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"Die Angehörigen brauchen nicht nur unser Mitleid"

Bernd Gans ist Vorsitzender des Vereins "Hinterbliebene der Opfer des Flugzeugabsturzes AF447" (Hiob). Das Air France-Flugzeug war 2009 auf dem Weg nach Paris über dem Atlantik abgestürzt. Gans kennt die Situation, in der sich nun die Menschen befinden, deren Angehörige wohl mit der Maschine MH370 im Indischen Ozean verunglückten. Im Exklusiv-Interview mit Yahoo gibt er Einblicke in seine Gefühle und sagt, was nun für die Angehörigen getan werden muss.



Herr Gans, als Sie zum ersten Mal vom Irrflug der malaysischen Maschine hörten – was ging Ihnen da durch den Kopf?

Bernd Gans: Schlagartig erinnerte ich mich daran, wie ich damals 2009 im Radio hörte: ‚Ein Flugzeug wird vermisst’. Und ich wusste, dass dies der Flug unserer Tochter war. Damals hatten die Fluggesellschaft Air France und die französischen Behörden in ihrer Informationspolitik total versagt. Man ließ uns hängen. Wir fühlten uns allein und in der Schwebe. Es hieß immer nur, die Maschine werde vermisst. Das ist das Schlimmste, was einem passieren kann.

Schlimmer als die schleichende Gewissheit, dass jemand tot ist?

Bernd Gans: Ja, weil man immer weiter denkt – nicht aufhören kann zu denken. Was ist denn passiert? Gibt es noch Hoffnung? Mussten die Passagiere leiden? Wird man Überreste bergen können? Da kommt etwas Schreckliches langsam auf einen zu, und man kann nicht ausweichen.

Sie haben nun einen Offenen Brief an die Angehörigen verfasst. Warum?
Bernd Gans: Die Angehörigen brauchen nicht nur unser aller Mitleid. Sie müssen zusammen stehen – denn sie müssen wissen, was geschehen ist; nur dann kann man Abschied nehmen. Also ist jetzt ein lautes Sprachrohr nötig, um Transparenz und rückhaltlose, unabhängige Aufklärung einzufordern. Dann werden sie nicht so allein gelassen, wie es uns geschehen ist.

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Braucht die malaysische Regierung jetzt Druck?
Bernd Gans: Sie hat schon riesigen Druck bekommen. Da sehe ich auch einen Erfolg unseres Briefs. Denn die chinesischen Angehörigen sind offenbar derart ihrer Regierung auf die Füße getreten, dass Peking die Malaysier kritisierte, sie würden Informationen zurückhalten.

Also machen es die Chinesen besser als seinerzeit die deutsche Regierung?
Bernd Gans: Viel besser. Wir hatten damals keine Stimme. Der damalige Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) war zwar sehr eloquent, schwang Trauerreden und versprach alles zu tun. In Wirklichkeit machte er gegenüber der französischen Regierung keinen einzigen Schritt.


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Fürchten Sie, dass auch in diesem Fall nicht richtig aufgeklärt wird?
Bernd Gans: Auf jeden Fall gibt es bisher keine Transparenz. Es gibt so viele Widersprüche in der malaysischen Informationspolitik. Und über eine Absturzursache wird weiterhin nur gemunkelt. Wir sind seinerzeit von den Franzosen an der Nase herumgeführt worden. Große Suchaktionen wurden angekündigt, aber nur wenige realisiert. Erst nach zwei Jahren, als wir mal wieder zum französischen Verkehrsministerium gerufen wurden, Präsident Nicolas Sarkozy gerade sein Kabinett umgebildet hatte und die neue Ministerin unbedingt einen Anfangserfolg wollte – dann saßen plötzlich zwei amerikanische Manager einer Firma mit am Tisch. Die versprachen, dass sie die Maschine finden. Und siehe da, nach acht Tagen hatten sie das Wrack. All das hätte man auch zwei Jahre früher machen können.

In Ihrem Brief schreiben Sie, dass die Angehörigen in ihrer schrecklichen Situation der Ungewissheit auch schon an Kompensation denken sollen. Warum?
Bernd Gans: Es klingt merkwürdig, ist aber ganz wichtig. Angehörige haben nämlich sofort Kosten. Darüber spricht man nicht gern, aber es ist so. Wenn jemand vermisst ist, ist er ja nicht für tot erklärt. Also werden viele mühselige Behörden- und Gerichtsgänge erforderlich, um Vollmachten zu erhalten. Und was ist, wenn unter den Vermissten Menschen sind, die Familien ernähren – was passiert mit denen? Die Angehörigen sitzen in Hotels, warten auf Nachrichten und können nicht arbeiten.


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Was sollte getan werden?
Bernd Gans: Wir verweisen auf das Montrealer Abkommen. Dieses regelt, dass jeder Passagier mit 100.000 Sonderziehungsrechten versichert t ist. Das ist eine globale Verrechnungswährung und entspricht 115.000 Euro. 15 Prozent dieser Summe müssen ausgezahlt werden, sobald festestellt, wer der Bezugsberechtigte ist. Das muss jetzt sofort geschehen – bei uns wurde damals auch das verzögert. Daher unsere Forderung nun.

Was glauben Sie denn, was mit dem Flug MH 370 geschehen ist?
Bernd Gans: An Spekulationen kann ich mich nicht beteiligen. Das ist alles zu vage. Man muss in alle Richtungen ermitteln. Die Selbstmordtheorie ist nicht auszuschließen – aber was macht die zweite Person dann im Cockpit, wenn einer sich umbringen will? Ein technischer Defekt bleibt möglich, oder ein Schwelbrand, der sich erst über längere Zeit hinweg entwickelt.

Halten Sie auch bisher Ungeschehenes für möglich, zum Beispiel die Landung auf einer künstlichen Insel?
Bernd Gans: Nein. Eher in Frage käme, dass das Flugzeug von einer Rakete abgeschossen wurde. Immerhin wurden verschiedene Hoheitsgebiete überflogen. Ich bin sowieso der Meinung, das die Militärs in dieser Sache am meisten wissen, dieses Wissen aber nicht preisgeben wollen. Man könnte ja dann darauf schließen, welche Beobachtungsmöglichkeiten die jeweiligen Streitkräfte haben.

Sollte bei der Rekonstruktion der Ereignisse um den Flug MH 370 ein so genannter „Iron Bird“ zum Einsatz kommen – ein Prüfstand auf dem der Hersteller bereits vor Beginn der Produktion die gesamte Flugsteuerung unter realistischen Bedingungen testen kann ?
Bernd Gans: Ich bin mir sicher, dass man die beiden Black Boxes der Maschine finden wird. Die haben wichtige Informationen wie Cockpitgespräche und Flugdaten gespeichert. Die könnte man in einen „Iron Bird“ eingeben um zu prüfen, was passiert sein könnte. Uns wurde das damals verweigert. Es hat offensichtlich doch Probleme in der Flugsteuerung gegeben – nur wollte man den Flugzeugbauer schonen.

Könnte das wieder geschehen?
Bernd Gans: Zuständig sind diesmal die Amerikaner – der Sitz des Flugzeugbauers Boeing liegt in den USA. Und ich glaube, dass die Amerikaner eine andere Einstellung zur Offenheit haben als die Franzosen. Die werden eine solche Untersuchung fordern und durchführen.

Interview: Jan Rübel

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