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Alice Schwarzer und der muslimische Mann: Das Geschäft mit der Angst

Alice Schwarzer schießt übers Ziel hinaus (Bild: dpa)
Alice Schwarzer schießt übers Ziel hinaus (Bild: dpa)

Die Frauenrechtlerin geht mal wieder gerade Wege: Alice Schwarzer will echte Probleme ansprechen – und schießt mit ihrem Alarmwortschatz übers Ziel hinaus. Und ist selbst ein Beispiel dafür, warum es um Frauen in Deutschland so schlecht bestellt ist.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Die Schlagzeilen bringen es auf den Punkt: Die Heime sind überfüllt, sexuelle Übergriffe und Schlägereien nehmen zu, der Zustrom müsse begrenzt werden. Vorsichtige Annahmen gehen von 1,5 Millionen aus, eher pessimistische von zwei Millionen Neuankömmlingen.

Deutschland im Herbst 2015? Nein, dies waren die Meldungen aus dem Jahr 1990 über die Übersiedler aus der DDR. Sie zeigen: Wer rübermacht, hat es erstmal schwer. Der trifft auf eine gastgebende Mehrheitsgesellschaft, die sich in Abwehr übt und eine Kanonade an Klischees loslässt. Bestens zu beobachten in diesen Tagen, wenn es um den Penis des muslimischen Mannes an und für sich geht.

Seit Wochen reißen in den Sozialen Medien Gerüchte um sexuelle Übergriffe in Flüchtlingsheimen nicht ab. Oder, noch schlimmer für die deutsche Blutsgesellschaft: Übergriffe aus den Flüchtlingsheimen heraus auf Deutsche. Die Polizei hat dazu eine genaue Statistik: Flüchtlinge sind bei Sexualdelikten nicht auffälliger als Deutsche. Und die vermeintlichen Meldungen aus dem Netz erweisen sich in den allermeisten Fällen als Schauermärchen. Man will Angst schüren, da kommen die bekannten Narrative gerade recht: Früher waren es die italienischen Gastarbeiter, die „unsere“ Frauen bedrohten, und davor die Juden. Immer mit schwebt die Vorstellung, der Andere, der Fremde habe einen längeren…

Ist ja alles Humbug, leider nur sehr effektiver.

Die Türken stehen wieder vor Wien

Klar, die starke Einwanderung von Flüchtlingen ist kein Picknickausflug, da entstehen ernste Probleme. Natürlich gibt es Übergriffe in Flüchtlingsheimen, Gewalt und Frust. Und sie richtet sich oft gegen Schwächere wie Frauen. Ein klassischer Fall also auch für den deutschen Feminismus, aber jener in Gestalt von Alice Schwarzer (zum Glück gibt es noch andere) kommt gruselig daher.

In ihrem aktuellen Beitrag für die von ihr gegründete Zeitschrift „Emma“ greift Schwarzer zu grobem Vokabular. „Anstürmende Flüchtlingsmassen“ macht sie aus, eine „Flüchtlingsflut“ und einen „massenhaften Zuzug“. Ganz schön massig, diese Wortwahl. Die Türken, so meint man nach ihrer Lektüre, stehen vor Wien. Denn Schwarzer weiter: „Viele der überwiegend jungen Männer, die da jetzt zu uns kommen, sind bisher noch nicht einmal von einem Hauch Gleichberechtigung der Geschlechter gestreift worden. Sie kommen aus Kulturen wie dem Islam, in denen Frauen als minderwertig gelten (was durch die Radikalisierung und Politisierung des Islam nicht gerade besser wird). Sie sind überwiegend Araber, bei denen es, unabhängig vom Glauben, traditionell schlecht bestellt ist um die Frauenrechte.“

Ja, schlecht bestellt ist es in arabischen Ländern um Frauenrechte. In Deutschland sieht es besser aus, aber Hand aufs Herz: sehr viel besser gewiss nicht. Und wie schafft es Schwarzer, ungesehen in die Köpfe der jungen Männer zu schauen, die gerade bei uns ankommen? Für sie ist „der Islam“ ein Buch, das sie nach Bedarf aus ihrer Klischeeschublade zieht und daraus zitiert. Mit der Realität hat das wenig zu tun. Denn islamische Kulturen sind so zahlreich wie die Umgänge mit heiligen Texten, Regeln und Traditionen. Und Schwarzer hat recht, wenn sie meint: „Wir müssen auch von den Macho-Männern Respekt vor Demokratie und Rechtsstaat, vor Frauen und Kindern einfordern.“ Wer möge das denn nicht einfordern? Wer zeigt sich denn gerade in so genannter „falscher Toleranz“? Wer verschweigt drohende Gefahren? Und: Unter den „Macho-Männern“ gibt es etliche Deutsche. Sie sorgen dafür, dass Deutschland in Sachen Frauenrechte ein Entwicklungsland ist und manche unter Feminismus versteht, sich lediglich die Achselhaare wachsen zu lassen.

Schwarzer schürt Ängste

Im Gefahrenmalen sind wir gerade gut. Schwarzer macht einen wichtigen und richtigen Punkt, wenn sie zu mehr Schutzraum geflüchtete Frauen aufruft, zu einem klaren Standpunkt für Demokratie und Respekt und gegen jeglichen Maschismus, sei es in oder außerhalb von Flüchtlingsunterkünften. Aber mit ihren Worten könnte sie sich auch gleich bei Pegida einreihen: „Die Bundeskanzlerin müsste sich der Gefahr bewusster werden, die durch den massenhaften Zuzug von auch orthodoxen oder gar fundamentalistischen Muslimen droht. Die haben nämlich in der Regel einen nicht zu unterschätzenden Antisemitismus und Sexismus im Gepäck.“ Meint Schwarzer, Angela Merkel würde sich nach dem Lesen ihres Kommentars auf die Stirn hauen und rufen: „Stimmt, hatte ich ja ganz vergessen“?

Merkt Schwarzer nicht, wie sie und viele andere sich auf den „muslimischen Mann“ einschießen? Würden all diese überzeugten Abendländler ähnlich verfahren, wenn statt junger muslimischer Araber viele orthodoxe Juden einwanderten? Würde man sich empören, wenn die am Samstag nicht arbeiten wollen, manche überhaupt nicht? Würde man die Augen rollen, wenn die nicht mit unkoscherem Besteck essen wollen – und überhaupt: Würde man ähnlich vehement das Selbstbestimmungsrecht der jüdischen Frauen einfordern? Wohl kaum, die jüngere deutsche Nazi-Geschichte hat zu einer gewissen Zurückhaltung geführt. Nun knöpft man sich andere vor. Die Araber, die Schwarzer meint, sind die Juden von heute.

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