Das Märchen vom Shitstorm gegen Dieter Nuhr und Franz Josef Wagner

Im Kreuzfeuer der Kritik - Dieter Nuhr (Bild: dpa)
Im Kreuzfeuer der Kritik - Dieter Nuhr (Bild: dpa)

Klagen über Shitstorms gelten als schick. Dabei sind sie so alt wie das soziale Netz selbst – und haben oft nicht Recht.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Was haben Dieter Nuhr und Franz Josef Wagner gemeinsam? Beide sind Komiker, jeder in seiner Art. Und beide stehen in Shitstorms, die in Wirklichkeit keine sind. Sie ernten nur, was sie säten.

Was ist passiert? Zuerst beklagt der Kabarettist Nuhr in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ einen „zivilisatorischen Rückfall ins Mittelalter“ wegen eines „Shitstorms“, den er wegen eines „Witzes“ erhielt. „Hexenverbrennung des 21. Jahrhunderts“ sei das für ihn. Der Witz ging so: "Meine Familie hat demokratisch abgestimmt: Der Hauskredit wird nicht zurückgezahlt. Ein Sieg des Volkswillens!" – es ging um Griechenland und das Referendum. Ich persönlich finde da nichts witzig, Nuhr versuchte nur mit einem dummen Spruch auf einer Populismuswelle zu surfen; aber sei’s drum, Geschmäcker sind verschieden. Auch wenn gesagt werden sollte, dass der Unterschied zwischen einer Hauswirtschaft und einer Volkswirtschaft einem in der „FAZ“ schreibenden vorgeblich „Klugen Kopf“ geläufig sein sollte.

Nuhr erhielte hunderte von Kritiken, manche beleidigend, manche extrem humorvoll. Aber seine Qualitäten scheinen mehr im Austeilen als im Einstecken zu liegen, jedenfalls sah er sich gleich auf dem Scheiterhaufen der Sozialen Medien. Das finde ich weinerlich. Er schrieb in der „FAZ“, er habe „Beleidigungen, Beschimpfungen und Bedrohungen“ auf seiner Facebook-Seite gelöscht. Darunter waren übrigens auch die witzigen Posts von Jan Böhmermann, der sich über Nuhrs Rechtsdrall lustig machte und ihn in eine Diskussion verwickeln wollte. Doch der Komiker, der in Wirklichkeit keiner mehr ist, schwieg. Und löschte. Zensur sei das nicht, meinte er in der „FAZ“, ohne Böhmermann beim Namen zu nennen. „Die Meinungsäußerung überall anders ist weiterhin möglich. Wenn eine Zeitung einen Artikel nicht druckt, ist das keine Zensur, sondern die Entscheidung des Chefredakteurs.“ Was für ein Unsinn. Wenn ein Chefredakteur einen Artikel seines Redakteurs nicht abdruckt, kann das durchaus Zensur sein.

Das Netz ist nichts für Mimosen

Gestern nun erwischte es Franz Josef Wagner mit seiner täglichen Post in der „Bild“-Zeitung. Diesmal hyperventilierte er gegen „Familienpolitik“ und über zu wenig Babys – was seiner Meinung nach an Hosenanzügen tragenden Frauen liege, die Smoothis trinken. Ist natürlich irre. Und besonders lustig waren die vielfältigen Reaktionen darauf. Schon titeln aber „stern.de“ oder der Medienbranchendienst „Meedia“ heute: „Shitstorm“. Das finde ich übertrieben.

Nuhr und Wagner haben, vorsichtig ausgedrückt, eine schrille Meinung kundgetan. Da gibt es nichts zu wundern, wenn das Netz auf Dummheiten mit jener Verschiedenheit reagiert, die eben im Netz lebt. Oder: Wie man in den Wald ruft, schallt es heraus.

„Shitstorm“ ist oft das falsche Wort

Nuhr und Wagner sind selbstherrlich. Nur hat Wagner womöglich noch den Humor, wegen der Kritiken sich nun nicht als Opfer zu stilisieren. Beide aber haben eine exponierte Stellung, sie sind bekannt. Was sie sagen, wird gehört. Das ist bei den meisten Menschen nicht so – und für die gibt es neben anderem die Kommentarspalten hier unten auf der Seite. Kommentare sind ein Stück Demokratie. Sie müssen einem nicht gefallen, aber man muss sie aushalten. Oder exponiert sich nicht mit seiner Meinung. Nuhr und Wagner stehen in keinem Shitstorm – mit diesem Begriff wird nur versucht, ihre Kritiker in den Sozialen Medien abzuqualifizieren als „die da unten“. Das ist elitär.

Zum Glück ist das Internet noch nicht elitär. Es ist ein oft wildes Meer, der Ton ist rauer als im Leben abseits der Bildschirme – gerade weil man sich persönlich nicht kennt. Da würde es helfen, Meinung und Gegenmeinung genauer zu beschreiben. Meine Kollegin Hannah Beitzer hat dazu in der „Süddeutschen Zeitung“ einen guten Vorschlag gemacht: „(scharfe) Kritik ist (scharfe) Kritik, Beleidigungen sind Beleidigungen, Drohungen sind Drohungen, Hass ist Hass und eine Debatte ist eine Debatte. Hoffentlich. Irgendwann einmal.“

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