Anschläge von Paris: Die Stunde der Geier

Flowers are laid outside the French embassy in Rome, Saturday, Nov. 14, 2015. French police on Saturday hunted possible accomplices of eight assailants who terrorized Paris concert-goers, cafe diners and soccer fans with a coordinated string of suicide bombings and shootings in France's deadliest peacetime attacks. (AP Photo/Gregorio Borgia)
Flowers are laid outside the French embassy in Rome, Saturday, Nov. 14, 2015. French police on Saturday hunted possible accomplices of eight assailants who terrorized Paris concert-goers, cafe diners and soccer fans with a coordinated string of suicide bombings and shootings in France's deadliest peacetime attacks. (AP Photo/Gregorio Borgia)

Der Schock nach den Terroranschlägen in Paris sitzt tief, da machen sich einige selbst ernannte Propheten auf, das Schlimme zu deuten – für ihre eigenen politischen Ziele. Das ist infamer Missbrauch.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Würde zeigt sich in Momenten der Krise. Frankreich erlebt gerade dunkle Stunden, erfüllt von Angst, Trauer und Wut. Das ganze Land war mit den Terrorattacken angegriffen worden – seine Freiheit, seine Lebensstile. Und so geeint erscheint langsam die Antwort: Die Würde überwiegt. Ihr werdet uns nicht klein kriegen, ihr mickrigen Idioten – das ist die Botschaft, die gerade durchsickert. Frankreich zeigt sich würdevoll.

Das geplante Fußballspiel zwischen England und Frankreich am Dienstag – es soll stattfinden; ein Akt der Würde. Aus aller Welt erreichen Beileidsbekundungen das Land, darunter sind keine Krokodiltränen, sondern Gefühle füreinander. Die Solidarität, die Frankreich gerade erlebt, wird eine Wucht entfalten, gegen die die Macht des so genannten „Islamischen Staates“ (IS) ein Witz ist.

Der IS scheint hinter den feigen Angriffen zu stecken. Er will damit so tun, als wäre er tatsächlich so etwas wie ein Staat – wie jemand, der einen mächtigen Staat wie Frankreich angeht. Doch das Kalkül des IS wird nicht aufgehen. Er lebt von Durchgeknallten dieser Erde, die sich ihm anschließen. Und von all jenen, die er derzeit mit Waffengewalt beherrscht, das sind weite Landstriche in Syrien und im Irak; die Landkarte indes ist nicht für die Ewigkeit geschrieben. IS hat längst seinen Zenit erreicht, mächtiger wird er nicht werden. Vielleicht werden die Attacken von Paris als Wendepunkt in die Geschichtsbücher eingehen, die den Niedergang des IS schildern werden.

Der IS ist immer Teil des Problems

Was sind die nötigen Konsequenzen aus der Terrornacht? Frankreich beteiligt sich bisher symbolisch an Luftangriffen gegen den IS – das wird jetzt verstärkt werden. Doch Druck wäre nun auf andere Länder nötig: Die Golfmonarchien haben den Aufstieg erst ermöglicht, und heute gehen sie nur zögerlich ihn an – der schiitische Iran erscheint ihnen als ärgerer Rivale. Diese unrealistische, unmoralische und ungerechte Fehlsicht ist fatal für die ganze Welt. Auch die aktuelle Regierung der Türkei bekämpft mehr die Gegner des IS, die Kurden, als den IS selbst. Eine Lehre aus Paris ist: Diplomatischer Druck auf die Golfländer und auf die Türkei muss endlich her. Der IS wird immer Teil des Problems sein, nie der Lösung.

Die zweite wichtige Konsequenz hat CDU-Vize Julia Klöckner richtig ausgesprochen: „Die Menschen, die gerade zu uns kommen, fliehen gerade vor dem Terror, den wir in Paris gesehen haben. Wir sitzen mit ihnen in einem Boot und dürfen nicht pauschal Fremde mit Terror gleichsetzen. Wir dürfen jetzt kein verhärtetes Herz bekommen.“ Treffender hätte sie nicht ausdrücken können.

Denn klar ist: Die starke Flüchtlingseinwanderung nach Europa, die vielen Muslime, die zu uns fliehen, erhöhen die Terrorgefahr nicht. Denn die ist ohnehin sehr hoch. Viel höher, als wir uns eingestehen wollen. Wer Terroranschläge bei uns verüben will, muss indes nicht seine Leute übers Mittelmeer auf einer kaputten Schaluppe schicken. Er muss sie nicht in Erstaufnahmezentren an der Grenze zu Österreich einschleusen. Wer Terror in Erwägung zieht, hat immer auch andere, mächtige Mittel zur Wahl. Die Kriegsnacht gestern in Frankreich ist die logische Antwort auf das notwendige und wichtige kriegerische Engagement Frankreichs im Nahen Osten. Die Welt ist keine Scheibe. Europa ist keine Insel. Geschehnisse haben Auswirkungen wie tektonische Bodenplatten und ihre Bewegungen. Es wäre dennoch falsch, von den Angriffen auf den IS jetzt abzusehen.

Und falsch wäre es auch, auf die Geier zu hören. Auf jene mit dem verhärteten Herz. In den Sozialen Medien, von einigen Journalisten und von einigen Politikern geht jetzt der Versuch aus, die Toten von Paris zu verhöhnen und die gestrige Nacht für ihre eigenen politischen Ziele auszubeuten. Beispiel Nummer eins: „Welt“-Kolumnist Matthias Matussek tweetete: „Ich schätze mal, der Terror von Paris wird auch unsere Debatten über offene Grenzen und eine Viertelmillion unregistrierter junger islamischer Männer im Lande in eine ganz neue frische Richtung bewegen..“ Und beendete seinen Terror mit einem makabren Smiley. Klar: Junge, islamische Männer – da besteht akuter Terrorverdacht. Nicht aus Sicht der Geheimdienste und jener, die sich auskennen. Nein, es besteht Terrorverdacht bei jenen, die „Fremde“ einfach nicht haben wollen oder sich von der Ausbeutung der Angst vor ihnen Beliebtheit erhoffen. Doch Matussek ist einen Schritt zu weit gegangen: Sein Chefredakteur Jan-Eric Peters distanzierte sich, beschrieb den Tweet als „durchgeknallt“. Matusseks Tage bei der „Welt“-Gruppe sind gezählt.

Wo ist der Knopf auf der Instrumentalisierungsmaschine?

Auch ein anderer hat seiner Karriere heute mit einem Tweet einen Knieschuss verpasst. „#ParisAttacks ändert alles. Wir dürfen keine illegale und unkontrollierte Zuwanderung zulassen“, schickt Markus Söder, Beispiel Nummer zwei, in die Welt. Der bayerische Finanzminister von der CSU sah sich ja schon immer genötigt, jedes Geschehnis zu kommentieren. Mikros sucht er wie getrieben. Meist sind seine Einschätzungen nicht von Sachkompetenz erfüllt, er äußert sich halt oft zu Dingen, die er nicht versteht. Aber er verfährt nach der Strategie, dass Medienpräsenz ihm bei der Karriere hilft, auch eine negative Präsenz.

Doch heute hat er übertrieben. Die CSU hat sich seit diesem Sommer zwar eindeutig auf die Position zurückgezogen, die Flüchtlingsdebatte zur Profilierung zu nutzen und auf dem Rücken der Flüchtlinge Angstpolemik zu betreiben. Konstruktives hört man von den Christsozialen schon lange nicht mehr. Aber Söders Schritt ist einer zu viel, der ihn auf dem Weg, eines Tages Ministerpräsident in Bayern zu werden, weit zurückwerfen wird. Er wird als jener Söder in Erinnerung bleiben, der Tatsachen vermischte und nur wenige Stunden nach den Schüssen von Paris die Instrumentalisierungsmaschine anwarf. Bei Twitter ziert sein Konterfei der Spruch: „Söder für Nürnberg“. Das wäre eine Aufgabe für ihn. Oberbürgermeister könnte er nun noch anpeilen. Für Größeres hat er sich heute disqualifiziert.

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