech S. habe sich vielmehr selbst getötet. Der Film zeige, dass S. sich einfach hätte hinstellen können, um den Tod abzuwenden. Der Verteidiger fordert das Gericht auf, die Tat in einer 3-D-Simulation zu rekonstruieren. „Dies würde beweisen, dass er noch leben würde, wenn er sich auf die Beine gestellt hätte“. Dass G. selbst in einer Vernehmung gesagt hat, er habe S. getötet, entspräche nicht der Wahrheit, so der Verteidiger.

Detlev G. selbst äußert sich an diesem Tag nicht zum Tatvorwurf, aber zu seinem Leben. Er sei als Nesthäkchen mit drei älteren Schwestern in einem „wunderschönen Elternhaus“ behütet aufgewachsen, „verwöhnt von allen Seiten“. Seit 30 Jahren arbeitet G. bei der Polizei, zuletzt als Schriftsachverständiger beim Landeskriminalamt (LKA) Sachsen. 1984 heiratete er eine Frau, mit der er zwei gemeinsame Kinder und ein Stiefkind hat. 2002 folgte die Scheidung. Er habe sich „anders entschieden“, sagt G. – und meint, dass er sich in einen Mann verliebt hat, mit dem er seit 2003 in einer eingetragenen Partnerschaft lebte. Vor drei Monaten ließ sich der Partner von G. scheiden.

Täter möchte Buch schreiben

Die Tatortarbeit hat das LKA Sachsen-Anhalt übernommen, weil das eigentlich zuständige LKA Sachsen nicht gegen den eigenen Kollegen ermitteln sollte. Auch wenn die Polizisten auf dem Grundstück der Pension nicht alle Leichenteile gefunden haben, geht die Staatsanwaltschaft nicht davon aus, dass G. Körperteile verspeist hat.

Wie er in der Haft zurechtkomme, fragt ihn eine Beisitzende Richterin am Ende des ersten Prozesstages. „Geht so“, sagt G.: „Anfeindungen hat man immer“, doch im Großen und Ganzen käme er gut mit den Mitgefangenen aus. Womit vertreibt er sich in der Zelle die Zeit? G.: „Ich schreibe ein Buch.“

Am 1. September wird der Prozess fortgesetzt. Dann sollen der Geschäftspartner und die Witwe von Wojciech S. aussagen.